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Kunst und Wissenschaft

Ohne Schmerz kein Bewusstsein

17.04.2007  13:58 Uhr

Kunst und Wissenschaft

<typohead type="3">Ohne Schmerz kein Bewusstsein

Von Conny Becker, Berlin

 

Wie fasst man »Schmerz« in Worte, wie kann ein Künstler ihn in seinem Werk verdeutlichen? Beeindruckende Beispiele zeigt eine Doppelausstellung der Berliner Museen Hamburger Bahnhof und Medizinhistorische Sammlung der Charité.

 

»Es geht nicht ohne Schmerz - ohne Schmerz gibt es kein Bewusstsein.« Der Satz von Joseph Beuys trägt beinahe sadistische Züge. Er lässt aber auch erkennen, dass der Mensch durch den Schmerz etwas über seine Grenzen und sich selbst erfährt und lernt, glückliche, schmerzfreie Momente intensiv zu genießen. Für Beuys bedeutete Schmerz zudem Motivation für sein künstlerisches Schaffen. Seine Werke »Zeige deine Wunde« oder »Notfalls leben wir auch ohne Herz« reflektieren nicht nur das Leiden, sondern illustrieren, dass man das Sujet auch ironisch behandeln kann.

 

Hemmschwellen überwinden

 

Für Künstler ist der Schmerz seit Langem ein Thema, begleitet er den Menschen doch schon seit dem Sündenfall: sei es als kurzes, heftiges Empfinden, als permanente Pein oder immer wiederkehrende Plage. Oft geben nur Gesichtszüge oder Laute des Leidenden einen vagen Eindruck von der Existenz und Stärke des Schmerzes.

 

Derartige (Nach-)Empfindungen weckt derzeit die Ausstellung »Schmerz« bei ihren Besuchern. Die Kuratoren entleihen dabei ihre Näherungsversuche nicht nur der Kunstwelt, sie bedienen sich auch aus dem Fundus des Medizinhistorischen Museums der Berliner Charité, das neben dem Hamburger Bahnhof einen Teil der Ausstellung beherbergt. Eine Kombination, die es ermöglicht, den Schmerz von allen Seiten zu beleuchten, aber auch, den Museumsbesucher mit Neuem zu konfrontieren. Denn er findet weder in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof ausschließlich zeitgenössische Kunst, noch im Medizinhistorischen Museum die übliche Präparatesammlung. Diese Vermischung erleichtert es, so die Hoffnung der Kuratoren, bestehende Hemmschwellen zu überwinden und die Museen neu zu erfahren.

 

Stille starke Eindrücke

 

Auch wenn es im ersten Moment nicht so scheint, handelt es sich um eine sehr »leise« Ausstellung. Zwar empfangen den Besucher im Hamburger Bahnhof zunächst zeitgenössische Videoarbeiten, unter anderem vom amerikanischen Künstler Bruce Naumann, der für seine Aufnahmen monoton sprechender, geradezu besessen wirkender Köpfe bekannt ist. Doch schon unter den folgenden Exponaten befindet sich ein sehr »stilles Werk«, geschaffen von unzähligen Namenlosen Ende des 19. Jahrhunderts: ein Beißstab aus einer Zeit, in der noch keine Anästhesie die Operation erleichterte. Schauer fahren dem Betrachter über den Rücken beim Anblick der zahlreichen Zahnspuren auf dem mit Leder ummantelten Eisenstab.

 

Die Ausstellung verzichtet auf die Schreie und Blutlachen von Actionfilmen, die Exponate ziehen den Besucher oft gerade wegen ihrer Nüchternheit in ihren Bann. Aufgrund ihrer Gegensätze und der starken Einzelwirkung ist den jeweiligen Werken viel Platz eingeräumt, was auch dem Betrachter zugute kommt. Schließlich muss er nicht selten zwischen den Jahrhunderten und zudem zwischen den Metiers springen.

 

Gerade das Oszillieren zwischen Kunst, Wissenschaft und Religion macht den Reiz der Ausstellung aus. Denn wo sonst rückt eine spätmittelalterliche Christusdarstellung in die unmittelbare Nachbarschaft einer wissenschaftlichen Apparatur, mithilfe derer ein amerikanischer Arzt ein halbes Jahrtausend später der wahren Todesursache Christi nachging?

 

Wo sonst kommt man in die Verlegenheit, Skizzen der heiligen Agathe aus dem 18. Jahrhundert für Vorlagen einer direkt benachbarten Videoarbeit zu halten? In dieser kämmt sich die Gegenwartskünstlerin Marina Abramovic, die der von Altmeister Tiepolo gemalten Märtyrerin frappierend ähnelt, fast eine Stunde lang die Haare. Dabei beschwört sie ununterbrochen den Satz: »Künstler müssen schön sein, Kunst muss schön sein.« Eine Vorstellung, die viele zeitgenössische Künstler nicht mehr vertreten können. Wenn Besucher die Museumsaufsicht fragen, von welchem Künstler die schlichte weiße Vitrine stammt, die pathologische Originalpräparate von Rudolf Virchow beherbergt, zeigen sich die verwischten Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft. Und das ist von den Kuratoren durchaus gewollt. Der Besucher ist gefordert, sich über den Sinn von Kunst, speziell zeitgenössischer Kunst, bewusst zu werden, für sich zu entscheiden, ob diese nur »schön« sein oder vor allem einen starken Inhalt transportieren sollte. Die der Vitrine des Berliner Mediziners gegenübergestellte Arbeit ist dagegen unzweifelhaft als Kunstwerk zu erkennen und hinterlässt mehr als einen rein ästhetischen Eindruck. Das Triptychon »Kreuzigung« von Francis Bacon zeigt sich windende Körper; verzerrt gemalt hat der englische Maler hier das Sich-Krümmen vor Schmerzen festgehalten. Im Kontrast mit Virchows Präparaten fragt man sich, welche Darstellung von Schmerz hier die authentischere ist.

 

Die Ausstellung hinterlässt aber nicht nur ein beklemmendes Gefühl, sondern amüsiert auch häufig oder zeigt, dass Schmerz vielleicht sogar erwünscht sein kann. Das illustrieren Filme von Hochleistungssportlern, die für ihr beifallspendendes Publikum an ihre (Schmerz-)Grenzen gehen. Eine alte Aspirinflasche weist den wirtschaftlich erfolgreichen, medikamentösen Weg heraus aus dem Leiden, und mit Blick auf eine bunte Ansammlung von Placebos erfährt man, dass diese für eine optimale Wirkung bei Amerikanern eher groß und bei Deutschen eher klein sein sollten.

»Schmerz«

Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, und

Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

5. April bis 5. August 2007

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