Gesunde Lebensweise hat Potenzial |
06.04.2011 08:59 Uhr |
Häufen sich Migräneattacken oder verlaufen sie schwer, sollten Patienten prophylaktisch vorgehen. Die Kombination von medikamentösen und nicht medikamentösen Verfahren ist dabei besonders effektiv. Oft reichen gar Allgemeinmaßnahmen allein aus, um die Anzahl der Attacken zu verringern.
Allgemeinmaßnahmen sind für Menschen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen das A und O. Diese können die Häufigkeit und das Ausmaß der Attacken senken und helfen, Medikamente einzusparen. Denn: Jede plötzliche, unvorhergesehene Veränderung kann die Gehirntätigkeit stören und in der Folge eine Attacke auslösen. Ein regelmäßiges Leben synchronisiert dagegen die Gehirnaktivitäten und mindert die Gefahr für Störfälle.
Für Migränepatienten steht die Regelmäßigkeit im Tagesablauf an oberster Stelle, vor allem ein gleichmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus ist essenziell. An Wochenenden ist also auf das Ausschlafen zu verzichten! Damit eng verknüpft sind eine regelmäßige Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und in jedem Fall das Vermeiden von Hungerzuständen.
Ausdauersportarten wirken sich nachweislich günstig auf den Verlauf einer Migräne aus. Leistungsdruck und übermäßige Anstrengung sind dabei zu vermeiden. Körperliche Erschöpfung kann eher eine Migräneattacke triggern!
Gezielte Entspannungsmethoden helfen, Stress und Anspannung abzubauen. Dazu wird von der Leitlinie der DMKG und der DGN besonders die progressive Muskelentspannung nach Jacobson hervorgehoben. Sie senkt das Aktivierungsniveau für Attacken. Denn sie reduziert einerseits die Empfindlichkeit für akute Schmerzreize und aktiviert andererseits Hirnbereiche, die für die Schmerzdämpfung zuständig sind. Das baut zudem Angstzustände ab, was wiederum die Schmerztoleranz erhöht. Positive Erwähnung in der Leitlinie finden zudem Biofeedbackverfahren und die kognitive Verhaltenstherapie. Letztere zielt darauf ab, die psychische Einstellung des Patienten zum Schmerz zu verändern. Sie wirkt zwar nicht so schnell wie ein Analgetikum, dafür aber nachhaltiger.
Auch Akupunktur scheint den Schmerz ausstechen zu können. Die Leitlinie empfiehlt diese vorsorglichen Nadelungen, wenngleich sich dieser Rat nicht auf Ergebnisse kontrollierter Studien, sondern auf Expertenkonsens bezieht. Allerdings bleibt nicht unerwähnt, dass die Einstellung der Patienten zu dem Verfahren die Wirksamkeit beeinflusst. Und: Es scheint egal zu sein, wohin der Therapeut die Nadeln setzt. Das hat zumindest eine große Akupunkturstudie belegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss lehnt die Erstattung der Akupunktur als GKV-Leistung in der Kopfschmerz- und Migränetherapie ab.
Migräne-Patienten sollten regelmäßig ein Kopfschmerztagebuch führen. So lassen sich die persönlichen Auslösefaktoren schnell erkennen. Häufige Kandidaten sind Stress, Hormonumstellung, Wetterumschwünge oder Hunger.
Moderater Ausdauersport, Akupunktur und gezielte Entspannungsübungen helfen, das Aktivierungsniveau für Migräneattacken zu senken.
Fotos: DAK
Mit Arzneimitteln vorbeugen
Eine Prophylaxe sehen die Autoren der Leitlinie dann für sinnvoll, wenn pro Monat drei oder mehr Migräneattacken quälen, wenn eine einzelne Migräneattacke regelmäßig länger als 72 Stunden anhält, wenn die Attackenfrequenz und die Einnahme von Schmerz- und Migränemitteln an mehr als zehn Tagen im Monat erfolgt oder wenn die Attacken von lang anhaltenden Auren begleitet werden. Aber letztendlich ergibt sich die Notwendigkeit aus dem individuellen Leidensdruck und der Einschränkung der Lebensqualität. Kopfschmerzexperte Straube ist sich sicher, dass generell zu wenige Patienten prophylaktisch behandelt werden. »Neuere Untersuchungen aus Amerika belegen, dass nur rund 12 Prozent der Patienten, denen man eine Prophylaxe anraten würde, auch eine bekommen.«
Eine medikamentöse Prophylaxe kann allenfalls die Intensität und/oder die Häufigkeit der Attacken mindern. Experten bezeichnen eine Migräneprophylaxe als wirksam, wenn die Anfallshäufigkeit halbiert wird. Darüber sollten Apotheker im Beratungsgespräch aufklären. Denn viele Patienten gehen bei einer Prophylaxe von einer völligen Attackenfreiheit aus und sind dann enttäuscht, wenn das nicht gelingt.
Wirkstoffklasse | Wirkstoff | Tagesdosis (in mg) |
---|---|---|
Betablocker |
Metoprolol Propranolol |
50-200 40-240 |
Calciumantagonist | Flunarizin | 5-10 |
Antiepileptika |
Topiramat Valproinsäure (off label) |
25-100 600-1800 |
Zur Vorbeugung nennt die Leitlinie als Mittel der ersten Wahl (siehe Tabelle) Betablocker wie Metoprolol (wie Beloc-zok®) oder Propranolol (wie Dociton®). Außerdem stehen der Calciumantagonist Flunarizin (wie Natil® N) und die Antiepileptika Topiramat (Topamax Migräne®) und Valproinsäure (wie Ergenyl chrono®) ganz oben auf der Liste. Für die Selbstmedikation eignet sich allen voran Magnesium (2 x 300 mg tgl., wie Magnesium Verla®) als schwach wirksames Mittel der zweiten Wahl. Placebokontrollierte und doppelblinde Studien auch neueren Datums zeigen immer wieder, dass Magnesium die Anzahl der Attacken sowie die Schmerzintensität signifikant zu reduzieren vermag. Tipp: Die Tagesdosis zum Beispiel als Brausetablette über den Tag verteilt aufnehmen.
Zu einem optimalen Therapieerfolg zählen nicht nur Arzneimittel. Mit einem Kopfschmerztagebuch lassen sich die persönlichen Auslösefaktoren schnell erkennen.
Foto: Schmerzklinik Kiel
Ein Wort zu Pestwurz-Extrakt: Auch er wird in der Leitlinie als Mittel der zweiten Wahl positiv erwähnt (2 x 75 mg/tgl.). Doch ist seit rund zwei Jahren die Zulassung für das entsprechende Fertigpräparat erloschen. Grund war die notwendige Anpassung des Auszugsmittels von Dichlormethan auf Kohlendioxid. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beurteilte den CO2-Extrakt in Petadolex® als ein anderes Arzneimittel und verlangt eine komplette Neuzulassung. Erhältlich ist der Pestwurz-Extrakt über die internationale Apotheke (zum Beispiel Petasites®) aus Großbritannien.
Während von Magnesium und Flunarizin die Zieldosis sofort eingenommen werden kann, sind die anderen Substanzen in langsam aufsteigender Dosierung einzunehmen, um das Risiko von Nebenwirkungen kleinzuhalten. Das bedeutet: Erst nach rund zwei bis acht Wochen kann ihre Wirksamkeit beurteilt werden. Bis dahin sollten sie allenfalls aufgrund von Nebenwirkungen abgesetzt werden.
Sind Schüler durch die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre (G9 beziehungsweise G8) verstärkt gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt? Eine Frage, die heftig debattiert wird. Eine Studie gibt jetzt Antwort. »Wir haben im Winter 2008/2009 über 1200 Schüler an Münchner Gymnasien des ersten G8- und des letzten G9-Jahrgangs über ihren Gesundheitszustand und ihre Lebensumstände befragt«, informiert Straube. Das Ergebnis: Es gibt keine nachweisbaren Unterschiede zwischen den Jahrgängen, sowohl was die Häufigkeit von Kopfschmerzen als auch andere körperliche Beschwerden betrifft.
Allerdings sei der Gesundheitszustand der Schüler allgemein besorgniserregend. Die Befragten beider Testgruppen gaben als häufigste gesundheitliche Beschwerden Kopfschmerzen (83,1 Prozent), Kreuz- oder Rückenschmerzen (47,7 Prozent), übermäßiges Schlafbedürfnis (45,6 Prozent) sowie Nacken- und Schulterschmerzen (45,0 Prozent) an. »Das ist ein Zeichen für eine generell ungesunde Lebensweise. Da kann man nur zu ausreichend Schlaf und mehr körperlicher Aktivität raten.«
Da die meisten Arzneistoffe zur Migräneprophylaxe müde machen, sollten sie abends eingenommen werden. Noch ein Tipp fürs Beratungsgespräch: Bei manchen Medikamenten ist die Migränevorbeugung im Beipackzettel nicht aufgeführt und sie sind dafür nicht zugelassen. Das sollte dem Patienten erklärt werden. Tägliche Eintragungen im Kopfschmerzkalender dokumentieren, ob der eingeschlagene Weg erfolgreich ist. In der Regel wird das Arzneimittel für etwa ein halbes Jahr eingenommen und dann wieder ausschleichend abgesetzt. Häufig bleibt dann die Frequenz der Migräneattacken niedrig, obwohl keine Prophylaxe mehr betrieben wird. /