KBV will eigene Wege gehen |
06.04.2010 15:14 Uhr |
Von Martina Janning, Berlin / Dass Krankenkassen Selektivverträge schließen dürfen, setzt die Kassenärztliche Bundesvereinigung unter Druck. Nun reagiert die Hüterin des Kollektivvertrags und sucht Kassen als Vertragspartner für eigene Konzepte. In Berlin richtete sie sogar eine Messe zu innovativen Versorgungsformen aus – und lud auch die Konkurrenz ein.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geht neue Wege: Vorige Woche veranstaltete sie zum ersten Mal eine Messe zu innovativen Versorgungsformen. Dort stellten Aussteller aus ganz Deutschland 32 Projekte vor – darunter Angebote aus der Vertragswerkstatt der KBV, aber auch Konzepte anderer Anbieter.
»Das System der Kollektivverträge braucht Innovationen«, sagte der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Köhler, zur Eröffnung der Messe in Berlin. Denn nicht immer könnten die Kollektivverträge zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) alles lösen. »Wir brauchen einen Wettbewerb um Innovationen«, erklärte der KBV-Chef. Er forderte einen Kriterienkatalog, um die Erfolge von neuen Strukturen und Prozessen messen zu können. Falls sich Selektivverträge in der hausärztlichen Versorgung nach der Evaluation als erfolgreich erwiesen, müssten sie flächendeckend für alle GKV-Versicherten eingeführt werden, sagte er.
Kritik an Hausarztverträgen
Köhler verglich die Kollektivverträge mit einem Schienennetz, das die KBV betreibe. Darauf wolle sie auch neue Züge setzen. Er beklagte, dass mit selektiven Hausarztverträgen zwischen Ärzten und Kassen ein weiteres Schienennetz gelegt werde. Das sei unwirtschaftlich, kritisierte er. Gesundheitsstaatssekretär Daniel Bahr (FDP) betonte jedoch, dass die schwarz-gelbe Koalition an dem Nebeneinander von Kollektiv- und Selektivverträgen festhalte. Der Kollektivvertrag habe Vorteile, er brauche aber gelegentlich einen Schubs von außen. Er begrüßte, dass sich »die KBV erstmals dem Versorgungswettbewerb stellt und auch denen ein Forum bietet, die nicht KBV-freundlich sind« und erinnerte an Zeiten, in denen die Ärztevertretung von intriganter statt integrierter Versorgung sprach. Kritik übte Bahr an den Krankenkassen. Sie machten bisher wenig Gebrauch von den Möglichkeiten, neuartige Versorgungsangebote anzuschieben. Offensichtlich hätten sie durch den Gesundheitsfonds wenig Anreize, neue Konzepte auszuprobieren, sagte der Staatssekretär. Die Kassen suchten kurzfristigen Benefit. Sie investierten nicht und überprüften nach einer gewissen Zeit, ob es sich gelohnt hat, bemängelte er.
Eine Änderung der Situation erhofft sich Bahr durch unterschiedliche Versichertenprämien. Sie böten Kassen die Chance, für einen höheren Beitrag bessere Angebote zu machen und sich im Wettbewerb zu positionieren.
Allerdings könne ein Prämiensystem allein das Problem nicht lösen, betonte Bahr. Es müsse vielmehr darum gehen, »mehr Freiheitsgrade für die Regionen« vorzusehen. Nicht alles, was irgendwo im Land ausprobiert werde, müsse überall übernommen werden. Grundsätzlich jedoch sollten gute Versorgungsangebote allen Versicherten zur Verfügung stehen, sagte der FDP-Politiker.
Anlässlich der Messe »Versorgungsinnovation 2010« präsentierte die KBV neue Konzepte für die ambulante Versorgung von Patienten mit ausgeprägter chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) und von Menschen mit einer Blutgerinnungsstörung (Hämophilie).
Patienten werden geschult
Das COPD-Konzept, das die KBV mit dem Bundesverband der Pneumologen entwickelte, sieht Schulungen von Patienten und ihren Angehörigen vor. Zudem sollen Betroffene, die eine Langzeitsauerstofftherapie neu verordnet bekommen, zusätzlich durch pneumologische Fachassistenten betreut werden. Ziel ist es, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen und die Versorgung nach internationalen Leitlinien sicherzustellen. »Hausärzte und Lungenfachärzte arbeiten strukturiert und eng zusammen, etwa wenn es um die Absprache der Medikation geht«, sagte KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller.
Beim Hämophilie-Angebot werden die Patienten angeleitet, sich fehlende Gerinnungsfaktoren selbst zu spritzen und Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Das soll die wohnortnahe ambulante Versorgung optimieren.
Für beide Konzepte gilt: Die auf die Krankheit spezialisierten Ärzte müssen Qualitätsnachweise erbringen, für das Praxispersonal sind entsprechende Fortbildungen vorgesehen. Mit den beiden jüngsten Entwürfen steige die Zahl der qualitätsgesicherten und fachübergreifenden Konzepte der KBV-Vertragswerkstatt auf zwölf, berichtete Müller. Zurzeit verhandle die KBV mit Krankenkassen. »Dies gestaltet sich allerdings schwierig, da die Kassen aufgrund des Gesundheitsfonds eng kalkulieren müssen.«
Ein weiteres KBV-Konzept wird schon seit einem Jahr in Baden-Württemberg praktiziert. Dort haben die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, die Betriebskrankenkassen (BKK) des Bundeslandes und die Kassenärztliche Bundesvereinigung einen Vertrag zur qualitätsgesicherten Versorgung von Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) geschlossen.
Inzwischen hätten sich 170 Ärzte und Psychotherapeuten sowie 963 Versicherte eingeschrieben, berichtet die KBV. Sie wertet dies als Erfolg. /