Eine alte Seuche ganz aktuell |
15.03.2016 09:45 Uhr |
Von Bettina Wick-Urban / Bis 2050 soll Deutschland frei von Tuberkulose sein. Jedoch steigen die Erkrankungszahlen wieder an. Schwere Tuberkuloseverläufe bei HIV-Patienten und resistente Erreger stellen das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Neue Diagnostika sowie Impfstoffe und Therapeutika gegen multiresistente Erreger sind notwendig, um die Tuberkulose auszurotten.
Vor circa 130 Jahren entdeckte Robert Koch den Erreger der Tuberkulose (TB). Noch immer ist TB eine lebensbedrohliche Infektion mit hohen Erkrankungsraten weltweit. 2015 hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ziel gesetzt, diese alte Infektionskrankheit, deren früheste Spuren sich bei einem Skelett eines Homo erectus aus der Steinzeit finden, weltweit auszurotten (1).
In Ländern mit geringen Erkrankungszahlen von weniger als zehn TB-Fällen pro 100 000 Einwohner (wie Deutschland) soll die Neuinfektionsrate bis 2035 auf weniger als eine Erkrankung pro 100 000 Einwohner sinken; 2050 soll die TB eliminiert sein (weniger als ein Fall pro 1 Million Einwohner). Hierfür muss die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland jedes Jahr um 10 Prozent sinken. Jedoch steigt sie vor allem in den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin wieder an, auf derzeit 5,6 Fälle/100 000. Auch der Anteil der Erkrankungen durch multiresistente Erreger nimmt zu. Gemäß Analysen des Robert-Koch-Instituts (RKI) steigt die Erkrankungsrate vor allem durch die aktuelle Zuwanderung von Menschen aus Ländern mit hohen Infektionsraten, zum Beispiel Somalia oder Eritrea (2, 3).
Mycobacterium tuberculosis
Der wichtigste Erreger der TB, Mycobacterium tuberculosis, ist ein aerobes grampositives Stäbchen-Bakterium, das sich extrem langsam alle 16 bis 20 Stunden teilt. Weitere Mykobakterien wie M. bovis, M. africanum, M. canetti und M. microti werden in Deutschland sporadisch nachgewiesen. M. kansasii, M. avium und andere Mykobakterien können in seltenen Fällen tuberkuloseähnliche Krankheitsbilder verursachen. Eine Ansteckungsgefahr geht von diesen atypischen Mykobakterien in der Regel nicht aus. Für M. tuberculosis und M. africanum ist der Mensch das einzige relevante Reservoir. M. bovis vermehrt sich auch in Rindern und manchen Wildtieren (5).
TB wird am häufigsten durch Tröpfcheninfektion übertragen. Es genügt die Inhalation von nur wenigen Mikrotröpfchen, die einen bis drei Erreger enthalten. Die höchste Ansteckungsgefahr geht von Erwachsenen mit offener Lungen-TB aus, bei denen Bakterien im Sputum mikroskopisch nachweisbar sind. Kinder sind selten Überträger, da die ausgeschiedene Bakterienmenge selbst bei offener Lungen-TB zu gering ist (5).
Seltener wird TB in Deutschland auf parenteralem Weg, durch Geschlechtsverkehr, Schmierinfektionen oder von der Mutter auf das Kind intrauterin oder während der Geburt übertragen. Infektionen durch den Verzehr von infizierten Nahrungsmitteln wie Milch oder rohes Rindfleisch sind in Industrieländern, wo die Rinderbestände weitgehend tuberkulosefrei sind und die Milch pasteurisiert wird, sehr selten, während dies in anderen Teilen der Welt bis heute eine verbreitete Infektionsquelle darstellt (5).
Pathologie und Klinik
Die Inkubationszeit beträgt im Durchschnitt sechs bis acht Wochen. Nur etwa 5 bis 10 Prozent der mit M. tuberculosis Infizierten erkranken tatsächlich im Lauf ihres Lebens an TB. Betroffen sind besonders Menschen mit geschwächtem Immunsystem, zum Beispiel HIV-Patienten. Daneben beeinflussen der Ernährungszustand, eine genetische Disposition, aber auch die Menge der aufgenommenen Bakterien und die Häufigkeit des Kontakts mit Erkrankten das Infektionsrisiko. Die Lunge ist mit etwa 80 Prozent das mit Abstand am häufigsten betroffene Organ.
Meistens gelingt es dem Organismus, die Bakterien abzukapseln und damit die Infektion dauerhaft einzugrenzen. Man spricht dann von einer latenten TB. Dabei phagozytieren Makrophagen die Erreger in den Lungenbläschen, können sie jedoch nicht abtöten. Weitere Immunzellen, freigesetzt aus den Lymphknoten, schütten proinflammatorische Zytokine aus. Um den anfänglichen Infektionsherd bildet sich ein Entzündungsherd und das Gewebe nekrotisiert. Die kleinen charakteristischen Knötchen (»Tuberkel«) verursachen keine Beschwerden, isolieren die Bakterien und verhindern deren Weiterverbreitung. Aber auch Jahrzehnte nach der primären Infektion kann es zu einer aktiven TB-Erkrankung kommen (Reaktivierung), wenn das Immunsystem geschwächt ist, zum Beispiel bei einer Therapie mit TNF-α-Inhibitoren oder durch eine Reinfektion (5).
Eine aktive Infektion geht mit meist uncharakteristischen Symptomen einher, zum Beispiel Müdigkeit und Schwäche, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, geschwollene Lymphknoten, leichtes Fieber, Nachtschweiß und ständiges Hüsteln ohne viel Auswurf. Heiserkeit kann auf eine Kehlkopfbeteiligung mit erhöhter Ansteckungsgefahr hinweisen. Schwere Verläufe mit blutigem Auswurf, starker Blutarmut und Untergewicht treten in Deutschland selten auf (5).
Bei Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr, zum Beispiel bei HIV, Leberzirrhose oder Alkohol- und Drogenabhängigkeit, können sich die Bakterien über die Blut- oder Lymphbahnen verbreiten und weitere Organe befallen. Besonders gefährdet sind auch Säuglinge und Kleinkinder.
Die Hauptkomplikationen einer primären Generalisation sind die Miliar-TB und die tuberkulöse Meningitis. Bei der Miliar-TB finden sich hirsekorngroße (lateinisch: Milium, Hirsekorn) Herde in mehreren Organen: neben der Lunge auch in den Hirnhäuten, in Leber, Milz oder Nieren. Unbehandelt führen eine Miliar-TB und eine tuberkulöse Meningitis fast immer zum Tod. Auch in den Knochen und Gelenken oder im Urogenitaltrakt kann sich viele Jahre nach einer primären Streuung durch Reaktivierung noch eine Infektion entwickeln (5).
Wichtige Diagnostik
Entscheidend für eine effektive TB-Bekämpfung ist die schnelle Identifizierung infizierter Personen. Nachgewiesen wird eine latente Infektion mit dem Tuberkulin-Hauttest (THT) oder dem Interferon-Gamma-Test (IGT) (Tabelle 1). Daneben spielen Röntgendiagnostik, Mikroskopie und der kulturelle Nachweis bei der Erkennung und Verlaufsbeurteilung während der Behandlung eine entscheidende Rolle (5).
Die genaue Mykobakterien-Spezies wird durch Anzucht der Erreger bestimmt, die jedoch zeitaufwendig ist. Ist ein schneller Nachweis bei besonders gefährdeten Patienten oder bei Verdacht auf eine multiresistente TB notwendig, erfolgt dieser mit dem Nukleinsäure-Amplifikations-Verfahren (NAAT). Ein kultureller Nachweis ist zusätzlich notwendig, da die Sensitivität nur bei 80 bis 90 Prozent liegt (5). Schnellere, preisgünstigere und kleinere Testsysteme, basierend auf dem NAAT-Verfahren, sind in Entwicklung (6).
M. tuberculosis ist resistent gegenüber schwachen Desinfektionsmitteln wie Chloramin T oder anderen Halogenverbindungen. Wirksam zur Händedesinfektion sind Produkte auf Alkoholbasis wie Ethanol oder Isopropanol. Wichtig: Die Hände mit der Lösung einreiben und während der vorgeschriebenen Einwirkungszeit feucht halten. Bei Kontamination mit Tuberkulose-Bakterien soll die Desinfektion zweimal erfolgen (8).
Rascher Therapiebeginn entscheidend
Neben dem raschen Identifizieren Erkrankter und deren Isolierung ist das schnelle Einleiten einer effizienten Therapie, auch bei einer latenten TB wichtig.
Nichtinfizierte Risikopatienten bekommen eine medikamentöse Prophylaxe, um eine Ansteckung zu verhindern (7). Für alle Kinder bis zum fünften Lebensjahr wird eine Chemoprophylaxe zeitnah nach Kontakt mit einem infektiösen, an TB erkrankten Patienten empfohlen, wenn sie bisher nicht infiziert sind oder die Infektion nicht nachweisbar ist. Dies sollte auch bei älteren Kindern und Erwachsenen erwogen werden, wenn eine angeborene, erworbene oder medikamentös induzierte Immunschwäche vorliegt (7).
Die Chemoprophylaxe erfolgt mit Isoniazid (INH) 200 mg/m2 Körperoberfläche bei Kindern und 300 mg/d bei Erwachsenen für acht bis zwölf Wochen, wenn bei der Kontaktperson keine Resistenz gegenüber INH bekannt ist. Bleiben die Tests dann negativ und die Kontaktperson beschwerdefrei, kann die INH-Einnahme beendet werden. Bei positivem Testergebnis wird die Chemoprophylaxe nach Ausschluss einer Organtuberkulose als präventive Chemotherapie über insgesamt neun Monate fortgesetzt, um eine aktive Erkrankung zu verhindern (7).
Eine Chemoprävention wird empfohlen, wenn eine latente Infektion bei Personen mit positivem Testergebnis und zusätzlichen Risikofaktoren wie Immunsuppression vorliegt. Ziel ist es, spätere aktive Erkrankungen durch Reaktivierungen zu verhindern. Im Gegensatz zur manifesten TB sind bei einer latenten Infektion die Keimzahlen sehr klein. Daher ist die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Resistenzmutation sehr gering und eine Monotherapie ausreichend. Empfohlen wird die Behandlung mit INH (5 mg/kg Körpergewicht (KG), maximal 300 mg) über neun Monate oder 600 mg Rifampicin über vier Monate oder die Kombination für drei bis vier Monate (7).
Verfahren | Wirkweise | Sensitivität und Spezifität |
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Tuberkulin-Hauttest (THT) | Injektion einer standardisierten Menge an Tuberkulin (Antigengemisch aus Tuberkulose-Erregern) in die Haut und Ablesen der Hautreaktion nach 72 Stunden. Besteht eine Immunreaktion gegen Tuberkulose, reagieren T-Zellen auf das Antigen und rufen eine lokale Schwellung hervor (verzögerte Immunreaktion, Typ-IV-Reaktion). | Sensitivität: 80 Prozent (gering), falsch-negativ bei immunsupprimierten Personen Spezifität: 85 Prozent (gering), falsch-positive Reaktion durch BCG oder nichttuberkulöse Mykobakterien |
Interferon-Gamma-Test (IGT) | Hoch spezifische Antigene aus M. tuberculosis werden bei 37 ºC mit frischem Vollblut inkubiert. Im Zellüberstand wird die Konzentration an Interferon-γ gemessen. IFN γ wird von Gedächtnis-T-Lymphozyten freigesetzt, wenn den T-Zellen die Antigene schon einmal präsentiert wurden. | Sensitivität: 83 Prozent (gering) Spezifität: 91 Prozent (hoch) |
Nukleinsäure- Amplifikationsverfahren (NAAT) | In Speichelproben werden mittels Polymerase-Kettenreaktion für M. tuberculosis und Rifampicin-Resistenz charakteristische DNA-Abschnitte vervielfältigt und anschließend identifiziert. | Sensitivität: 80 bis 90 Prozent (gering) Spezifität: 100 Prozent (hoch) |
Neue Impfstoffe
Eine weltweite Ausrottung der TB ist nur durch einen Impfstoff möglich. Der einzige derzeit verfügbare Lebendimpfstoff Bacillus Calmette Guérin (BCG) wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des RKI aufgrund der geringen Wirksamkeit und der schlechten Verträglichkeit nicht mehr empfohlen (5).
Mehrere Ansätze werden bei der Entwicklung neuer TB-Impfstoffe verfolgt. Neben der Verbesserung der BCG-Vakzine und der Entwicklung eines abgeschwächten M.-tuberculosis-Impfstoffs untersuchen Forschergruppen Zubereitungen, die entweder ein zirkuläres Virusgenom mit der Erbinformation für ein M.-tuberculosis-Protein enthalten oder das bakterielle Protein selbst. Diese sollen adjuvant als Booster-Impfstoffe eingesetzt werden. Ein immuntherapeutischer Impfstoff soll die Therapiedauer verkürzen. Derzeit sind circa 15 Kandidaten in der klinischen Prüfung.
Am weitesten fortgeschritten ist M. Vaccae, ein hitze-inaktivierter Mykobakterium-Extrakt, der in China entwickelt wurde und derzeit in einer letzten klinischen Phase vor der Zulassung getestet wird. In den bisherigen Studien war der Impfstoff gut verträglich und hoch immunogen.
MVA85A enthält ein modifiziertes Vaccinia Virus Ankara mit der Erbinformation des M.-tuberculosis-Antigens 85 A. In einer Studie mit 2797 Kindern war der Impfstoff gut verträglich und immunogen, schützte jedoch nicht vor einer TB-Infektion. M72+AS01E enthält die fusionierten Proteine der M.-tuberculosis-Antigene M72 und AS01E zusammen mit einem Adjuvans. Der Impfstoff war in Studien gut verträglich und stark immunogen (9).
Arzneistoff | Dosisbereich (mg/kg KG), Minimal- und Maximaldosis (mg) | Wirkmechanismus und Wirkung | häufige Nebenwirkungen | wichtige Wechselwirkungen |
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Isoniazid (INH) | 4-6 200/300 Kinder: 200 mg/m2 KOF | Hemmung der Mycolsäuresynthese und Störung der Membranpermeabilität, bakterizid auf rasch proliferierende, intra- und extrazelluläre TB-Bakterien | Transaminasenerhöhung, Akne, Konzentrationsstörungen | INH-Serumspiegel erhöht durch Prednisolon, PAS und Protionamid erhöht den Serumspiegel von Cumarinen, Phenytoin, Valproat, Theophyllin, Carbamazepin und Diazepam senkt den Serumspiegel von Azolen interagiert mit Vitamin B6 (Neuropathie) |
Rifampicin (RMP) | 8-12 450/600 Kinder: 350 mg/m2 KOF | Blockade der Transkription und Synthese der m-RNA bakterizid und sterilisierend auf intra- und extrazelluläre Mykobakterien | Transaminasenerhöhung, Cholestase, Rotfärbung von Körperflüssigkeiten wie Urin, Tränen (Kontaktlinsen) | P450-Induktor, unter anderem verringerte Wirkung hormoneller Kontrazeptiva |
Ethambutol (EMB) | 15-25 800/1600 Kinder: 850 mg/m2 KOF | Behindert Zellwandaufbau durch Inhibition der Biosynthese von Arabogalactanen und -mannanen Bakteriostatisch gegen intra- und extrazelluläre M. tuberculosis | retrobulbäre Neuritis, Arthralgie, Hyperurikämie (alle treten selten auf) | verminderte Resorption durch Antazida: Senkung des Blutspiegels |
Pyrazinamid (PZA) | 20-30 1500/2500 Kinder: 30 mg/kg KG/d | Wirkmechanismus nicht bekannt, im sauren Milieu (pH-Optimum 5,5) bakterizid und sterilisierend gegen intra- und extrazelluläre M. tuberculosis | Transaminasenerhöhung, Übelkeit und Erbrechen, Flush-Syndrom, Myopathie, Arthralgie, Hyperurikämie | Hemmung der tubulären renalen Harnsäureausscheidung: Hyperurikämie |
KG: Körpergewicht, KOF: Körperoberfläche
Therapie immer als Kombi
Die Behandlung der TB erfolgt ausschließlich als Kombinationstherapie. Durch den Medikamenten-Mix mit unterschiedlichen Wirkorten und -mechanismen wird eine synergistische Wirkung erzielt und die Selektion oder Entwicklung resistenter Keime vermieden. Vier Erstrangmedikamente stehen zur Verfügung:
Sie sind mikrobiologisch hoch wirksam, in der Regel gut verträglich und ihre Wirksamkeit wurde in Studien nachgewiesen (Tabelle 2).
INH und RMP sind die wichtigsten bakteriziden und resistenzvermeidenden Medikamente. INH hat die höchste frühe bakterizide Wirkung. RMP hat den besten »sterilisierenden« Effekt auf Erreger mit niedrigem Metabolismus und die größte Potenz, eine Resistenzentstehung zu verhindern. Die Erfolgsrate einer Standardtherapie bei Erwachsenen ohne Risikofaktoren beträgt circa 85 Prozent.
Als Zweitrangmedikamente werden Substanzen bezeichnet, die geringer wirksam und schlechter verträglich sind und/oder die klinischen Studienergebnisse nicht eindeutig die Effektivität belegen. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem
Zweitrangmedikamente werden eingesetzt, wenn Resistenzen gegenüber den Erstrangsubstanzen vorliegen (7; Tabelle 3). Wichtig für die Beratung:
Während einer Therapie mit den Standardmedikamenten kann die Frau stillen, da die mit der Milch aufgenommenen Substanzkonzentrationen zu gering sind, um beim Säugling unerwünschte Wirkungen auszulösen. Bei gleichzeitiger antituberkulöser Therapie von Mutter und Kind können die Wirkstoffspiegel beim Kind leicht erhöht sein und somit vermehrt Nebenwirkungen auftreten. Eine Dosisreduktion beim Kind sollte jedoch nicht erfolgen (7).
Die Therapie der TB bei Medikamentenresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem oder mehreren Erstrangmedikamenten ist bislang wenig klinisch untersucht. Sie richtet sich nach den Ergebnissen des molekularbiologischen Resistenztests (7; Tabelle 3). Die Behandlung von Patienten mit MDR-TB sollte ausschließlich in spezialisierten klinischen Zentren erfolgen gemäß den Therapieempfehlungen der WHO (10).
Patientengruppen | Initialtherapie (Dauer) | Erhaltungstherapie (Dauer) |
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Lungen-TB oder extrapulmonale TB mit nicht resistenten Erregern | ||
Erwachsene ohne Risikofaktoren Stillende Frauen | INH, RMP, PZA, EMB (2 Monate) | INH, RMP (4 Monate) |
Kinder mit unkompliziertem Verlauf | INH, RMP, PZA (2 Monate) | INH, RMP (4 Monate) |
Kinder mit kompliziertem Verlauf | INH, RMP und PZA oder INH, RMP, PZA und EMB (2 Monate) | INH und RMP (7 Monate bei initialer Dreifach- oder 4 Monate bei Vierfach-Kombi) |
Schwangere | INH (+ Pyridoxin), RMP und PZA oder INH, RMP und EMB (2 Monate) | INH und RMP (4 oder 7 Monate bei Einsatz von EMB) |
Miliartuberkulose und Meningitis tuberculosa | ||
Alle Patienten | INH, RMP, PZA und EMB (2 Monate) | INH und RMP (10 Monate) |
TB mit resistenten Erregern | ||
Erwachsene mit Monoresistenz gegen INH | RMP, PZA, EMB und Streptomycin (2 Monate) | RMP und EMB (7 Monate) |
Erwachsene mit Monoresistenz gegen RMP | INH, PZA, EMB und Fluorchinolon (2 Monate) | INH und EMB (16 Monate) |
Kinder mit resistenter TB | INH, RMP und PZA oder INH, RMP, PZA und EMB (2 Monate) | INH und RMP (7 Monate bei initialer Dreifach- oder 4 Monate bei Vierfach-Kombi) |
Neue Therapieoptionen
Seit 2014 stehen mit Delamanid (Deltyba®) und Bedaquilin (Sirturo®) zwei neue Antibiotika zur Verfügung, die in Kombination mit anderen TB-Medikamenten zur Behandlung von MDR-TB bei Erwachsenen eingesetzt werden. Jedoch wurde kürzlich bei einem Patienten ein erster Erregerstamm nachgewiesen, der gegen beide Antibiotika resistent war. Bei Kindern und Jugendlichen liegen noch keine Erfahrungen vor.
Delamanid blockiert die Synthese der Zellwandbestandteile Methoxy- und Ketomykolsäure von M. tuberculosis und zeigt in vitro eine starke anti-TB-Aktivität. Bislang wurde keine Kreuzresistenz mit INH und EMB gefunden, die ebenfalls die Zellwandsynthese hemmen. Delamanid wirkt gegen verschiedene multiresistente TB-Stämme, auch wenn Resistenzen gegen INH und RMP vorliegen.
In einer klinischen Studie mit 321 MDR-TB-Patienten war die Behandlung mit Delamanid 100 mg zweimal täglich zusätzlich zu einer optimierten Basistherapie mit vier oder fünf Antituberkulose-Medikamenten stärker wirksam als die Basistherapie allein. Signifikant mehr Patienten in der Delamanid-Gruppe hatten am Ende der achtwöchigen Studie eine negative Sputumkultur (45,4 gegenüber 29,6 Prozent). Häufige Nebenwirkungen waren verlängertes QT-Intervall im EKG, abnormale Leberwerte, Bluthusten, Hypokaliämie, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Parästhesien, Tremor, Tinnitus, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Erbrechen, Durchfall und Oberbauchschmerzen (11, 12). Patienten, die nach Studienende weitere sechs Monate Delamanid plus Basistherapie erhielten, hatten eine bessere Prognose (12). Empfohlen wird des- halb, über 24 Wochen zweimal täglich 100 mg zusammen mit einer Mahlzeit einzunehmen (für Erwachsene).
Bedaquilin, der zweite neue Arzneistoff, hemmt die mykobakterielle ATP-Synthase und wirkt bakterizid auf sich teilende und auf ruhende TB-Erreger. In einer klinischen Studie mit 160 Patienten mit neu diagnostizierter pulmonaler MDR-TB hatten die mit Bedaquilin plus einer Basistherapie (Ethionamid, Kanamycin, Pyrazinamid, Ofloxacin und Cycloserin/Terizidon) behandelten Patienten signifikant früher eine negative Sputumkultur als Patienten, die Placebo plus Basistherapie erhielten (nach 83 gegenüber 125 Tagen). Fast doppelt so viele (58 gegenüber 32 Prozent) waren nach 24 Wochen Bedaquilin plus Basistherapie und weiteren 96 Wochen Basistherapie geheilt. Neue Resistenzen entwickelten zwei Patienten in der Bedaquilin-Gruppe und 16 unter Placebo (13).
In einer zweiten Studie war der neue Arzneistoff plus Basistherapie auch bei Patienten mit XDR-TB wirksam. Eine negative Sputumkultur wurde bei 73 gegenüber 62 Prozent der Patienten nachgewiesen (14).
Die empfohlene Dosierung in Woche 1 und 2 beträgt 400 mg einmal täglich und in Woche 3 bis 24 dann 200 mg dreimal pro Woche, zusammen mit einer Mahlzeit. Sehr häufig (mehr als 10 Prozent) berichteten die Patienten über Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Arthralgie. Diarrhö, erhöhte Transaminasen-Werte und Myalgie wurden ebenfalls beobachtet. Eine Verlängerung des QT-Intervalls war unter Bedaquilin weniger häufig als bei Delamanid.
Wichtig in der Beratung bei beiden Wirkstoffen:
Andere QT-verlängernde Arzneimittel wie Fluorochinolon-Antibiotika können den verlängernden Effekt auf das QT-Intervall verstärken (11-14).
In klinischer Erprobung
Weitere Arzneistoffe zur Behandlung der TB befinden sich in klinischer Erprobung. Sutezolid ist ein Analog von Linezolid, ein Oxazolidinon, das aufgrund seiner neuro- und hämatotoxischen Eigenschaften nur zur Zweitlinienbehandlung bei resistenten TB-Erkrankungen eingesetzt wird. Die Oxazolidinone binden an die 50S-Ribosom-Untereinheit und blockieren die bakterielle Proteinsynthese. In vitro zeigt Sutezolid eine starke bakterizide Wirkung gegen M. tuberculosis ohne Kreuzresistenzen mit anderen TB-Mitteln. Eine erste klinische Studie bestätigte die bakterizide Aktivität bei sensitiver TB und eine bessere Verträglichkeit (15). AZD5847, ein weiteres Oxazolidinon-Analogon zeigte in vitro eine starke bakterizide Wirkung und wird derzeit klinisch untersucht (16).
Pretomanid hat einen dualen Wirkmechanismus und hemmt sowohl die Bildung der für den Zellwandaufbau wichtigen Mykolsäure als auch die Zellatmung durch Freisetzung von Stickstoffmonoxid. Im Vergleich zu einer Standardbehandlung mit INH, RMP, PZA und EMB wirkte eine achtwöchige Behandlung mit Moxifloxacin, 200 mg Pretomanid und PZA stark bakterizid bei zuvor unbehandelten Patienten. Auch bei MDR-TB-Patienten war Pretomanid wirksam. Die Kombination wurde im Allgemeinen gut vertragen; neben Hyperurikämie traten Übelkeit und Erbrechen auf. Verlängerungen des QT-Intervalls wurden nicht beobachtet (17).
Der Anti-Interleukin-4(IL-4)-Antikörper Pascolizumab soll – zusätzlich zur normalen Therapie gegeben – die Clearance von M. tuberculosis aus dem Körper verbessern und dadurch die Behandlungsdauer von sensitiven TB-Erkrankungen verkürzen (18). /
Bettina Wick-Urban studierte Pharmazie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Nach ihrer Promotion 1996 in Basel und Freiburg mit einer Arbeit über experimentelle Krebstherapien arbeitete sie bis 1998 als Referentin bei der Arzneimittelinformationsstelle der ABDA. Danach wechselte sie in die pharmazeutische Industrie und war von 1999 bis 2004 in der klinischen Forschung tätig, davon zwei Jahre in USA. Seit 2004 ist Wick-Urban in verschiedenen Positionen im Marketing und in der medizinisch-wissenschaftlichen Information beschäftigt. Mitte 2006 schloss sie ein Journalismusstudium ab.
Dr. Bettina Wick-Urban
E-Mail: wickurban@web.de
Literatur