Spezialisten gesucht |
12.03.2012 14:48 Uhr |
Von Götz Schütte, Hannover / Seit dem schweren Erdbeben im Januar 2010 ist das deutsche und europaweit größte Medikamenten-Hilfswerk Action Medeor auch in Haiti aktiv. Nach wie vor herrscht dort der Ausnahmezustand. Nach wie vor fehlt es an Medikamenten.
Um die zum Teil drastischen Lücken in der Arzneimittel-Versorgung weiter abzubauen, soll die lokale Produktion von Arzneimitteln gestärkt werden. Außerdem ist die GMP-gerechte Ausbildung von Studenten geplant. Action Medeor sucht noch pharmazeutische Unterstützung.
Das Hilfswerk, das 2010 in weltweit 140 Länder 487 Tonnen Arzneimittel und medizinische Geräte im Wert von insgesamt fast 12 Millionen Euro verschickte, hat sich nicht nur die akute Not- und Katastrophenhilfe auf die Fahnen geschrieben. Es fördert unter anderem auch den Aufbau lokaler Produktionsstätten zur Herstellung bezahlbarer Medikamente für Menschen in Entwicklungsländern. »Diese Eigenherstellung muss auch und gerade in Haiti dringend ausgeweitet werden, da die Bevölkerung kaum Zugang zu qualitativ hochwertigen Arzneimitteln hat«, betonte Dr. Julia Micklinghoff, von Action Medeor, im Gespräch. »Besonders die Lage kranker Menschen in dem von Katastrophen heimgesuchten Inselstaat sei auch zwei Jahre nach dem Erdbeben fatal. Schwere Krankheiten wie die Cholera hätten sich ausgebreitet. Und auch scheinbar harmlose Leiden bedeuteten unbehandelt insbesondere für Kinder häufig Lebensgefahr.
In Haiti, so Micklinghoff, gäbe es drei lokale Arzneimittel-Hersteller, deren Produktion jedoch noch nicht den internationalen WHO-Leitlinien der Good Manufacturing Practice (GMP) entspreche. Action Medeor helfe den Herstellern beim Bau neuer GMP-konformer Produktionsanlagen, in denen zukünftig auch HIV- und Malaria-Medikamente produziert werden sollen. »Wir bieten Schulungen und Beratungen zum Thema GMP nicht nur für diese lokalen Unternehmen, sondern zudem für Behördenmitarbeiter und Studenten an. Wir unterstützen insbesondere auch die Apotheke des Universitätsklinikums in Port-au-Prince bei der Eigenherstellung von Medikamenten«, sagte Micklinghoff.
Zweifelhafter Handel
Die Krankenhaus-Apotheke in Port-au-Prince ist für die Versorgung stationärer als auch in der Klinikambulanz behandelter Patienten zuständig. Die Kosten für Klinik-Arzneimittel übernimmt der Staat – sofern die Medikamente vorhanden sind. Aufgrund der großen Versorgungslücken wird die auf Anforderungsbögen der Stationen erstellte Medikamentenliste oftmals einfach reduziert oder gänzlich gestrichen. Die sehr begrenzten Arzneimittel-Sortimente zwingen Patienten und Angehörige, notwendige Medikamente auf eigene Faust und Rechnung außerhalb des Krankenhauses zu beschaffen. Ein schwieriges, fast unmögliches Unterfangen. Insbesondere importierte Marken-Arzneimittel aus dem Ausland gelten als unbezahlbar, sodass Betroffene stattdessen günstige Medikamente zweifelhafter Qualität kaufen müssen, die von Straßenhändlern ohne jegliche Qualifikation angeboten werden. Mit einer ärztlichen Verordnung können Patienten zwar ausgewählte Präparate in der Apotheke des Universitätsklinikums kaufen. Ist das gewünschte Medikament aber nicht vorhanden oder kann der Patient nicht zahlen, wird er abgewiesen und muss sein zweifelhaftes »Glück« in einer der umliegenden Apotheken beziehungsweise im Straßenhandel suchen.
Micklinghoff hebt die Stärkung der lokalen Eigenherstellung in dem Inselstaat als wichtigen Weg aus dem Dilemma hervor. Ob Unternehmen, Behörden oder Universität: Allen mangele es an qualifiziertem Personal für die hoch spezialisierten Aufgaben im GMP-Bereich. Für Mitarbeiter der lokalen Arzneimittelhersteller, Vertreter des Gesundheitsministeriums, Krankenhausapotheker und Pharmazie-Studenten habe die Action Medeor daher im April 2011 in Haiti einen ersten GMP-Workshop organisiert. Dem haitianischen pharmazeutischen Personal wurden grundlegende Prinzipien und praktische Übungen gezeigt, um Standard Operating Procedures (SOPs) und Qualifizierungspläne zu erstellen. Vermittelt wurden auch Kenntnisse zur Dokumentation, Validierung, Change Control/Deviation Control, Hygiene und Reinigung beziehungsweise Fähigkeiten im Umgang mit Referenzsubstanzen und chemischen Reagenzien und Geräten. Weitere Projekte wie die Durchführung zusätzlicher (GMP-)Aufbauschulungen, die Ausstattung der staatlichen Universität in Port-au-Prince mit einem »Minilab« für die Studenten-Ausbildung in der Qualitätskontrolle sowie die Unterstützung des Herstellungslabors der Krankenhausapotheke des »Hôpital de l’Université de l´Etat d´Haïti« mit Ausgangs-Substanzen für die Arzneimittel-Herstellung sind geplant. Als Referenten werden derzeit speziell Fachleute aus den Bereichen Produktion, Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle gesucht. Wichtig sind gute französische Sprachkenntnisse. »Wir brauchen die Unterstützung von Pharmazeuten und Arzneimittel-Fachleuten«, unterstrich Micklinghoff. Pharmazeuten, die an einem ehrenamtlichen Einsatz interessiert sind, erhalten bei der Action Medeor detaillierte Informationen. /
Das Deutsche Medikamenten-Hilfswerk Action Medeor wurde 1964 mit dem Ziel gegründet, bedürftigen Menschen in Entwicklungsländern mit Basismedikamenten und medizinischem Kleingerät zu helfen. Neben der Beschaffung von Arzneimitteln liegen in der pharmazeutischen Fachberatung und Durchführung eigener Gesundheitsprojekte in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen zwei weitere Schwerpunkte.
Auch für pharmazeutische Projekte in Ost- und Westafrika ist Action Medeor auf der Suche nach ehrenamtlichen Experten aus Pharmaindustrie und Behörden. Weiterhin werden Gerätespenden (Analytik, Produktion, R&D) gern entgegengenommen, die dann in Universitätslaboren (aktuell Tansania und Ghana), aber auch in lokalen Herstellbetrieben oder Krankenhäusern eingesetzt werden können.
Action Medeor e. V., St. Töniser Straße 21, 47918 Tönisvorst, Telefon: 02156 9788-100, E-Mail: info(at)medeor.de, www.medeor.de; Spendenkonto: Sparkasse Krefeld, Kontonummer: 9993, BLZ: 320 500 00