Wettlauf mit der Zeit |
18.02.2013 21:24 Uhr |
Von Sven Siebenand, Mannheim / Ein »einfacher« epileptischer Anfall dauert in der Regel maximal fünf Minuten und ist zu 99,9 Prozent selbstlimitierend. Dauert der Anfall länger als fünf Minuten, sollten Ärzte ihn als potenziell lebensbedrohlichen Status epilepticus wahrnehmen und sofort entsprechend behandeln. Welche Medikamente wann zum Einsatz kommen.
Wie Professor Dr. Martin Holtkamp aus Berlin auf der Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin informierte, wird eine spontane Terminierung des Anfalls umso unwahrscheinlicher, je länger er andauert. Die Wahrscheinlichkeit eines spontanen Sistierens liege nach einer halben Stunde zum Beispiel nur noch bei 7 Prozent.
Der Grund: Je länger der Anfall anhält, desto stärker ist der Rückgang an postsynaptischen GABAA-Rezeptoren. Der körpereigene Neurotransmitter GABA stößt dann nicht mehr auf genügend Rezeptoren, um den Anfall von selbst zu beenden. Der dramatische Abfall an GABAA-Rezeptoren zieht aber noch ein zweites Problem nach sich. Viele Antiepileptika entfalten ihre Wirksamkeit über einen Angriff am GABAA-Rezeptor und wirken dann umso schlechter, je länger der Anfall dauert. »Uns läuft die Zeit davon, die Patienten zu behandeln«, brachte Holtkamp diese progrediente Pharmakoresistenz auf den Punkt.
Bereits vor dem Eintreffen im Krankenhaus sollten Patienten im Status epilepticus daher ein Benzodiazepin erhalten. Holtkamp informierte, dass mit einer intravenösen Gabe von 2 mg Lorazepam in gut 60 Prozent aller Fälle der Status epilepticus zu durchbrechen sei. Eine Studie habe gezeigt, dass die intramuskuläre Midazolam-Gabe (10 mg ab 40 kg KG, 5 mg darunter) sogar noch erfolgreicher ist. Bei fast drei Viertel aller Patienten konnte der Status epilepticus damit beendet werden.
Je später, desto schlechter
Wird der Patient erst im Krankenhaus behandelt, muss er Holtkamp zufolge höhere Dosen erhalten. Ein Beispiel: Beginnt man 20 Minuten später mit der Behandlung, ist eine vierfach höhere Dosis notwendig, zum Beispiel 7 bis 8 mg Lorazepam intravenös. Dadurch erhöht sich wiederum das Risiko für Nebenwirkungen. Als Secondline-Optionen, die sich in ihrer Wirksamkeit kaum unterscheiden, nannte der Referent Phenytoin, Valproinsäure und Levetiracetam.
Was tun, wenn der Status epilepticus trotz der genannten Therapieoptionen nicht zu durchbrechen ist? Immerhin ist das bei etwa einem Drittel aller Patienten der Fall. Mediziner sprechen vom refraktären Status epilepticus. Nach spätestens einer Stunde sollte von einem solchen ausgegangen werden. Hier ist zu berücksichtigen, welche Form des Status epilepticus vorliegt. Bei einem komplex-fokalen Status epilepticus kommt es weder zu akuten systemischen Komplikationen noch zu chronischen neuronalen Schäden. Holtkamp empfahl, im weiteren Verlauf mit Levetiracetam, Phenobarbital oder Valproinsäure zu behandeln.
Anders sieht es bei der generalisiert-konvulsiven Form oder der Sonderform Subtle aus. Ein refraktärer Status epilepticus kann Holtkamp zufolge durch die Freisetzung von Catecholaminen dramatische Folgen haben, zum Beispiel eine Tachyarrhythmie. »Daran können die Patienten versterben, wenn sie nicht gut behandelt werden.« Die Patienten müssen intubiert werden und mit einem Anästhetikum behandelt werden, etwa Thiopental, Propofol oder Midazolam. /
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie rät Laienhelfern, bei Verdacht auf Vorliegen eines Status epilepticus immer den Notarzt zu verständigen – unabhängig davon, ob sie möglicherweise schon ein Notfallmedikament verabreicht haben oder nicht. Als allgemeine Maßnahmen werden empfohlen:
Schutz vor Selbstgefährdung und Freihalten der Atemwege (wenn möglich sofortige Entfernung von Zahnersatz, Vermeidung der Applikation jeglicher Gegenstände im Mundraum)
Überwachung von Sauerstoffsättigung, Herzaktion und Atmung