Lipide extrem senken |
07.01.2014 16:50 Uhr |
Von Kerstin A. Gräfe / Mit Lomitapid kam im Dezember 2013 der derzeit vermutlich stärkste lipidsenkende Arzneistoff auf den Markt. Da die Wirkung jedoch mit vielen Nebenwirkungen verbunden ist, hat der Neuzugang einen schmalen Indikationsbereich. Zugelassen ist er für Erwachsene mit einer seltenen Erbkrankheit, die mit extrem hohen Cholesterolspiegeln einhergeht.
Das Orphan Drug Lomitapid (Lojuxta® 5 mg, 10 mg und 20 mg Hartkapseln, Aegerion Pharmaceuticals) ist der letzte Neuzugang des vergangenen Jahres. Der neue Arzneistoff ist eine Therapieoption für Erwachsene mit der Erbkrankheit homozygote familiäre Hypercholesterolämie (HoFH). Die Betroffenen haben aufgrund eines genetischen Defekts des mikrosomalen Triglycerid-Transferproteins (MTP) massiv erhöhte Cholesterol-Blutspiegel (häufig über 500 mg/dl). Die Folgen sind bereits im Jugendlichen- und jungen Erwachsenenalter schwerwiegende atherosklerotische Veränderungen und Herzinfarkte. Die bisherige Standardtherapie sah neben diätetischen Maßnahmen und lipidsenkenden Medikamenten eine regelmäßige Apherese vor, um das Cholesterol aus dem Plasma zu entfernen. Die Lebenserwartung beträgt etwa 30 bis 40 Jahre.
Zugelassen ist Lomitapid in Kombination mit einer fettarmen Diät und anderen lipidsenkenden Arzneimitteln. Der neue Arzneistoff hemmt selektiv MTP, das sich in Leber- und Darmzellen befindet und für die Bindung und den Transport einzelner Lipidmoleküle zwischen den Membranen verantwortlich ist. Infolge der Blockade gelangen weniger Fette in den Blutkreislauf und der Cholesterolspiegel sinkt. Die Sache hat allerdings einen Haken: Da kein Cholesterol mehr von der Leber zu den Zellen transportiert wird, staut es sich in der Leber. Eine Nebenwirkung der Therapie ist dementsprechend eine starke Verfettung der Leber. Aus diesem Grund verlor auch der ursprüngliche Hersteller Bristol-Myers Squibb das Interesse an dem Lipidsenker, da dieser in den meisten Fällen mit den sicheren Statinen nicht konkurrenzfähig sein dürfte. Für Patienten mit HoFH, bei denen Statine zu schwach sind, ist der Wirkstoff dennoch eine Hoffnung.
Die empfohlene Anfangsdosis ist einmal täglich 5 mg. Nach zwei Wochen kann sie auf 10 mg und in Mindestabständen von vier Wochen auf 20 mg, 40 mg und bis zur Höchstdosis von 60 mg erhöht werden. Bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion oder Dialyse-Patienten ist die Dosis zu reduzieren. Gleiches gilt für Patienten, die schwache CYP3A4-Hemmer einnehmen. Wichtig für die Beratung: Die Hartkapseln sollten mindestens zwei Stunden nach dem Abendessen auf nüchternen Magen eingenommen werden.
Da Lomitapid die Leberwerte, insbesondere die Alaninaminotransferase (ALT) und Aspartataminotransferase (AST) erhöhen kann, sind die Leberfunktionswerte vor Therapiebeginn sowie im ersten Jahr vor jeder Dosiserhöhung oder monatlich – je nachdem, was früher eintritt – zu überprüfen. Nach dem ersten Jahr sollten die Leberwerte mindestens alle drei Monate und vor jeder Dosiserhöhung überprüft werden. Sofern erhöhte Aminotransferasen festgestellt werden, muss die Lomitapid-Dosis reduziert beziehungsweise die Therapie abgebrochen werden. Um die potenzielle Entwicklung einer Fettleber zu kontrollieren, sollte vorab und einmal jährlich ein Screening durchgeführt werden. Dieses sollte bildgebende Verfahren und Biomarkermessungen beinhalten.
Kontraindiziert ist der neue Arzneistoff bei Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Beeinträchtigung der Leberfunktion oder ungeklärten, anomalen Leberfunktionswerten. Gleiches gilt für Patienten mit signifikanten oder lang andauernden Darmproblemen. Auch Schwangere dürfen den neuen Arzneistoff nicht erhalten. Da Lomitapid die Plasmakonzentration von Statinen erhöht, ist die gleichzeitige Anwendung mit hohen Dosen Simvastatin (mehr als 40 mg) kontraindiziert. Zudem müssen Patienten, die Lomitapid und ein Statin erhalten, über das potenziell erhöhte Risiko einer Myopathie aufgeklärt und aufgefordert werden, ungeklärte Muskelschmerzen, -empfindlichkeit oder -schwäche umgehend mitzuteilen. Da Lomitapid ein empfindliches Substrat des Cytochroms P450 (CYP) 3A4 zu sein scheint, ist die gleichzeitige Einnahme von starken oder mittelstarken CYP3A4-Hemmern kontraindiziert. Da auch Grapefruitsaft ein mittelstarker CYP3A4-Hemmer ist, sollten Patienten unter Lomitapid ihn nicht trinken.
Dementsprechend ist bei gleichzeitiger Anwendung von CYP3A4-Induktoren davon auszugehen, dass die Lomitapid-Dosis sinkt. Patienten sollten deswegen unter der Therapie auch kein Johanniskraut einnehmen.
Vorsicht ist geboten bei der gleichzeitigen Anwendung weiterer hepatotoxischer Arzneimittel wie Isotretinoin, Amiodaron, Methotrexat, Tetracyclinen oder Tamoxifen. Unter Umständen ist eine häufigere Überwachung der Leberwerte erforderlich. Da Lomitapid die Plasmakonzentration von Warfarin erhöht, muss der INR-Wert dieser Patienten engmaschig überwacht werden.
Aufgrund seines Wirkmechanismus im Dünndarm kann der neue Arzneistoff die Resorption fettlöslicher Nährstoffe senken. Mit Lomitapid behandelte Patienten sollten daher täglich Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, die 400 Internationale Einheiten Vitamin E und mindestens 200 mg Li-nolsäure, 210 mg ALA, 110 mg EPA und 80 mg DHA enthalten.
Die Zulassung basiert auf einer einarmigen, unverblindeten Phase-III-Studie. Die Probanden wurden angehalten, mindestens sechs Wochen vor Beginn der Lomitapid-Therapie eine fettarme Diät sowie ihre bestehende lipidsenkende Therapie einschließlich Apherese beizubehalten.
Die Lomitapid-Dosis wurde von 5 mg schrittweise auf eine individuell bestimmte höchste vertragene Dosis von bis zu 60 mg erhöht. Nach Woche 26 führten die Patienten die Einnahme von Lomitapid in einer Langzeitbehandlung fort, durften jedoch die vorbestehende lipidsenkende Therapie senken. Die Studie umfasste insgesamt 78 Behandlungswochen. 29 Patienten wurden in die Studie aufgenommen, von denen 23 die Woche 78 abschlossen.
Betrachtet man lediglich den Gesamt-Cholesterolspiegel beziehungsweise LDL-Cholesterolspiegel, konnten diese bei den Patienten im Durchschnitt um 35 beziehungsweise 38 Prozent gesenkt werden. Bei mehr als einem Drittel der Probanden wurden die LDL-Cholesterolwerte sogar auf unter 100 mg/dl abgesenkt.
Gastrointestinale Nebenwirkungen wurden von 93 Prozent der Patienten berichtet. Diarrhö trat bei 79 Prozent auf, Übelkeit bei 65 Prozent, Dyspepsie bei 38 Prozent und Erbrechen bei 34 Prozent. Zudem berichteten mindestens 20 Prozent von Bauchschmerzen, Verstopfung und Flatulenz. Bei etwa 30 Prozent wurden erhöhte Aminotransferase-Werte gemessen. Die teils beobachtete Fettanhäufung in der Leber scheint reversibel zu sein. Nicht bekannt ist allerdings, ob histologische Folgeschäden zurückbleiben.
Lojuxta wurde unter besonderen Bedingungen zugelassen. Der Hersteller ist verpflichtet, eine Langzeitstudie durchzuführen, um weitere Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit, einschließlich der Nebenwirkungen auf die Leber, den Magen und Darm sowie das Herz-Kreislauf-System, zu liefern. Darüber hinaus wird die Studie auch Daten zu Schwangerschaften bei Frauen vorlegen, die das Arzneimittel einnehmen, sowie zur Einhaltung der Empfehlungen hinsichtlich Screening und Überwachung von Patienten vor und während der Behandlung durch das medizinische Fachpersonal. /
vorläufige Bewertung: Sprunginnovation
Eine Sprunginnovation
Das Jahr 2013 endete mit einer Sprunginnovation. Das Orphan Drug Lomitapid ist zugelassen für Patienten mit einer genetisch bedingten homozygoten familiären Hypercholesterolämie (HoFH), die mit den bisher verfügbaren Lipidsenkern nicht beherrschbar war und eine regelmäßige Apherese erforderte. Mit Lomitapid kann die Apherese überflüssig werden, da durch die Hemmung des Mikroglycerid-Transferproteins (MTP) weniger Fette in den Blutkreislauf gelangen und damit der Cholesterolspiegel in Kombination mit Diät und anderen Lipidsenkern ausreichend gesenkt werden kann. Unter der Therapie kommt es allerdings zu einer starken Verfettung der Leber, was den breiten Einsatz der neuen Substanz als Lipidsenker unmöglich macht. Für Patienten mit HoFH ist Lomitapid aber eine neue, wirksame Therapieoption und damit vorläufig als Sprunginnovation zu bewerten.
Professor Dr. Hartmut Morck, Universität Marburg