Auf die Adhärenz kommt es an |
Ein üppiges Weihnachtsessen kann für Gichtpatienten schmerzhaft enden. / Foto: Adobe Stock/Krakenimages.com
Er gilt als Weihnachtsklassiker: Seit 1982 ist im Fernsehen jedes Jahr kurz vor dem 24. Dezember »Der kleine Lord« zu sehen. Der Film handelt von einem hartherzigen, unter Gicht leidenden Earl, der mürrisch und streng gegenüber seinen Untergebenen ist, jedoch durch die Liebe seines Enkels Cedric, des kleinen Lord Fauntleroy, zu einem mitfühlenden Menschen wird.
Galt die Gicht früher als »Krankheit der Könige, des Adels und der Privilegierten«, die gern üppigen Mahlzeiten zusprachen, hat sie sich heute zur Volkskrankheit entwickelt. Seit 1970 hat sich die Erkrankungshäufigkeit verdreifacht. In Deutschland sind derzeit etwa 1 bis 2 Prozent, somit circa 950 000 Menschen, von dieser Erkrankung des rheumatischen Formenkreises betroffen. Doch es gibt einen gravierenden Unterschied zu 1872, dem Jahr also, in dem der britische Fernsehfilm »Der kleine Lord« nach der gleichnamigen Romanvorlage von Frances Hodgson Burnett spielt: Die Krankheit und mit ihr die Schmerzen sind heute behandelbar.
Die Prävalenz eines asymptomatisch erhöhten Harnsäurespiegels (Hyperurikämie) beträgt 15 Prozent. Von Gicht spricht man, wenn neben einem erhöhten Harnsäurespiegel weitere Beschwerden wie Ablagerung von Harnsäure im Gewebe (Tophi) und/oder Schmerzen in Form eines Gichtanfalls hinzukommen.
Die Ursache eines akuten Gichtanfalls ist multifaktoriell und nicht vollständig geklärt. Pathogenetisch spielen scharfkantige Harnsäurekristalle eine große Rolle. Harnsäure ist Endprodukt des Purinstoffwechsels. Täglich werden etwa 700 mg Harnsäure beim Abbau von Körperzellen und Purinen, die über die Nahrung aufgenommen werden, gebildet. Die Purine werden über Hypoxanthin und Xanthin durch das Enzym Xanthinoxidase zu Harnsäure verstoffwechselt, die zu 80 Prozent über die Nieren und zu 20 Prozent über den Darm ausgeschieden wird. In der Niere laufen Sekretion und Rückresorption der Harnsäure parallel ab. Die Ausscheidung wird hauptsächlich über den Urat-Transporter im proximalen Tubulus reguliert.
Ablagerungen von Harnsäurekristallen in Gelenknähe (Tophi) vermindern die Beweglichkeit und können zu Gelenkschäden führen. / Foto: Adobe Stock/Adul10
Die individuelle Ausscheidung ist sehr unterschiedlich. Das Löslichkeitsprodukt der Harnsäure liegt bei einer Temperatur von 37 °C und einem pH-Wert unter 7,4 bei etwa 6,4 mg/dl. In den frühen Morgenstunden sinkt die Körpertemperatur und dann fallen Harnsäurekristalle besonders schnell aus. Betroffen von einem Gichtanfall sind daher vor allem körperferne Gelenke und Gewebe wie Zehen, Finger, Hand, Fuß, Ellenbogen und Ohren.
Harnsäurekristalle im Gewebe provozieren eine Abwehrreaktion des Immunsystems. In Gelenken und Gewebe wandern Leukozyten ein, es kommt zur Phagozytose der Harnsäurekristalle und zur Ausschüttung von Leukotrienen und Zytokinen (Interleukin-1β). Dies verursacht Entzündungen, Schwellung und Schmerzen. Der pH-Wert sinkt, was die erneute Auskristallisation von Natriumurat zur Folge hat. So entsteht ein Teufelskreis (Grafik).
Teufelskreis für Gelenkzerstörung / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Die primäre Gicht ist gekennzeichnet durch eine verminderte Harnsäureausscheidung oder gesteigerte Harnsäurebildung (Enzymdefekte wie Lesch-Nyhan-Syndrom oder Kelley-Seegmiller-Syndrom) (Kasten).
Die sekundäre Gicht tritt infolge einer Grunderkrankung auf. Dabei kommt es zur verminderten Harnsäureausscheidung (chronische Niereninsuffizienz, Azidosen) oder gesteigerten Harnsäurebildung (durch vermehrten Zelluntergang bei starken Verbrennungen oder Verletzungen, Leukämien, Tumorlyse unter Zytostatika- oder Strahlentherapie, Psoriasis, hämolytischer Anämie). Bei einer Ketoazidose (Fasten, dekompensierter oder entgleisender Diabetes mellitus) konkurrieren die gebildeten Ketonkörper mit der Harnsäure um die renale Ausscheidung.
Es gibt Patienten mit sehr hohen Harnsäurewerten ohne jeglichen Gichtanfall und Patienten, die trotz niedriger Harnsäurewerte einen Gichtanfall bekommen.
Foto: Adobe Stock/staras
Gicht wird überwiegend als Krankheit älterer Menschen wahrgenommen, doch es erkranken auch Kinder und Jugendliche. Die Störung des Harnsäurestoffwechsels mit erhöhten Harnsäurewerten ist bedingt durch Übergewicht, verursacht von Fehlernährung, übermäßigem Konsum von Fructose-haltigen Softdrinks und mangelnder Bewegung.
Bei der seltenen Stoffwechselerkrankung Lesch-Nyhan-Syndrom (Hyperurikose oder Hyperurikämie-Syndrom) fehlt genetisch bedingt das Enzym Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyl-Transferase (HGPRT). Es sind überwiegend Jungen betroffen, da der Enzymdefekt über das X-Chromosom vererbt wird. Beim Neugeborenen fallen keine Symptome auf. Im Alter von sechs bis acht Wochen müssen sich betroffene Säuglinge auffällig oft übergeben, mit zehn Monaten fällt die Einschränkung der Beweglichkeit auf. Das Kind ist geistig weniger aktiv.
Es gibt unterschiedliche Ausprägungen des Lesch-Nyhan-Syndroms. In leichten Fällen (Kelley-Seegmiller-Syndrom) kommt es zu Nierensteinen und Gichtanfällen erst im Erwachsenenalter. In schweren Fällen zeigen sich im Kindesalter Entwicklungsstörungen, Selbstverletzungen, Krämpfe und Störungen des Muskeltonus bis zum Tod. Die Krankheit ist nicht heilbar. Behandelt wird mit Allopurinol und diätetischen Maßnahmen.
Nicht vom Patienten beeinflussbare Risikofaktoren sind Alter, genetische Faktoren, Geschlecht oder Beginn der Menopause. Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren gehören Lebensstil, Adipositas und Ernährung.
Der Konsum von viel Fleisch, Meeresfrüchten, Nahrungsmitteln und Getränken mit hohem Fructosegehalt sowie Alkohol liefert viele Purine. Sind Grunderkrankungen wie Diabetes, Nierenerkrankungen oder arterielle Hypertonie unzureichend behandelt, kommen Stress, extreme körperliche Belastung und auch Arzneimittel hinzu, wird die Ausscheidungsleistung der Niere überfordert. Dies bedeutet Gefahr für Menschen mit erhöhten Harnsäurespiegeln.
Bei einer Medikationsanalyse ist vor allem auf folgende Arzneimittel zu achten: Diuretika wie Thiazide (Hydrochlorothiazid, Chlortalidon, Xipamid, Indapamid), Schleifendiuretika (Furosemid, Torasemid), Acetylsalicylsäure, Levodopa, Ciclosporin A, Tacrolimus und Tuberkulostatika. Diese können die Harnsäurewerte im Blut erhöhen. ASS beeinflusst den renalen Harnsäuretransport über das Transportprotein URAT1 je nach Konzentration unterschiedlich. Schon niedrige ASS-Dosen (besonders 100 mg), aber auch 500 bis 1000 mg verringern die Ausscheidung von Harnsäure; dies gilt auch für Einzelgaben bei prädisponierten Personen. Tagesdosen von mehr als 3 g wirken dagegen urikosurisch. Dies ist auch in der Selbstmedikation mit ASS zu beachten.
Auslöser für einen akuten Gichtanfall ist die rasche Änderung des Harnsäurespiegels besonders durch hohen Alkoholkonsum, unzureichende Flüssigkeitsaufnahme, reichhaltiges (purinreiches) Essen, Hungerkur oder Fasten sowie Arzneistoffe (HCT, ASS) oder zu Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie.
Die Ablagerung von Harnsäurekristallen führt zur Bildung von Tophi (kleine weiße Knoten mit weißlicher Flüssigkeit) und zur fortschreitenden Reizung von Organgeweben. In diesem Stadium spricht man von chronischer Gicht.
Die Gichtarthritis mit Rötung, Entzündung und Überwärmung der betroffenen Region ist die häufigste Form der Arthritis. Sie kann sämtliche Gelenke des Körpers befallen. Bei der Nierengicht kommt es zur Organschädigung auch ohne Gichtanfall, bei der Weichteilgicht finden sich Tophi hauptsächlich im weichen Gewebe (Ohrmuschel, Finger). Hier kann das Apothekenpersonal beraten, denn manche Patienten verwechseln ihre Tophi an den Fingergelenken mit Warzen. Außerdem sind Harnsäurekristalle ein idealer Nährboden für Infektionen.
Der akute Gichtanfall ist extrem schmerzhaft. / Foto: Adobe Stock/ThamKC
Bei chronischer Gicht leiden Patienten auch unter roten Augen. Im Unterschied zu einer Bindehautentzündung sind immer beide Augen betroffen und der Heilungsprozess verläuft äußerst langwierig.
Die Hyperurikämie verringert die Konzentration von gefäßschützendem Stickstoffmonoxid (NO); dies erhöht das kardiovaskuläre Risiko. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Harnsäurewerten und erhöhtem Blutdruck. Die Hyperurikämie verstärkt die Insulinresistenz und ist assoziiert mit allen Facetten des metabolischen Syndroms (Hypertonie, Diabetes mellitus, Nieren- und kardiovaskuläre Erkrankungen).
Man kann zu Recht von einer Systemerkrankung sprechen. Im Vergleich zur Normalbevölkerung sind Gichterkrankte überproportional häufig multimorbid (Tabelle 1). Ihr Mortalitätsrisiko ist um 25 Prozent erhöht.
Komorbidität | Normalbevölkerung(jeweils in Prozent) | Gichtpatienten |
---|---|---|
Hypertonie | 29 | 74 |
chronische Niereninsuffizienz | 42 | 71 |
Adipositas | 33 | 53 |
Diabetes | 8 | 26 |
Nierensteine | 8 | 24 |
Herzinfarkt | 3 | 14 |
Schlaganfall | 3 | 10 |
Bei der Anamnese werden Symptome, familiäre Disposition, Ernährung und Dauermedikation abgeklärt. Labortechnisch werden Leukozyten, Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und Harnsäure (Anstieg über 6,5 mg/dl) überprüft. Bei einem Gichtanfall liegt der Harnsäurespiegel häufig im Normbereich. Die Gelenkpunktion zeigt Uratkristalle in der Synovialflüssigkeit, beim akuten Gichtanfall aber oft nur bei 85 Prozent der Patienten. Mittels Dual-Energy-Computertomographie (DECT) und die Urografie kann der Arzt Uratsteine in der Niere abbilden.
Bei der chronischen Gicht sind im Röntgenbild sogenannte »Stanzdefekte« (Zeichen der Gelenkzerstörung) in den gelenknahen Anteilen des Knochens zu sehen. Wichtig ist der Ausschluss einer septischen Arthritis.
Therapie der ersten Wahl beim akuten Gichtanfall sind laut der DEGAM-Leitlinie für die primärärztliche Versorgung »Häufige Gichtanfälle und chronische Gicht« (Stand 2019) und der Leitlinie »Gichtarthritis« der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (Stand 2016) nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) und Colchicin (Tabelle 2). Bei nicht ausreichender Wirksamkeit, bei Kontraindikationen und Komorbiditäten können Glucocorticoide Mittel der Wahl sein. Während der akuten Entzündung über zwei bis drei Tage ist die NSAR-Höchstdosis indiziert. Die Therapie sollte möglichst zeitnah innerhalb der ersten 24 Stunden beginnen.
Empfehlungen | S2e-DEGAM-Leitlinie | S2e-Leitlinie Gichtarthritis |
---|---|---|
akuter Gichtanfall | Therapie der ersten Wahl: NSAR und Colchicin, bei nicht ausreichender Wirksamkeit, Kontraindikationen und Komorbiditäten: Glucocorticoide | Therapie der ersten Wahl: NSAR und Colchicin,bei nicht ausreichender Wirksamkeit, Kontraindikationen und Komorbiditäten: Glucocorticoide |
Indikation zur Harnsäuresenkung | unter Einbeziehung der Patientenwünsche bei mehr als zwei sicheren Gichtanfällen/Jahr, rezidivierender Gicht, Tophi | bei einem gesicherten Gichtanfall und bei chronischer Arthritis |
Therapieprinzipien | Behandlung unter Einbeziehung des Patienten zur Verringerung von Überversorgung und Überdiagnostik (break-even-point: Punkt, an dem der Nutzen der Harnsäuresenkung den Schaden überwiegt) | bei Verdacht auf Gichtarthritis: Empfehlung einer Gelenkpunktion zum Nachweis von Natriumurat-Kristallenkonsequente Harnsäuresenkung bis zum Erreichen des Zielwerts (treat to target) |
Beginn der Rezidivprophylaxe (Harnsäuresenkung) | 14 Tage nach dem akuten Gichtanfall | sofort im Anschluss oder während der Akutbehandlung zur Vermeidung von Folgeerkrankungen |
Grundsätze der Harnsäuresenkung | Mittel der Wahl: Allopurinol, Prinzip: start low – go slow,Dauertherapie, Auslassversuch nach fünf Jahren möglich,regelmäßige Kontrolle des Harnsäurespiegels, Zielwert ≤ 6 mg/dl, bei tophöser Gicht ≤ 5mg/dlkein Absetzen der Medikamente beim Gichtanfall | Mittel der Wahl: Allopurinol, Prinzip: start low – go slow,Dauertherapie, Auslassversuch nach fünf Jahren, regelmäßige Kontrolle des Harnsäurespiegels, Zielwert ≤ 6 mg/dl, bei tophöser Gicht ≤ 5mg/dlkein Absetzen der Medikamente beim Gichtanfall |
Anfallsprophylaxe | zwei bis sechs Monate, off Label mit NSAR, ColchicinCorticoide mit geringer Evidenz | zwei bis sechs Monate, off Label mit NSAR, ColchicinCorticoide mit geringer Evidenz |
Begleitmaßnahmen | Lebensstiländerung, Patientenschulung, Ernährungsempfehlungen, Stärkung der Adhärenz | Lebensstiländerung, Patientenschulung, Ernährungsempfehlungen, Stärkung der Adhärenz |
Naproxen ist Mittel der Wahl aufgrund der Verträglichkeit und der langen Halbwertszeit und wird initial mit 750 mg und dann alle acht Stunden 250 mg dosiert, Tageshöchstdosis ist 1250 mg. Im weiteren Verlauf wird mit zweimal täglich 250 bis 500 mg behandelt. Ergänzt wird ein Protonenpumpenhemmer, zum Beispiel einmal morgens 20 mg Omeprazol. Bei fehlender Besserung innerhalb von 24 bis 72 Stunden wird die Therapie angepasst. Für den akuten Gichtanfall ist auch Etoricoxib zugelassen.
Der Einsatz von Acetylsalicylsäure ist nicht sinnvoll, da ASS die renale Harnsäureausscheidung verringert und dadurch den akuten Gichtanfall verschlimmert. Zur Linderung der Schmerzen ist Ibuprofen unter Beachtung der Kontraindikationen möglich.
Der Mitosehemmstoff Colchicin wird in den Leitlinien ebenfalls als Therapie der Wahl beim akuten Gichtanfall genannt, allerdings selten verordnet, vermutlich aufgrund der geringen therapeutischen Breite. Die Therapie sollte möglichst innerhalb von zwölf bis 36 Stunden beginnen (initial 1 mg, nach einer Stunde 0,5 mg, gefolgt von zwei- bis dreimal 0,5 mg für weitere zwei bis drei Tage, dann mindestens drei Tage Pause). Die Gesamthöchstdosis pro Anfall beträgt 6 mg, verteilt über vier Tage. Die tödliche Dosis beträgt für Erwachsene 20 mg, eine engmaschige Nierenkontrolle ist notwendig. Essenziel ist die sichere Kontrazeption: für Frauen bis zu drei Monate und für Männer bis etwa sechs Monate nach Therapieende! Kontraindikationen und Wechselwirkungspotenzial sind hoch, ebenso das Nebenwirkungspotenzial mit Durchfall, akuter Gastroenteritis und Schwindel.
Corticoide zur Antiinflammation sind Mittel zweiter Wahl. Die Anwendung erfolgt intraartikulär und/oder systemisch über fünf Tage mit 30 bis 35 mg Prednisolon-Äquivalenten. Bevorzugt werden sie bei Menschen mit Niereninsuffizienz eingesetzt. Zu beachten ist die Verschlechterung der Stoffwechsellage bei Diabetes-Patienten.
Das Immunsuppressivum Canakinumab bindet humanes Interleukin-1β und verringert die Bildung von Entzündungsmediatoren. Als Therapieoption der dritten Wahl ist es indiziert bei Patienten mit Gichtarthritis und mehr als drei Gichtanfällen pro Jahr, wenn Colchicin, NSAR und Corticoide wirkungslos oder kontraindiziert sind.
Im Anschluss an die Therapie des akuten Gichtanfalls erfolgt eine harnsäuresenkende Therapie. Wichtig sind die ausführliche Patientenschulung mit Ernährungsempfehlungen und Informationen über die Arzneimitteltherapie (Tabelle 2). Das Apothekenpersonal kann hier effektiv unterstützen, denn die Leitlinien bemängeln die ungenügende Aufklärung und Adhärenz der Patienten.
Ziel der Therapie ist es, die Harnsäure dauerhaft auf einen Zielwert ≤ 6 mg/dl zu senken, bei tophöser Gicht sogar auf Werte ≤ 5 mg/dl. Wird dieses Ziel nicht erreicht, drohen wiederkehrende Gichtanfälle, schwere Folgeerkrankungen und die Entwicklung der chronischen Gicht.
Begleitet wird die harnsäuresenkende Therapie von der Anfallsprophylaxe, denn die Absenkung der Serumharnsäure bedingt Veränderungen im Harnsäurepool und die Mobilisierung von Harnsäure. Zur Anfallsprophylaxe werden Colchicin und NSAR (beide off Label), ohne Evidenz niedrig dosierte Glucocorticoide eingesetzt. Laut Studien schützt eine Prophylaxe über sechs Monate effizienter vor weiteren Gichtanfällen als eine Kurzzeittherapie über acht Wochen.
Mittel der Wahl zur Senkung der Harnsäure sind Xanthinoxidase-Hemmer wie Allopurinol. Das Arzneimittel hemmt den Purinabbau und wird im Körper zum ebenfalls urikostatisch lang wirksamen Oxypurinol abgebaut. Über die Niere erfolgt die Ausscheidung von Xanthin, Hypoxanthin und Oxypurinol. Eine positive Nebenwirkung sind leichte antihypertensive Effekte. Bei der Dosierung gilt: »start low, go slow«, das heißt einschleichende Dosierung mit initial 100 mg/d und Erhöhung um 100 mg nach zwei bis vier Wochen. Kurzfristig wird bis maximal 600 bis 800 mg/d und einer Einzeldosis von 300 mg auftitriert. Während der Dosierungsfindung wird der Serumharnsäurespiegel engmaschig alle zwei bis fünf Wochen kontrolliert, dann vierteljährlich. Bei Niereninsuffizienz ist die Dosierung anzupassen.
Das Apothekenpersonal sollte darauf hinweisen, dass die Einnahme nach dem Essen erfolgt und die Trinkmenge zur Ausschwemmung der Harnsäure erhöht wird. Häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Durchfall, eingeschränktes Reaktionsvermögen und Hautreaktionen mit Juckreiz. Selten, aber bei Komedikation mit anderen Arzneimitteln gleicher Nebenwirkung zu beachten ist die Agranulozytose. Schwere Hautreaktionen, vor allem im ersten Behandlungsmonat können das Hypersensitivitätssyndrom DRESS, das Stevens-Johnson-Syndrom und die toxisch epidermale Nekrose sein.
Das Interaktionspotenzial von Allopurinol ist groß: Hemmung der Elimination von Azathioprin/Mercaptopurin mit der Gefahr der Myelosuppression, Erhöhung der Cumarinwirkung (Kontrolle der Blutgerinnung), erhöhtes Risiko einer Myopathie bei gleichzeitiger Anwendung mit Colchicin und Statinen. Das Risiko von Hautreaktionen steigt bei gleichzeitiger Einnahme von ACE-Hemmern, Ampicillin/Amoxicillin und Thiaziden (Fallbeispiel). Kontraindikation besteht für Schwangerschaft und Stillzeit.
Der selektive Xanthinoxidase-Hemmstoff Febuxostat ist ein Reservemedikament für seltene, anders nicht behandelbare Uratablagerungen. Ein Rote-Hand-Brief hat Mitte 2019 über das im Vergleich zu Allopurinol erhöhte Risiko für kardiovaskulär bedingte Mortalität und vermehrte Nebenwirkungen hingewiesen.
Foto: Adobe Stock/dusanpetkovic1
Ein Kunde kommt vom Zahnarzt und löst in der Apotheke ein Rezept über Amoxicillin ein. Die Apothekerin fragt ihn, ob er noch andere Medikamente einnehme, da das verordnete Medikament mit anderen Arzneimitteln Wechselwirkungen oder Unverträglichkeiten haben könnte. Der Patient berichtet, dass er regelmäßig Blutdruckmittel und Allopurinol einnimmt. Bei gleichzeitiger Anwendung von Allopurinol und Aminopenicillinen wie Ampicillin oder Amoxicillin kommt es häufiger zu allergischen Reaktionen (Hautausschläge). Die Apothekerin telefoniert mit dem Zahnarzt und schlägt die Auswahl eines anderen Antibiotikums, zum Beispiel Clindamycin, vor.
Urikosurika hemmen die tubuläre Rückresorption von Harnsäure und sind Mittel zweiter Wahl. Sie werden eingesetzt bei Unverträglichkeiten und Kontraindikationen von Allopurinol.
Probenecid und Benzbromaron erhöhen die Harnsäureausscheidung, Tophi werden abgebaut. Die Dosierung erfolgt einschleichend. Vor allem bei Gabe von Benzbromaron sind die Leberenzyme regelmäßig zu kontrollieren. Da sich die Konzentration von Harnsäure in der Niere erhöht, steigt das Risiko für die Bildung von Nierensteinen. Daher sollte das Apothekenpersonal den Patienten auf die verstärkte Flüssigkeitszufuhr und die korrekte Anwendung der begleitenden Medikation (Kaliumcitrat/ Natriumhydrogencarbonat) zur Einstellung des Harn-pH-Werts auf 6,2 bis 6,8 hinweisen.
Die Idee, Xanthinoxidase-Hemmstoffe und Urikosurika zur Therapiemaximierung in einer Tablette zu kombinieren, hat sich als wenig effektiv erwiesen.
Ein weiteres Urikosurikum ist Lesinurad, ein URAT1-Inhibitor, mit nephrotoxischer Nebenwirkung. Die Zulassung der Fixkombination mit Allopurinol wurde im Juli 2020 auf Antrag des Zulassungsinhabers in Deutschland widerrufen.
Die Therapie der Gicht erfordert Geduld und eine gute Compliance. / Foto: Adobe Stock/Pixel-Shot
Losartan und Fenofibrat haben eine harnsäuresenkende Nebenwirkung, was für die oft metabolisch multimorbiden Patienten günstig ist. Wegen fehlender randomisierter Studien gibt es hierfür keine Empfehlung in den Leitlinien.
Pegloticase (pegylierte rekombinante Uricase) ist ein Reservemedikament bei besonders schwerer Gicht und bei Nichtansprechen auf Höchstdosen von Xanthinoxidase-Hemmstoffen. Es ist in Deutschland nicht zugelassen.
Rasburicase (rekombinante Uratoxidase) ist ein Urikolytikum, das Harnsäure in das wasserlösliche, renal gängige Allantoin umwandelt. Es wird vor allem bei akuter Hyperurikämie sowie massiver sekundärer Hyperurikämie (Tumorlyse-Syndrom), eingesetzt.
Die harnsäuresenkende Therapie ist aufgrund der chronischen Stoffwechselstörung eine Dauer- und keine Bedarfstherapie. Das Apothekenpersonal sollte die Adhärenz der Patienten unterstützen.
Die Therapie kann ohne ausreichende Evidenz nach frühestens fünf Jahren bei symptomfreien Patienten mit einem Serumharnsäurewert unterhalb von 416 μmol/l (7 mg/dl) beendet werden. Tophi sollten erst aufgelöst sein; dann kann die Medikation nach fünf Jahren abgesetzt werden – sofern keine neuen Ablagerungen entstanden sind. Allerdings bildet sich in der Regel ein neuer Tophus.
Sehr selten erkranken Frauen während einer Schwangerschaft an Gicht. Genetische Veranlagung, Übergewicht und mangelnde Bewegung sowie der veränderte Hormonhaushalt und Stoffwechsel der werdenden Mutter provozieren auch bei jüngeren Frauen eine Hyperurikämie.
Schon bei Kinderwunsch ist es wichtig, die Harnsäurewerte unter Kontrolle zu bekommen. Wichtig sind die Ernährungsumstellung und Gewichtsreduktion.
Colchicin ist aufgrund der erbgutschädigenden Wirkung kontraindiziert bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft. Abgeraten wird von Urikosurika. NSAR sind kontraindiziert im letzten Trimenon. Zu Xanthinoxidase-Hemmern und Canakinumab gibt es keine ausreichenden Studienbelege, sodass diese Medikamente nur mit äußerster Vorsicht verordnet werden können. Glucocorticoide können nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung zum Einsatz kommen.
Die Grundpfeiler der Lebensstiländerung sind Nikotinentzug, mehr Bewegung im Alltag und langsame Gewichtsreduktion bei Adipositas – darin sind sich die Leitlinien einig. Kontrollierte Studien dazu fehlen fast vollständig. Eine strenge Diät kann den Harnsäurewert langfristig aber nicht ausreichend senken.
Die Ernährung sollte den Regeln der DGE folgen mit Vollkornprodukten, Obst und Gemüse, eingeschränkter Fettzufuhr mit bevorzugt ungesättigten Fetten (Oliven-, Raps- und Leinöl). Da Fisch, Fleisch, Wurst und Innereien besonders viele Purine enthalten, sollten sie selten auf dem Speiseplan stehen. Statt strenger Diät gilt das Motto: »Vielfalt statt Verzicht« oder: »Die Bratwurst wird kürzer, aber verzichten muss keiner!«
Ziele der modernen diätetischen Maßnahmen sind die Anfallsprophylaxe durch Vermeidung der bekannten Auslöser, gesteigerter Verzehr von Lebensmitteln mit antiphlogistischem Potenzial und langfristige Umstellung auf harnsäuresenkende Lebensmittel. Diese Maßnahmen reduzieren metabolische und kardiovaskuläre Risiken und können helfen, die Medikation abzudosieren.
Bei Komorbiditäten ist eine purinarme oder streng purinarme Diät (maximal 500 oder 300 mg Harnsäure/Tag) notwendig. Der Purinrechner der Deutschen Gicht-Liga e.V. (www.gichtliga.de) unterstützt dabei. Der Umrechnungsfaktor von Purinen in Harnsäure ist 2,4, das heißt 100 mg Purine entsprechen 240 mg Harnsäure.
Die Trinkmenge sollte zur Ausschwemmung der Harnsäure auf 2 l pro Tag erhöht werden (cave: Herz- und Nieren-Erkrankungen, Inkontinenz). Alkohol vermindert die Harnsäureausscheidung über die Niere, fördert die körpereigene Harnsäurebildung und entwässert. Bier (auch alkoholfreies) enthält zudem viel Purin.
Kaffee, Tee, Kakao – für Gichtpatienten kein Problem / Foto: Adobe Stock/lena_zajchikova
Saccharose wird in der Industrie zunehmend ersetzt durch konzentrierten, billigen Fructose-Maissirup (High Fructose Corn Syrup, HFCS), einem Fructose-Glucose-Gemisch mit hoher Süßkraft. Es kommt zur indirekten (Gewichtszunahme, Adipositas) und direkten (physiologischen) Stoffwechselschädigung. Beim Abbau von Fructose wird vermehrt Harnsäure gebildet; zugleich hemmt Fructose deren renale Ausscheidung und das Sättigungsgefühl. Hauptquelle ist nicht der tägliche Obstkonsum, sondern der industrielle Einsatz von Fructose in Softdrinks, Müsliriegeln und Fertigprodukten.
In Kaffee, Schwarztee und Kakao enthaltene Purine werden nicht zu Harnsäure abgebaut. Fettarme Milchprodukte wirken protektiv durch die urikosurische Wirkung der Milchproteine Casein und Lactalbumin. Die tägliche Dosis von 500 mg Vitamin C hat einen milden urikosurischen Effekt und erhöht die Filtrationsrate für Harnsäure. Sinnvoll ist es, die Tagesdosis in mehrere kleinere Einzeldosen aufzuteilen. Menschen mit veganer oder vegetarischer Ernährung bekommen trotz erhöhter Zufuhr von purinreichen Hülsenfrüchten oder Sojaprodukten seltener Gicht.
Barbara Staufenbiel studierte Pharmazie in Münster. 16 Jahre lang leitete sie die Rabenfels-Apotheke in Rheinfelden. Seit ihrer Rückkehr nach Münster arbeitet sie in einer öffentlichen Apotheke und engagiert sich für die Fortbildung als Referentin und Autorin mit Schwerpunkt Apothekenpraxis.