Arzneimittelzulassung auf Speed |
| Daniela Hüttemann |
| 05.05.2020 17:16 Uhr |
Derzeit konzentrieren die Zulassungsbehörden den Großteil ihrer PS auf die Beratung von Herstellern und die Zulassung von Impfstoffen und Medikamenten gegen das neue Coronavirus. / Foto: Fotolia/apfelweile
Für alle potenziellen Medikamente und Impfstoffe, die in Deutschland und dem Rest der Europäischen Union zugelassen werden sollen, ist die Europäische Arzneimittelagentur das Nadelöhr. Deren Direktor Guido Rasi versicherte zu Beginn dieser Woche, dass die Zulassung sicherer, wirksamer Therapeutika und Vakzinen hoher Qualität zu den obersten Prioritäten gehöre. Dabei seien die Verfahren für diese Pharmazeutika signifikant verkürzt worden. »Nichtsdestotrotz wird die schnelle Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen nur möglich sein, wenn die Anträge von robuster wissenschaftlicher Evidenz begleitet werden, damit die EMA zu einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung kommen kann.« Priorität sollen die vielversprechendsten Ansätze haben.
Alle Entwickler sind aufgerufen, sich schon vor Beginn klinischer Studien mit der EMA abzusprechen, auf welchem Weg am besten und schnellsten klinische Evidenz generiert werden kann und was bei der Herstellung und Qualitätskontrolle beachtet werden muss. Für diese wissenschaftliche Beratung fallen eigentlich Gebühren an, auf die die EMA aber bei potenziellen Covid-19-Präparaten verzichtet. Normalerweise kann allein diese Beratung 40 bis 70 Tage dauern. Die EMA verspricht nun, ihre Ratschläge innerhalb von 20 Tagen zu erarbeiten.
Hersteller sind bei neuen Arzneimitteln verpflichtet, auch einen pädiatrischen Untersuchungsplan aufzustellen (PIP). Die Begutachtung dieser Pläne soll statt wie üblich in 120 Tagen in weniger als 20 Tagen erfolgen.
In der Regel dauert ein Zulassungsverfahren vom Einreichen des Antrags bis zur Bekanntgabe, ob der Ausschuss für Humanarzneimittel und Medizinprodukte (CHMP) eine Zulassung empfiehlt oder davon abrät, bis zu 210 Werktage. Dann entscheidet innerhalb von drei Monaten die EU-Kommission, ob sie der Empfehlung folgt.
Relativ häufig finden Begutachtungen im beschleunigten Zulassungsverfahren (Accelerated Assessment) statt, immer dann, wenn ein dringender, bislang unbefriedigter Therapiebedarf besteht. Dann verkürzt sich der Prozess von 210 auf maximal 150 Tage. Kürzlich wurde zum Beispiel das Gentherapeutikum Zolgensma™ in einem beschleunigten Verfahren beurteilt. Für Covid-19-Medikamente und Impfstoffe dürfte zweifelsfrei ein großer und dringender Bedarf bestehen.
Beim großen Hoffnungsträger Remdesivir wendet die EMA nun noch ein anderes Verfahren an, das sogenannte Rolling Review. Normalerweise müssen alle Daten zu einem neuen Wirkstoff bereits zu Beginn des Bewertungsverfahrens eingereicht werden. Bei einem Rolling Review begutachten die Rapporteure des jeweiligen Fachausschusses dagegen alle neuen Daten, sobald sie verfügbar sind, erklärt die EMA. Die fortlaufende Prüfung kann in mehreren, jeweils zweiwöchigen Zyklen erfolgen, immer wenn neue Daten vorliegen. Wenn die EMA ein Datenpaket für vollständig hält, kann der Applikant die Marktzulassung beantragen.
Das Rolling Review für Remdesivir startete am 30. April. Erste Basis sind die Daten der ACTT-Studie (Adaptive COVID-19 Treatment Trial), die seit dem 21. Februar in den USA läuft und 1.063 Patienten umfasst. Erste Ergebnisse wurden letzte Woche verkündet, woraufhin die USA eine Notfallzulassung erteilten. Hier ist die EMA etwas zurückhaltender. Ein konkretes Datum, wann mit der Zulassungsempfehlung oder -ablehnung zu rechnen ist, nennt sie nicht.
Einem Bericht des internationalen Dachverbands der Pharmaindustrie (IFPMA) vom 30. April zufolge werden derzeit weltweit mehr als 140 Wirkstoffe auf ihren Effekt gegenüber dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 untersucht. 77 davon seien Medikamente, die für andere Krankheiten entwickelt wurden, 68 seien neue Entwicklungen, sagte IFPMA-GeneraldirektorThomas Cueni. Es liefen derzeit 25 klinische Studien mit Covid-19-Patienten. Die Studien würden so schnell wie möglich durchgeführt, ohne dabei Sorgfalt oder Sicherheit zu vernachlässigen, versicherten die Pharmafirmen. Dabei stünden die Konkurrenten anders als sonst in engem Informationsaustausch. Der Verband versprach zudem, dass die späteren Preise so gestaltet werden, dass Patienten in allen Ländern der Welt sich die Behandlung leisten können.
Der deutsche Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) zählt zudem 115 Impfstoffprojekte weltweit, wie die Organisation heute mitteilte. Sieben Projekte würden maßgeblich in Deutschland vorangetrieben, fünf weitere aus Deutschland heraus unterstützt. Weltweit werden bereits zehn Kandidaten in klinischen Studien geprüft, davon einer in Deutschland. Die Studie mit dem RNA-Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech wurde am 22. April genehmigt.