Arzneimittel als Auslöser von Anaphylaxie |
Bei Erwachsenen sind Medikamente nach Insektengiften die häufigsten Auslöser für Anaphylaxie. / Foto: Getty Images/Westend61
Anaphylaktische Reaktionen nach der Gabe eines Arzneimittels gehören zu den seltenen, aber auch zu den mitunter schwer – und in manchen Fällen tödlich – verlaufenden Ereignissen. Vor allem an Haut, Atemwegen, Verdauungstrakt und am Herz-Kreislauf-System zeigen sich die Symptome, je nach Schweregrad unter anderem mit juckenden Rötungen und Quaddeln, einer Verengung der Atemwege/Atemstillstand, Krämpfen und Erbrechen oder Durchfällen, Herzrasen und -rhythmusstörungen, Blutdruckabfall oder Kreislaufstillstand. Sie können auf jeder Stufe der Reaktion spontan zum Stillstand kommen, sich aber auch innerhalb von Minuten verstärken und zu Schock und Tod führen. Ihr plötzliches Einsetzen und ihre Unberechenbarkeit sind für Betroffene eine starke Belastung.
Zwar handele es sich bei einer Anaphylaxie um ein akutes Geschehen, dem jedoch eine chronische Erkrankung, nämlich eine Fehlsteuerung des Immunsystems, zugrunde liege, die jederzeit wieder zu einer Anaphylaxie führen könne, so die Autoren eines in diesem Jahr erschienenen Updates zur Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie (DOI: 10.1007/s40629-020-00158-y). Verschiedene Faktoren können das Risiko für eine anaphylaktische Reaktion erhöhen. Dazu gehören etwa Asthma, kardiale Erkrankungen, eine Mastozytose und Schilddrüsenerkrankungen, aber auch ein höheres Lebensalter und das männliche Geschlecht. Eine anaphylaktische Reaktion verstärken können unter anderem körperliche Belastung, Infektionen, psychischer Stress und Alkohol, aber auch Medikamente wie Betablocker oder ACE-Hemmer.
Die Leitlinie zeigt auch, welchen zahlenmäßigen Stellenwert Arzneimittel als Auslöser anaphylaktischer Reaktionen besitzen. Danach stehen bei Kindern Arzneimittel mit 7 Prozent an dritter Stelle nach Nahrungsmitteln (60 Prozent) und Insektengiften (22 Prozent). Bei Erwachsenen stehen sie nach den Insektengiften (52 Prozent) mit 22 Prozent auf Rang 2, gefolgt von Nahrungsmitteln (16 Prozent).
Welche Arzneimittel am häufigsten solche Reaktionen hervorrufen, untersuchten US-amerikanische Wissenschaftler des Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee. Hierzu werteten sie Meldungen an das Meldesystem FAERS der US-Arzneimittelbehörde FDA (FDA Adverse Event Reporting System) aus den Jahren 1999 bis 2019 aus, die auch Meldungen aus dem Ausland (inklusive Deutschland) beinhalten. Ziel der Auswertung war unter anderem, Trends und Ansatzpunkte für weitere Forschung aufzuzeigen. Die Ergebnisse wurden im Februar im »Journal of Allergy and Clinical Immunology« veröffentlicht (DOI: 10.1016/j.jaip.2020.09.021).
Demnach waren die am häufigsten betroffenen Wirkstoffklassen Antibiotika (14,87 Prozent der Fälle), monoklonale Antikörper (13,06 Prozent), nicht steroidale Antirheumatika und Paracetamol (8,83 Prozent), intraoperative Wirkstoffe (8,59 Prozent), Chemotherapeutika (5,56 Prozent), DMARD (4,01 Prozent), antiallergische Wirkstoffe (3,91 Prozent) und Röntgenkontrastmittel (2,52 Prozent). Die häufigsten betroffenen Arzneistoffe in den USA (insgesamt 13.899 gemeldete Fälle) und in Deutschland (insgesamt 1270 gemeldete Fälle) zeigt der Kasten.
Zum Hintergrund: Am häufigsten handelt es sich bei einer Anaphylaxie um eine durch Immunglobulin E (IgE) vermittelte allergische Reaktion. Dieses aktiviert über Kreuzvernetzungen entsprechender Rezeptoren Mastzellen und basophile Granulozyten. Die Symptome anaphylaktischer Reaktionen werden dann durch Mediatoren hervorgerufen, die aus Mastzellen und basophilen Granulozyten freigesetzt werden. Zu diesen gehören unter anderem Histamin, Prostaglandine und Leukotriene, aber auch der plättchenaktivierende Faktor (PAF), Proteasen und Zytokine. Weitere Mechanismen sind Gegenstand der Forschung.
Neben der IgE-vermittelten Reaktion gibt es weitere Anaphylaxien, die als pseudoallergische Reaktionen oder nicht immunologische Anaphylaxie bezeichnet werden. Die zugrunde liegenden Pathomechanismen sind weniger gut bekannt. Zu ihnen gehört eine von IgE unabhängige Freisetzung vasoaktiver Mediatoren aus Mastzellen über den MRGPRX2-Rezeptor (Mas-related G-Protein-gekoppelter Rezeptor X2), die für das Verständnis von Sofortreaktionen etwa auf Muskelrelaxanzien, Fluorchinolone, Opiate, Vancomycin oder Röntgenkontrastmittel wichtig sind. Für die große Bandbreite an Reaktionen auf nicht steroidale Antirheumatika ist ein eigenes Klassifikationsschema beschrieben (»Allergy« 2011, DOI: 10.1111/j.1398-9995.2011.02557.x).
Sowohl bei den Anaphylaxien insgesamt als auch bei den Anaphylaxien mit Todesfolge stehen Antibiotika der Untersuchung zufolge als Auslöser vorn. Sie können sowohl IgE-vermittelte (Moxifloxacin) als nicht IgE-vermittelte Reaktionen (Fluorchinolone insgesamt) hervorrufen.
Zunehmend an Bedeutung gewinnen aber auch monoklonale Antikörper, was sich an einer jährlichen Steigerung zeigte. Die Studienautoren führen die stetige Zunahme an Meldungen auf die häufigere Verwendung von Arzneimitteln aus dieser Gruppe zurück. Betroffen waren hier durchweg humanisierte monoklonale Antikörper.
Einige der betroffenen Arzneistoffe (Rituximab, Infliximab und Cetuximab) enthielten α-Gal-Allergene, also den Doppelzucker Galactose-α-1,3-Galactose, der unter anderem auch Allergien gegen rotes Fleisch hervorrufen kann. Die drei genannten Arzneistoffe waren mit einem höheren Anteil an Anaphylaxien mit Todesfolge assoziiert, während dies bei Omalizumab, Natalizumab, Tocilizumab und Adalimumab nicht der Fall war. Infliximab, Rituximab und Natalizumab enthielten auch den Hilfsstoff Polysorbat 80 als relevantes Allergen, das sowohl Anaphylaxien als auch nicht IgE-vermittelte Reaktionen hervorrufen kann.
Zur Berechnung etwa von Inzidenzen sei die Untersuchung nicht geeignet, schränkten die Studienautoren ein. Als mögliche Limitationen der Aussagekraft nannten sie die Freiwilligkeit der Meldung aus den Heilberufen an das FAERS, die sich in verschiedenen Bereichen auswirken kann. Das Aufzeigen von Trends und von möglichen Ansatzpunkten für die weitere Anaphylaxie-Forschung schränke dies jedoch nicht ein, so die Autoren abschließend.