Apotheke von Wassermassen zerstört |
Cornelia Dölger |
16.07.2021 14:15 Uhr |
Komplett zerstörte Schaufenster: die Ahrtor-Apotheke in Ahrweiler. / Foto: Linda Wnendt
Eigentlich ist es beinahe unmöglich, das Ausmaß der Flutkatastrophe zu beschreiben, die in diesen Tagen den Westen Deutschlands heimsucht. Die nackten Zahlen über Tote, Verletze und Vermisste nach den Unwettern mögen einen Rahmen darüber abstecken, was da gerade passiert – aber was diese ungeheure Flut mit den Menschen und ihren Existenzen macht, lässt viele verstummen. Apothekerin Linda Wnendt aus Ahrweiler möchte aber reden. Sie hat ihre Apotheke in den Wassermassen verloren – und schildert im Gespräch mit der PZ, wie sie dies erlebt hat.
Als die Wassermassen die Ahrtor-Apotheke in Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz vorgestern Nacht erreichten, war Inhaberin Wnendt nicht da. Sie schlief in ihrer Wohnung in Köln, 60 Kilometer entfernt von dem Gebiet, das in diesen Tagen tragische Bekanntheit erreicht, weil es besonders stark von den Dauerregenfällen und der damit einhergehenden Flutkatastrophe betroffen ist. »Mein Vermieter hatte abends noch die Keller kontrolliert, da schien alles in Ordnung«, berichtet die Pharmazeutin der PZ. Dass ihre Apotheke gefährdet sein könnte, lag nahe – das Haus aus den 1950er-Jahren mit dem aufgesetzten Fachwerk im Obergeschoss steht unmittelbar an einem der vier Stadttore des historischen Städtchens. Draußen vorbei fließt die Ahr, eigentlich ein kleiner Fluss, fast ein Bach, der durch den Dauerregen aber stark angeschwollen war.
Dann in der Nacht kam der Knall – so hätten es der Vermieter sowie Kollegen und Bekannte geschildert, die dabei waren, sagt Wnendt. Eine Flutwelle sei durch das Stadttor geschossen, habe sich durch die Gassen gewälzt und sei in Keller und Erdgeschosse eingedrungen. »Darauf konnte man sich nicht vorbereiten, die Flut kam von jetzt auf gleich.« Am frühen Morgen verließ Wnendt Köln und eilte nach Ahrweiler – wo sich ihr ein katastrophales Bild bot. »Übereinandergestapelte Autos, verwüstete Häuser, Schlammmassen«, erklärt sie. Strom, Telefon, Trinkwasser – alles weg. Und: »Die Apotheke im Erdgeschoss stand bis zur Decke unter Wasser.«
Die Ahrtor-Apotheke im Weinstädtchen Ahrweiler in Rheinland-Pfalz wurde durch die Flutwelle komplett zerstört. / Foto: Wnendt
Den Schaden genauer zu begutachten, war zunächst unmöglich; die Altstadt stand komplett unter Wasser, so dass niemand die Häuser betreten konnte. Erst am Nachmittag, mit sinkendem Pegel, tauchte die Ahrtor-Apotheke im wahrsten Sinn wieder auf. Zum Vorschein kamen ein eingedrücktes Laborfenster, zerstörte Schaufenster und ein verwüstetes Erdgeschoss der Apotheke, die Wnendt erst vor zwei Jahren hatte aufwändig in Industrie-Design sanieren lassen. »Dafür haben wir sogar einen Design-Award bekommen«, erzählt sie. Ihre Apotheke, in der sie zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zwei Botendienstler beschäftigt, sah anders aus als andere, berichtet sie. Etwas Besonderes. Nun aber überdeckte Schlamm alles. Der Keller, in dem der Kommissionierautomat und der Tresor mit wichtigen Datenträgern stehen: völlig überflutet, zudem sämtliches Inventar, alle Arzneimittel und andere Apothekenprodukte »total hinüber«, erklärt Wnendt. Ihr Vermieter habe sie noch vorgewarnt und ihr geraten, dass sie sich für den ersten Anblick Beistand holen solle. »Aber ich war schon gefasst«, sagt sie.
Wenn man so will, hat Wnendt, die die Ahrtor-Apotheke seit 13 Jahren betreibt und seit 20 Jahren in Ahrweiler arbeitet, noch ein wenig Glück angesichts des Unglücks. Anders als einige Nachbargeschäfte, so erzählt sie, habe sie eine Versicherung gegen Elementarschäden durch Umweltkatastrophen wie diese. Die habe sie bereits angerufen und ihr sei versichert worden, dass man für den Schaden aufkomme, sagt sie.
Ob die Apotheke im Erdgeschoss des Hauses aus den 1950er-Jahren wieder aufgebaut werden kann, ist fraglich. Das Wasser stand im Erdgeschoss zwischenzeitlich bis unter die Decke. / Foto: Linda Wnendt
Wie groß der sei – noch komplett unüberschaubar, denn auch wenn das Wasser langsam abfließt und laut Wetterprognose auch kein Regen mehr kommen soll, kann das Haus nach wie vor nicht geräumt werden. Zudem sei nicht klar, ob es Unterspülungen gebe. »Zunächst muss mein Vermieter einen Statiker vom Katastrophenschutz herbestellen, der prüft, ob das Haus überhaupt noch zu retten ist«, so Wnendt. Bevor das nicht passiert sei, dürfe das Wasser nicht aus dem Keller gepumpt werden, weil ansonsten der Wasserdruck von außen zu stark würde und die Mauern zum Einsturz bringen könnte. Andererseits – auch das sei wichtig – müsse der alles bedeckende Schlamm bald beseitigt werden, damit er nicht komplett eintrockne und noch mehr zerstöre. »Aber vorerst muss ich noch abwarten.«
Was sie während des Wartens macht? »Profane, aber elementare Erledigungen«, erklärt Wnendt. Sie habe bei ihrer Apothekerkammer angerufen und ihre Apotheke vom Notdienst abgemeldet, sie habe ihr Steuerbüro informiert und sich zudem bei ihrer Rezeptabrechnungsstelle gemeldet. »Die Abrechnungen wären jetzt fällig gewesen.« Wie auch die tägliche Versorgung der Patienten, unter anderem in zwei Pflegeheimen, die die Ahrtor-Apotheke mit Arzneimitteln beliefert.
Die Flutwelle drückte das Laborfenster ein. / Foto: Linda Wnendt
»Die Telefonanlage in der Apotheke ist auf meinen Anschluss umgeleitet und es rufen Patienten an und verstehen im ersten Moment das Ausmaß gar nicht«, so Wnendt. »Sie begreifen erst nach und nach, dass einfach nichts mehr da ist.« Bis sich so etwas wie ein Alltag wieder eingestellt hat, dürfte noch einige Zeit vergehen – wenn die Apotheke überhaupt in der Form wieder aufgebaut werden kann.
Skurril, erzählt Wnendt, seien die kleinen Dinge gewesen, die sie gestern überraschend aus dem Schlamm retten konnte. Da war der Tresorschlüssel, dann war da die Kaffeekasse des Apothekenteams oder ein Warmie-Kuscheltier, das auf dem hochkant aufgeschwemmten HV-Tisch lag. »Es waren solche Kleinigkeiten, die mich in der Situation gefreut haben.«