Antipsychotika sind wirksam, aber unbeliebt |
Brigitte M. Gensthaler |
02.06.2025 16:20 Uhr |
Patienten mit Schizophrenie leiden häufig an akustischen, visuellen oder taktilen Halluzinationen sowie Wahnvorstellungen, typischerweise Beziehungs- und Verfolgungswahn. Diese zählen zu den sogenannten Positivsymptomen. / © Adobe Stock/zakalinka
Eine Schizophrenie beginnt meist im jungen Erwachsenenalter. Etwa 20 Prozent der Patienten haben eine dauerhafte Psychose, ebenso viele nur eine einmalige Episode. »Dazwischen liegen sehr unterschiedliche, oft chronifizierende Verläufe«, informierte Professor Dr. Stefan Leucht, Leiter der Sektion für Evidenzbasierte Medizin in der Psychiatrie und Psychotherapie an der TU München, beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran.
Im Vordergrund stehen oft die Positivsymptome wie Halluzinationen (akustisch, visuell, taktil) und Wahn, typischerweise Verfolgungswahn. »Schizophrenie ist aber keine Persönlichkeitsspaltung.« Manche Patienten leiden vorrangig an Negativsymptomen wie Antriebs- und Freudlosigkeit sowie ausgeprägten kognitiven Defiziten.
»Alle Antipsychotika sind Dopaminblocker, die die Positivsymptome gut adressieren, aber nicht gut gegen Negativsymptome wirken«, zeigte der Psychiater anhand einer Netzwerk-Metaanalyse (DOI: 10.1016/S0140-6736(19)31135-3). Sie wirken nicht unspezifisch sedierend, sondern spezifisch gegen Positivsymptome.
Bei der Auswahl der Medikation solle der Patient mitwirken, empfahl Leucht. Dabei helfe ein »Shared Decision Making Assistant« (SMDA) für Erwachsene mit Schizophrenie. Damit könne man Antipsychotika nach ihrer Wirkung und ihrem Nebenwirkungspotenzial, zum Beispiel Gewichtszunahme, anticholinergen Nebeneffekten, Bewegungsstörungen oder Hyperprolaktinämie, ranken.
Zur Frage, wie verschiedene Subgruppen behandelt werden, veröffentlichte Leucht mit Kollegen im Jahr 2022 eine Metaanalyse im Fachblatt »The Lancet Psychiatry« (DOI: 10.1016/S2215-0366(22)00304-2). Demnach wird bei Kindern und Jugendlichen eine stark nebenwirkungsgeleitete Therapie bevorzugt und bei Älteren eine niedrigere Dosierung, um Nebenwirkungen einzugrenzen.
Professor Dr. Stefan Leucht / © PZ/Alois Müller
Erstmals erkrankte Menschen sprächen in der Regel sehr gut auf Antipsychotika an. »Je mehr Rückfälle sie erleiden, umso schlechter wird die Ansprechrate«, erklärte der Psychiater. Leiden die Patienten vorwiegend an Negativsymptomen, seien nur Cariprazin (D3-partieller Agonist) oder niedrig dosiertes Amisulprid (15 bis 300 mg/Tag) »wirklich wirksam«, so der Psychiater. Bei Therapieresistenz ist Clozapin das Mittel der Wahl. Bei Patienten mit Substanzmissbrauch werden Zweitgenerations-Antipsychotika und Depotformulierungen bevorzugt. Andere Wirkstoffgruppen sollen nicht eingesetzt werden, außer Antidepressiva bei persistierenden Negativsymptomen oder Depression.
Wie lange dauert es, bis eine Wirkung spürbar wird? Die Theorie des verzögerten Wirkeintritts von Antipsychotika sei überholt, informierte Leucht. Die psychotischen Symptome sprächen schon in der ersten Woche an; bis zu Woche 4 komme es zu einer Besserung. »Der größte Effekt passiert am Anfang. Wenn sich in den ersten beiden Wochen nichts tut oder der Patient sich verschlechtert, ist es unwahrscheinlich, dass noch ein Effekt eintritt. Daher soll man nach zwei bis vier Wochen die Therapie anpassen.« Bis der volle antipsychotische Effekt eintritt, könne es aber Wochen bis Monate dauern.
Antipsychotika sind sehr wirksam zur Rezidivprophylaxe. Leucht nannte als Faustregel: Erstmals Erkrankte sollen die Substanzen über ein bis zwei Jahre nehmen, mehrfach Erkrankte mindestens fünf Jahre. Wer danach absetzt, habe ein deutlich höheres Rückfallrisiko als derjenige, der sie weiter einnimmt. Zu bedenken sei jedoch: 20 Prozent der Patienten haben gar keine Rückfälle.
Depot-Antipsychotika (Long Acting Injectables, LAI) seien Peroralia in puncto Rückfallprophylaxe deutlich überlegen, da die Compliance hier weitgehend gesichert ist. In der Diskussion wies Moderator Dr. Christian Ude darauf hin, dass Adhärenzförderung eine wesentliche Aufgabe in der Apotheke sei. Der Psychiater war begeistert: »Daran habe ich gar nicht gedacht, aber es ist toll, dass Sie so gut beraten.«