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Britische Empfehlung

Antidepressiva weniger und kürzer verschreiben

Ärzte sollten weniger Antidepressiva verordnen und das nur für kürzere Zeiträume, so das Ergebnis eines neuen Reviews. Es bestünden nach wie vor Unsicherheiten über ihren Benefit, aber auch über die potenzielle Schwere und Dauer von Entzugserscheinungen. 
Daniela Hüttemann
21.12.2021  07:00 Uhr

»Während Antidepressiva bei Patienten mit schweren Depressionen durchaus eine Rolle spielen können, überwiegen bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen oder bei Patienten, deren Symptome noch nicht als Depressionen eingestuft werden können, die Nachteile möglicherweise die Vorteile.« Zu diesem Schluss kommt ein Expertenteam um den Psychiater Dr. Mark Horowitz vom University College London in einem Review, das jetzt im unabhängigen, evidenzbasierten Journal »Drug and Therapeutics Bulletin« erschienen ist.

Aus Sicht der Autoren ist die Wirksamkeit von Antidepressiva nicht ausreichend belegt. Es gebe keinen klinisch relevanten Unterschied gegenüber einer Placebo-Gabe. Die meisten Erkenntnisse zur Wirksamkeit bei Erwachsenen stammten zudem aus placebokontrollierten Studien, die nur über sechs bis zwölf Wochen liefen. Die Evidenz zur Verschreibung von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen sei noch weniger überzeugend. Studien würden oft nicht die Parameter erfassen, die für die Patienten am wichtigsten seien, zum Beispiel die Verträglichkeit.

Nebenwirkungen seien häufig. So klagt etwa jeder fünfte Patient unter Einnahme von selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) über Tagesmüdigkeit, trockenen Mund, übermäßiges Schwitzen oder Gewichtszunahme; mindestens einer von vier berichtet über sexuelle Einschränkungen und jeder zehnte über Rastlosigkeit, Muskelkrämpfe oder Zuckungen, Übelkeit, Verstopfung, Durchfall oder Benommenheit.

Die Prävalenz solcher unerwünschter Effekte können noch höher bei denjenigen sein, die Antidepressiva länger als drei Jahre einnehmen. Hier können außerdem noch emotionale Abstumpfung und »geistiger Nebel« hinzukommen.

Antidepressiva nur schrittweise absetzen

Wenn Antidepressiva angesetzt werden, sollten sich Arzt und Patient auch gleich Gedanken über das Absetzen machen. Oft hätten Patienten Schwierigkeiten beim Absetzen, schreiben Horowitz und Kollegen. Vor allem wenn dieses abrupt erfolge. Dann können Ängste, Schlaflosigkeit, Depressionen, Erregung oder Appetitänderungen auftreten.

»Die Erkenntnis, dass die Entzugserscheinungen von Antidepressiva häufiger, länger anhaltend und schwerwiegender sind als bisher angenommen, hat das Royal College of Psychiatrists dazu veranlasst, ein Positionspapier herauszugeben, in dem die verschreibenden Ärzte auf dieses Problem aufmerksam gemacht werden, einschließlich der Empfehlung, die Patienten über dieses Risiko zu informieren«, heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung zur Studie.

Am besten sei ein sehr langsames Abdosieren (»Tapering«), obwohl es keine Garantie gebe, dass die Patienten dann keine Absetzerscheinungen verspüren. »Die schrittweise Dosisreduzierung und die sehr geringen Enddosen, die für ein pharmakologisch fundiertes Tapering erforderlich sind, machen die Verwendung anderer Arzneimittelformulierungen als der allgemein verfügbaren Tablettenformulierungen erforderlich«, betonen die Autoren. Vor allem langjährige Patienten bräuchten zudem zusätzliche Unterstützung.

Ihr Fazit: »Das zunehmende Wissen über die Schwierigkeiten, die manche Patienten beim Absetzen von Antidepressiva haben, sollte zu einer vorsichtigeren Verschreibungspraxis von Antidepressiva führen, die weniger Patienten über kürzere Zeiträume verabreicht werden.«

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