Angepasste Medikation mit weniger Nebenwirkungen |
Annette Rößler |
09.02.2023 07:00 Uhr |
Die für den Arzneistoff-Metabolismus wichtigen Gene lassen sich etwa anhand einer Speichel- oder Blutprobe im Labor bestimmen. / Foto: Getty Images/Andrew Brookes
Am Metabolismus von Arzneistoffen können diverse Enzyme im Körper beteiligt sein, die abhängig von der Genetik eines Individuums unterschiedlich gut arbeiten. Das kann sich auf die Plasmakonzentration des Arzneistoffs auswirken: Im Extremfall verliert die Substanz ihre Wirkung, weil sie ultraschnell abgebaut wird, oder es drohen schwere Nebenwirkungen, weil sie akkumuliert.
Bei einigen Arzneistoffen sind diese Mechanismen so wichtig, dass eine Genotypisierung vor der Anwendung zwingend vorgeschrieben ist. Hierzu zählen Eliglustat (Cerdelga®, abhängig von CYP2D6), Siponimod (Mayzent®, abhängig von CYP2C9), 5-Fluorouracil (5-FU) und seine Vorstufen (abhängig von der Dihydropyrimidin-Dehydrogenase) und Irinotecan (abhängig von der UDP-Glucuronosyltransferase 1A1). In diesen Fällen werden die Kosten für den Gentest von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen.
Darüber hinaus gibt es aber noch zahlreiche andere Arzneistoffe, bei denen es sinnvoll ist, die Dosis an den Metabolisierungsstatus des Anwenders anzupassen (siehe Kasten). Dazu, wie das im Einzelfall am besten vonstatten gehen sollte, hat etwa die Dutch Pharmacogenetics Working Group (DPWG), eine Arbeitsgruppe der niederländischen Apothekerorganisation KNMP, detaillierte Empfehlungen erarbeitet. In einer multinationalen Studie, deren Ergebnisse im Fachjoural »The Lancet« erschienen sind, konnte jetzt gezeigt werden, dass die Berücksichtigung dieser Empfehlungen schwere Nebenwirkungen einer Pharmakotherapie signifikant reduziert.
Eine sehr gute Internetadresse für Informationen zur Pharmakogenetik ist www.pharmgkb.org. Die Pharmacogenomics Knowledgebase (PharmGKB) ist eine öffentlich zugängliche Datenbank, die von den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) finanziert wird. Dort gibt es beispielsweise eine Übersicht über sämtliche Arzneistoffe, bei denen genetische Informationen für die korrekte Anwendung berücksichtigt werden sollten (www.pharmgkb.org/labelAnnotations). Wichtige Anbieter von pharmakogenetischen Tests in Deutschland sind etwa die Firmen Humatrix und Bio-Logis.
An der PREPARE-Studie nahmen insgesamt 6944 Patienten aus sieben europäischen Ländern (Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Slowenien und Spanien) teil. Beteiligt waren neben Kliniken auch öffentliche Gesundheitszentren und Apotheken. Probanden konnten eingeschlossen werden, wenn sie über 18 Jahre alt waren und im Studienzeitraum zwischen März 2017 und Juni 2020 mindestens ein Arzneimittel neu verordnet bekommen hatten, für das eine genotypbasierte Empfehlung der DPWG existierte.
Bei 3342 Patienten wurde daraufhin ein Panel von zwölf Genen bestimmt, die für die Verstoffwechslung von Arzneistoffen wichtig sind, dem verantwortlichen Heilberufler das Ergebnis mitgeteilt und dem Patienten in Form eines Medication Safety Code (MDS) auf einer Chipkarte zur Verfügung gestellt. Es wurde also nicht nur das Gen bestimmt, das am Metabolismus des sogenannten Index-Arzneistoffs beteiligt ist. Somit konnte das Ergebnis der Genotypisierung während des Studienzeitraums gegebenenfalls auch für die Dosisanpassung anderer Arzneistoffe genutzt werden. Die Heilberufler waren zuvor entsprechend geschult worden. Ob sie die Empfehlungen tatsächlich umsetzten, wurde allerdings nicht überprüft.
Die 3602 Patienten der Kontrollgruppe erhielten die Genotypisierung samt MDS-Chipkarte erst am Ende des Follow-up-Zeitraums, der mindestens zwölf Wochen und längstens 18 Monate betrug. Bei ihnen konnte somit während der Studie keine genotypabhängige Dosisanpassung erfolgen.
Berücksichtigte man nur die 1558 Probanden, bei denen anhand des Testergebnisses eine Anpassung der Dosis des Index-Arzneistoffs ratsam war/gewesen wäre, traten klinisch relevante Nebenwirkungen in der Studiengruppe bei 152 von 725 Probanden auf (21,0 Prozent) und in der Kontrollgruppe bei 231 von 833 (27,7 Prozent). Bezogen auf alle auswertbaren Teilnehmer lag die Nebenwirkungs-Inzidenz bei 628 von 2923 (21,5 Prozent) in der Studiengruppe versus 934 von 3270 in der Kontrollgruppe (28,6 Prozent). Beides bedeutete jeweils eine Reduktion des Nebenwirkungsrisikos um 30 Prozent in der Studiengruppe (Odds Ratio 0,70).
Die Autoren um Professor Dr. Jesse J. Swen von der Universität Leiden in den Niederlanden ziehen daraus folgendes Fazit: Das in dieser Studie verwendete zwölf Gene umfassende pharmakogenetische Panel reduzierte das Auftreten von klinisch relevanten Nebenwirkungen signifikant und war in den Gesundheitssystemen und Settings verschiedener europäischer Länder anwendbar. Eine breite Implementation des Tests könnte die Arzneimittelanwendung sicherer machen.