Ampel-Pläne gehen nicht weit genug |
Jennifer Evans |
25.11.2021 13:00 Uhr |
Um auch künftig die Arzneimittel-Versorgung sicherzustellen, bedarf es politische Änderungen, so die Pharma-Industrie. Der nun vorgelegte Koalitionsvertrag würde diese aber nicht ausreichend unterstützen. / Foto: Getty Images/Gam1983
Die Vorstellung des neuen Koalitionsvertrags hat gemischte Gefühle bei Industrie und Kassen ausgelöst. Auf der einen Seite freuen sich die Hersteller, dass SPD, Grüne und FDP künftig den Pharmastandort Deutschland stärken möchten. Allerdings bemängelt der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) die Pläne der Ampel am Preismoratorium festzuhalten. Seit mehr als 11 Jahren könnten Hersteller dadurch unter anderem die Produktionskosten nicht mehr ausgleichen. »Die aktuelle Corona-Krise belegt, wie wichtig ein innovationsoffenes System für die schnelle Verfügbarkeit von Arzneimitteln ist. Hier setzt die neue Koalition falsche Signale«, heißt es vom BPI. Denn sichere Lieferketten seien nur mit »verlässlichen Rahmenbedingungen« und »auskömmlichen Preisen« erreichbar.
Die »notwendigen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten« in Deutschland sieht auch der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) durch das Preismoratorium im Koalitionsvertrag ausgebremst. Die Pläne der Ampel-Parteien seien nicht ausreichend, die Arzneimittelversorgung in Zukunft zu sichern, so der BAH. In dasselbe Rohr bläst der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) und sieht dadurch zudem die »traditionelle Stärke des deutschen Systems«, nämlich die schnelle Verfügbarkeit von Medikamenten, aufs Spiel gesetzt. Der vfa ist aber optimistisch, dass die Ampel-Partner letztlich mehr Modernisierung wagen werden als sie zunächst schriftlich im Koalitionsvertrag fixiert haben. Auch schmeckt den Herstellern natürlich nicht, dass die Kassen den Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem siebten Monat nach Markteintritt geltend machen können.
Der AOK-Bundesverband sieht in den Plänen der Koalitionäre zwar »gute Ansätze«. Insbesondere was die »finanzielle Stabilisierung des Gesundheitswesens betrifft«. Gemeint sind die Bundeszuschüsse, die die Regierung in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) investieren will. Gewünscht hätte sich der Verband aber auch die Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf 7 Prozent sowie die Anhebung des Herstellerrabatts für patentgeschützte Arzneimittel auf 16 Prozent. Doch diese Passagen aus dem ersten Entwurfspapier haben die drei Parteien auf den letzten Metern noch gestrichen. Nach Auffassung der AOK ist das ein Rückschritt. Allerdings begrüßt der Bundesverband ausdrücklich die neuen regionalen Versorgungsmodelle, wie etwa Gesundheitskioske oder Gesundheitslotsen. Und es überrascht nicht, wenn die AOK erwähnt, nichts gegen die Begrenzung der Arzneimittelpreise zu haben, nachdem SPD, Grüne und FDP die Weiterentwicklung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) angekündigt haben.
Die Techniker Krankenkasse (TK) sieht die Ampel vornehmlich in der Pflicht, die Verantwortung für die Zukunft des Gesundheitssystems zu übernehmen. Vor allem aber freut sich die Kasse über den Digitalisierungsfokus in dem Papier, insbesondere was mehr Tempo bei der elektronischen Patientenakte angeht. Für die TK ist sie nämlich »ein Schlüsselelement der Digitalisierung.« Auch die geplante Nutzung der Gesundheitsdaten hält sie für einen Schritt in die richtige Richtung.
Wie der AOK-Bundesverband, freut sich auch die ABDA über den politischen Fokus auf mehr sektorenübergreifende und interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Viel ausschlaggebender für die Apothekerschaft aber sei, dass die Koalition »ein klares Bekenntnis zur Stärkung pharmazeutischer Dienstleistungen in Apotheken abgibt«, heißt es. Auch den geplanten Bürokratieabbau befürwortet die Bundesvereinigung. Weniger administrativer Ballast bedeute mehr Zeit für die Patientenbetreuung. Als verpasste Chance erachtet die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening allerdings, dass die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel nun doch nicht auf 7 Prozent sinken soll. »Das hätte eine ganz erhebliche Entlastung des GKV-Systems und der Arzneimittelausgaben bedeutet.« Offene Fragen sieht sie zudem bei den Themen Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung mit Arzneimitteln auch im Notdienst, den Plänen zu einem Gesundheitssicherstellungsgesetz sowie zur Digitalisierungsstrategie. »Hier wird es auf die konkrete politische Umsetzung ankommen«, betonte Overwiening.
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