Alternative oder Anachronismus? |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.05.2019 14:16 Uhr |
Der Globuli-Streit ist kein Glaubenskrieg, denn Wirksamkeit lässt sich wissenschaftlich nachweisen. / Foto: Shutterstock/polya_olya
Einen ganzen Nachmittag hatten die Landesapothekerkammer Thüringen und der Thüringer Apothekerverband als Ausrichter des Apothekertags für die Diskussion eingeräumt. Zunächst kam die Medizinerin Dr. Natalie Grams zu Wort. In einem Impulsreferat zeigte die ehemalige Homöopathin, die inzwischen eine der bekanntesten Kritikerinnen der Therapieform in Deutschland geworden ist, dass sich mit Homöopathika viel Geld verdienen lässt. 780 Millionen Euro Umsatz sei in Deutschland im Jahr 2018 mit diesen Produkten erzielt worden. Die Gewinnmargen lägen in diesem Bereich sehr hoch, so Grams.
Die Produkte sind beliebt, aber wie sieht es mit der Wirksamkeit aus? In 200 Jahren Forschungsgeschichte sei eine Wirksamkeit über Placeboniveau nicht eindeutig nachgewiesen worden. Alle großen, sauber durchgeführten Reviews, der höchste Grad klinischer Evidenz, seien negativ ausgefallen. Aus diesem Grund forderte Grams, dass Homöopathika aus dem Arzneimittelstatus und der Apothekenpflicht entlassen werden und nicht mehr von Krankenkassen erstattet werden dürften: »Homöopathika spotten dem Wunsch nach Evidenz- und Wissenschaftsbasierung«, so die Medizinerin. Ihr Fazit: Homöopathie hat keinen Platz in der Medizin.
Dem widersprach Dr. Michael Keusgen, Professor am Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Marburg. Homöopathika seien feste Bestandteile des europäischen Gemeinschaftsrechts. Sie seien »richtige Arzneimittel«, die der traditionellen europäischen Medizin zugerechnet werden. Entscheidend für den Status als Arzneimittel sei nicht der Nachweis einer pharmakologischen Wirkung, sondern die »therapeutische Wirksamkeit, die sich auch aus der Tradition ergeben kann«. Viele Methoden hätten ihre Legitimation in der Tradition. Außerdem gebe es kein Experiment, das vollständig ausschließen könne, dass Homöopathika eine Wirkung haben, so Keusgen.
Der Psychologe Professor Dr. Tilmann Betsch von der Universität Erfurt erwiderte , dass die Menschheit in den vergangenen Jahrhunderten große Fortschritte in der Wissenschaft gemacht habe. Statt Hypothesen zu glauben, könne man sie systematisch prüfen, und die Wirksamkeit von Arzneimitteln mithilfe von klinischen placebokontrollierten Studien ermitteln. »Die Nullhypothese kann man nicht beweisen, aber die Datenlage zu Homöopathika nach wissenschaftlichen Kriterien durchgehen und dann müssen wir sagen: Da ist nichts.« Er wünschte sich von den Apothekern, evidenzbasiert zu beraten und nicht auf eigene Erfahrungen als Beleg für eine Wirkung von Homöopathika zu verweisen. Eigene Erfahrungen seien nicht geeignet, um eine Wirkung zu belegen, dafür seien randomisierte, placebokontrollierte Interventionsstudien nötig, die Konfundierungen ausschließen.
Eine Wirksamkeit von Homöopathika gibt es nicht, sagte auch Professor Dr. Jutta Hübner, Onkologin am Universitätsklinikum Jena. »Was hilft, ist das Reden.« Doch Zuwendung und Zeit für den Patienten seien im hochgradig ökonomisierten Gesundheitssystem knapp. Grams pflichtete ihr bei, dass die Zuwendung helfe und nicht die Globuli: »Homöopathie ist die falsche Antwort auf die richtige Frage.«
Keine Evidenz, aber Kostenerstattung durch die Krankenkasse? Wie das zusammenhänge, fragte der Moderator der Diskussion, Peter Ditzel, Herausgeber der »Deutschen Apotheker Zeitung«, den Leiter der TK-Landesvertretung Thüringen, Guido Dressel. Die Techniker Krankenkasse bezahle seit 2012 für Homöopathika, sagte Dressel. Er gab zu, dass dies auch ein Marketinginstrument sei, um finanzstarke Versicherte zu gewinnen, beziehungsweise eine Maßnahme, um freiwillig Versicherte in der GKV zu halten. Hübner kritisierte, dass die Kostenerstattung in Diskussionen häufig das Hauptargument für den Nutzen der Präparate sei: Wenn sie von den Kassen bezahlt würden, müssten sie doch wirken. Auch Betsch betonte, dass der Arzneimittelstatus und die Kostenerstattung durch die Krankenkasse falsche Überzeugungen von einer Wirksamkeit herstellten, die auch schaden können – wenn nämlich bei ernsten Erkrankungen auf wirksame Medikamente verzichtet werde.
Hier sieht Apothekerin Margit Schlenk die Hauptaufgabe für die Apotheker. Diese dienten als Regulativ, »als eine Art Firewall«. Pharmazeuten sollten ausführlich beraten und in letzter Konsequenz auch von einem ungeeigneten Arzneimittel abraten. »Heilkunst ist, das richtige Arzneimittel für den richtigen Patienten auszuwählen«, sagte Schlenk. Für sie ist die Homöopathie »ein Strahl der Beratungssonne«, ein Bestandteil der Therapievielfalt, auf den sie nicht verzichten möchte.
Diskutierten in Weimar über Homöopathie (von links): Guido Dressel, Jutta Hübner, Margit Schlenk, Moderator Peter Ditzel, Natalie Grams, Michael Keusgen und Tilmann Betsch. / Foto: LAKT/ThAV/Alois Mueller
Auch Keusgen machte sich für Homöopathika stark. Er appellierte an alle Apotheker, den Versorgungsauftrag ernst zu nehmen und die Patienten fundiert zu beraten. Das Verhalten, Homöopathika nicht abzugeben, hält er für berufsstandschädigend, da Apotheker einen Versorgungsauftrag hätten. Der Kontrahierungszwang bleibe bestehen, sagte auch Grams. Aber am Arzneimittelstatus der Präparate könne man ja etwas ändern. »Gesetze kann man ändern, wenn sich die Realität ändert.« In einer abschließenden Befragung des Auditoriums gab die Mehrheit der Apotheker an, froh zu sein, auf Homöopathika als weitere Therapieform zurückgreifen zu können.