Alle Kliniken müssen jetzt handeln |
Christina Hohmann-Jeddi |
22.03.2020 13:52 Uhr |
Freie Beatmungsplätze sind das Nadelöhr bei der Versorgung von schwer kranken Covid-19-Patienten. Jetzt wurde ein Register freigeschaltet, in das alle Kliniken ihre Kapazitäten eintragen können und sollen. / Foto: Picture Alliance
Wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, wird die Zahl der Beatmungsplätze das Nadelöhr im Gesundheitssystem bei der SARS-CoV-2-Pandemie sein. Angesichts der deutschland- und europaweit dramatisch zunehmenden Infektionen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 und Covid-19-Erkrankungen fordert die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) alle Krankenhäuser in Deutschland auf, sämtliche planbaren Operationen sofort abzusagen und auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben – soweit dies medizinisch vertretbar erscheint.
»Trotz der dringenden Appelle der Bundesregierung und zuletzt auch des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn erreichen uns immer noch Meldungen aus Krankenhäusern, dass ungeachtet der aktuellen Bedrohungslage durch die rasch ansteigenden Covid-19-Erkrankungen immer noch operative Eingriffe und Untersuchungen durchgeführt werden«, sagt DIVI-Präsident Professor Dr. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, laut einer Mitteilung der DIVI. Ein solches Vorgehen sei völlig unverantwortlich. Alle Krankenhäuser sollten die Zeit jetzt nutzen, um die Kapazitäten vor allem auf den Intensivstationen zu erhöhen und Personal zu schulen.
Sollten Krankenhäuser von diesem unsolidarischen und unkollegialen Vorgehen nicht abweichen, sind nach Ansicht der DIVI für diesen Fall sanktionierende Maßnahmen durch die Behörden vorzusehen. Notfalls müsse man mit einem rechtsverbindlichen Erlass die Einhaltung der Empfehlungen der Bundesregierung durchsetzen.
Vor allem die Kapazität von Beatmungsplätzen ist für die Versorgung von schwer Erkrankten Covid-19-Patienten entscheidend. Die DIVI hat zusammen mit dem Robert-Koch-Institut und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) eine Website erstellt, über die freie Beatmungsplätze in allen Kliniken Deutschlands registriert und abgefragt werden können. Das DIVI-Intensivregister wurde vor wenigen Tagen freigeschaltet. Ab sofort sollen unter www.divi.de/intensivregister erstmals mehr als 1000 Kliniken aus ganz Deutschland zentral erfasst und öffentlich einsehbar sein.
Über die Online-Plattform sollen Intensivmediziner aller Kliniken in Deutschland unkompliziert Kapazitäten abfragen können. Das Register setzt darauf, dass alle Krankenhäuser tagesaktuell ihre Daten in einem geschlossenen Bereich der Datenbank selbstständig einpflegen, um auf dieser Basis eine regionale Koordination der intensivstationären Betten und damit eine optimale Versorgung der Covid-19-Patienten sicherzustellen. Die DKG hat alle Klinikleiter angeschrieben und zur Zusammenarbeit aufgerufen. Dr. Gerald Gaß, Präsident der DKG, sagt dazu: »Durch die neue Plattform werden wir die Versorgungssituation sicherlich verbessern können und hoffen, mögliche Engpässe zu verhindern.«
Im Zuge der H1N1-Grippepandemie im Jahr 2009 hatten DIVI-Experten bereits ein deutschlandweites Netzwerk aufgebaut, in dem Kliniken ihre Behandlungskapazitäten für Patienten mit akutem Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) tagesaktuell anzeigen konnten. Bisher waren rund 85 Kliniken in diesem ARDS-Netzwerk miteinander verbunden. Dieses wurde jetzt als Grundlage für das neue DIVI-Intensivregister genutzt. In nur fünf Minuten können sich neue Kliniken registrieren.
»Auch die tagesaktuelle Eingabe der Daten dauert keine fünf Minuten«, erklärt Privatdozent Dr. Mario Menk vom ARDS-ECMO Centrum an der Berliner Charité. Ein Ampelsystem, angezeigt in Tabellen, macht die Abfrage von Kapazitäten intuitiv und einfach. Unterschieden wird zwischen freien Kapazitäten für low Care (Patienten mit geringem Betreuungsbedarf), high Care (schwer Kranke) und ECMO (schwerstkranke Beatmungspatienten). ECMO steht für extrakorporale Membranoxygenierung und ist ein Verfahren, bei dem eine Maschine die Lungenfunktion übernimmt.
Je nach Fragestellung stehen weitere Filterfunktionen zur Verfügung. »Ganz wichtig ist auch die Beratungsfunktion des Registers«, erklärt Menk. Kliniken mit viel Erfahrung in der Beatmung von Patienten sind zusätzlich gekennzeichnet. Die Idee dahinter: »Kollegen, die akute Fragestellungen haben, gerade aus den kleineren Kliniken, die seltener beatmungspflichtige Patienten behandeln, können jetzt mit wenigen Klicks sehen, an welche größere Klinik sie sich telefonisch wenden können.« Telefonnummer und Ansprechpartner sind in einem zweiten Teil des Registers hinterlegt, für den sich die Kliniken aber erst einloggen müssen, heißt es in der Mitteilung.
Jetzt setzten alle Beteiligten auf den Schulterschluss sämtlicher Kliniken in Deutschland. Das DIVI-Intensivregister wurde innerhalb von 14 Tagen programmiert. Es soll binnen 14 Stunden von 85 Kliniken auf 1000 komplettiert werden.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.