40 Jahre HIV |
Christina Hohmann-Jeddi |
30.11.2023 18:00 Uhr |
Häufig seien Hämophiliepatienten betroffen gewesen, weil diese meist mit Gerinnungsfaktorkonzentraten aus Blutspenden behandelt worden seien, die aus den USA stammten und nicht mit virusinaktivierenden Methoden behandelt worden seien. »Als es Mitte der 1980er-Jahre erstmals möglich wurde, auf das Vorhandensein einer HIV-Infektion zu testen, war die Mehrheit der westdeutschen Hämophiliepatienten bereits mit HIV infiziert«, so das RKI. Zudem breitete sich der Aids-Erreger unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), und unter Drogenkonsumenten vor allem in Großstädten aus. Der Gipfel dieser ersten Infektionswelle in Deutschland wurde 1985 mit mehr als 5000 Neuinfektionen erreicht.
Danach gingen die HIV-Neuinfektionszahlen zurück, was das RKI auf einen Sättigungseffekt in den Risikogruppen, aber auch auf erfolgreiche Präventionsmaßnahmen wie die »Safer Sex«-Kampagne und die Bereitstellung von sterilen Injektionsbestecken für Drogenkonsumenten zurückführt. Die Angst vor der unheilbaren, tödlichen Erkrankung habe zu einer massiven Verhaltensänderung in der Bevölkerung geführt: Die Partnerzahlen sanken, auf Analverkehr wurde verzichtet und die Verwendung von Kondomen etablierte sich.
Einen weiteren Einschnitt bedeutete die Entwicklung einer antiretroviralen Therapie (ART), die ab 1996 eine effektive Behandlung der Infektion erlaubte und in Deutschland allen diagnostizierten Patienten zur Verfügung gestellt wurde. Dies verringerte die Zahl der HIV-Neuinfektionen zusätzlich, da bei einer niedrigen Viruslast im Blut der Erreger nicht übertragen werden kann.
Der Trend kehrte sich aber zu Beginn des neuen Jahrtausends wieder um und ab dem Jahr 2000 wurde ein deutlicher Anstieg der Neuinfektionszahlen verzeichnet. Dies führt das RKI im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurück. Zum einen setzte sich in der Fachwelt wegen der komplizierten Einnahmeschemata der ART und ihren durchaus ernsten unerwünschten Wirkungen die Einstellung durch, dass mit der medikamentösen Behandlung erst möglichst spät begonnen werden sollte. Mit dem ART-Start sollte gewartet werden, bis die Zahl der T-Helferzellen einen bestimmten Schwellenwert unterschreitet, lautete die Empfehlung. Entsprechend war ein Teil der HIV-Infizierten zu dieser Zeit unbehandelt und somit infektiös. Erst ab 2017 wurde wieder ein sofortiger Therapiebeginn empfohlen, da sich gezeigt hatte, dass dieser dem Behandelten nützt und dessen Infektiosität absenkt.
Zum anderen führte die Etablierung des Internets und später auch die zunehmende Verbreitung von Smartphones zu einer vereinfachten Partnersuche gerade in der MSM-Szene außerhalb von Großstädten. »Die Möglichkeit, potenzielle Sexualpartner online auf Datingseiten im Internet und später mit dem Smartphone über Apps zu finden, ›revolutionierte‹ die Partnersuche«, so das RKI.
Ab 2007 begann die Zahl der Neuinfektionen aufgrund der verstärkten HIV-Testung und dem sofortigen Therapiebeginn wieder zu sinken. Ein besonders starker Rückgang im Jahr 2020 ging vermutlich auf die Kontaktbeschränkungen zu Beginn der Coronapandemie zurück. Seitdem ist die jährliche Zahl der HIV-Neuinfektionen in etwa konstant. Für das Jahr 2022 wird eine Gesamtzahl von 1900 HIV-Neuinfektionen geschätzt. Hiervon sind etwa 1000 MSM; 520 Personen haben sich auf heterosexuellem Weg angesteckt und 370 durch intravenösen Drogengebrauch.