Niedersachsen: Apotheken in Seenot, Politik in Sehnot |
Über Sonnenschein und Regen im Bereich der Arzneimittelversorgung sprachen am Donnerstagabend Vertreter von Apothekerschaft und anderen Heilberufen, Krankenkassen, Pharmaindustrie und Politik beim gemeinsamen Sommerfest von Apothekerkammer und Landesapothekerverband Niedersachsen in Hannover. Kammerpräsidentin Magdalene Linz freute sich nicht nur über das schöne Wetter und die zahlreichen Gäste, sondern auch über die ersten ärztlichen Verordnungen für ein fachliches Konsil des Apothekers bei AOK-Patienten mit Polymedikation. Dies ist nach einem Vertrag zwischen dem LAV, der AOK Niedersachsen, der Kassenärztlichen Vereinigung des Landes sowie den regionalen Hausärzteverbänden seit 2017 möglich. «Es wäre schön, wenn sich auch andere Krankenkassen überlegen würden, dass Apotheker hier einen wichtigen Beitrag leisten können», sagte Linz und warb so für eine Ausweitung des Projekts.
Nicht zuletzt angesichts des desaströsen Positionspapiers des GKV-Spitzenverbands zur Arzneimittelversorgung, wonach bei den Apotheken 1 Milliarde Euro gespart und Fremd- und Mehrbesitz erlaubt werden soll, müssten die Apotheker mehr herausstellen, was sie tagtäglich (und auch nachts) leisten. «Ich glaube nicht, dass man auf 40 Prozent der Apotheken verzichten kann», stellte die Kammerpräsidentin fest.
Auch der LAV-Vorsitzende Berend Groeneveld betonte die derzeitigen Probleme in der Arzneimittelversorgung «an allen Ecken und Enden». Sollten die Vorschläge der Krankenkassen oder des Honorargutachtens im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums umgesetzt werden, könnten höchstens die Kosten des Apothekenbetriebs gedeckt, aber nichts mehr verdient werden.
Die Sparwut führe zunehmend zu Versorgungsengpässen, wie Groeneveld anhand vieler Beispiele für nicht lieferbare Medikamente und angesichts des Valsartan-Skandals illustrierte: «Waren es vor den Rabattverträgen durchschnittlich 15 bis 20 Defekte pro Monat, sind momentan 350 Arzneimittel definitiv nicht lieferbar, darunter Schmerzmittel wie Ibuprofen, Adrenalin-Pens, Infusionslösungen und Impfstoffe.» Valsartan-Präparate gebe es derzeit nur noch wenige der ursprünglich mehr als 20 Anbieter. Groeneveld wünscht sich hier eine freizügige Regelung aller Krankenkassen bei der Belieferung entsprechender Rezepte, ohne Angst vor Retaxationen. Bislang gebe es entsprechende Zusicherungen nur von der AOK und den Ersatzkassen.
Auf Bundesebene fehle es an Lösungen für eine zukunftsorientierte, medizinische und pharmazeutische Versorgung. «Während wir in Seenot sind, herrscht dort Sehnot», konstatierte Groeneveld. Der Bund solle sich ein Beispiel an der Landesregierung in Niedersachsen nehmen. Hier ziehe das Gesundheitsministerium mit den Apothekern an einem Strang, um eine flächendeckende Arzneimittelversorgung weiterhin zu gewährleisten und setze sich dafür auch auf Bundesebene ein.
So betonte Ehrengast Heiger Scholz (SPD), Staatssekretär im niedersächsischen Gesundheitsministerium, dann auch die besondere Bedeutung des Apothekers. «Wir setzen weiterhin auf eine wohnortnahe und unabhängige Arzneimittelversorgung», versicherte er. «Wenn Doc Morris in allen Stadtteilen einzieht, haben wir damit nichts gewonnen. Das vertreten wir auch auf Bundesebene.» Gerade in den vergangenen Wochen habe man gesehen, wie wichtig Apotheker sind. «Die Vielzahl der örtlichen Apotheken ist die beste Garantie, es wieder aufzufangen, wenn in der Produktion etwas schief läuft», so der Staatssekretär angesichts zahlreicher Arzneimittel-Rückrufaktionen.
Scholz unterstrich auch die Bedeutung des Apothekers im Krankenhaus: «Als Stationsapotheker können Sie Ihren eigenen positiven Beitrag zur Senkung der Morbidität und Mortalität leisten», sagte er im Hinblick auf das geplante niedersächsische Krankenhausgesetz, über das gerade noch im Gesundheitsausschuss beraten wird. Der Staatssekretär geht davon aus, dass das Gesetz noch in diesem Jahr «mit großer Mehrheit» beschlossen wird. Damit sollen Krankenhäuser verpflichtet werden, Apotheker auf Stationen einzusetzen, um die Arzneimitteltherapiesicherheit zu erhöhen.
Scholz sowie einige Landtagsabgeordnete stießen erst etwas später beim Sommerfest hinzu. Zuvor hatte der Landtag über den Landärztemangel debattiert. Auf eine Landarztquote bei der Studienplatzvergabe konnte sich die rot-schwarze Landesregierung auch am Donnerstag nicht einigen. Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) sagte in ihrer Rede im Landtag, dass Niedersachsen mit einem freiwilligen Landarzt-Stipendienprogramm für Medizinstudenten bereits sehr positive Erfahrungen gemacht habe. Im Rahmen des «Masterplans Medizinstudium 2020» solle es eine deutliche Erhöhung um bis zu 200 Studienplätze für Humanmediziner.
Angesichts ähnlicher Nachwuchssorgen und der demografischen Entwicklung wünschen sich die niedersächsischen Apotheker parallel dazu eine Aufstockung der Pharmazie-Studienplätze. Synergien einer standortnahen Ausbildung von Medizin- und Pharmaziestudierenden legten den Grundstein für die immer wichtiger werdende interprofessionelle Patientenversorgung der Zukunft, teilte die Apothekerkammer mit. Bislang ist dies in Niedersachsen kaum möglich: Während man Medizin in Hannover, Göttingen oder Oldenburg studieren kann, wird ein Pharmaziestudium nur in Braunschweig angeboten. (dh)
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24.08.2018 l PZ
Foto: PZ/Hüttemann