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Häusliche Gewalt: Ärzte sollen mehr auf Opfer achten

Mediziner sollen nach Ansicht von Fachleuten mehr auf Fälle häuslicher Gewalt achten. Schon das Erstgespräch könne dazu genutzt werden, bei den Patienten vorzufühlen, fordert die Ärztekammern in NRW. «Die Anamnese darf sich nicht nur um die Bereiche wie Gewichtsverlust, Krankheiten in der Familie, Alkohol- und Tabakkonsum drehen», sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, kurz vor Beginn eines Kongresses zum Thema in Düsseldorf. Auch mögliche Gewalterfahrungen und Sexualität in der Beziehung müssten mit abgefragt werden. «Schon alleine die Tatsache, dass diese Fragen zur Normalität werden, könnte dafür sorgen, dass sich Arzt und Patient bei dem Thema wohler fühlen.»

 

Täglich hätten Mediziner mit Opfern von häuslicher Gewalt zu tun. Doch die Hemmschwelle, darüber zu reden, sei immer noch groß. «Im Durchschnitt unterbricht der Arzt den Patienten nach 18 Sekunden das erste Mal.» Nach einer Frage wie: «Ist etwas geschehen?» sollte er den Betroffenen mehr Zeit lassen, betonte Henke. Nach Angaben der Ärztekammer ist die Zahl der Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt innerhalb eines Jahrzehnts von rund 16.000 auf 27.000 pro Jahr angestiegen.

 

Am Samstag kommen in Düsseldorf rund 200 Mediziner und Fachleute zu einer Tagung zu dem Thema zusammen. Beteiligt sind die Ärztekammern sowie das Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit in NRW. Das Ziel des Austausches: Das schnellere Erkennen von häuslicher Gewalt sowie die gemeinsame Vorgehensweise mit Opferhilfen und Psychologen. Neben einer möglichen Erweiterung der Anamnese steht auch die Schweigepflicht der Ärzte und wann sie gebrochen werden kann auf der Agenda. Auch über die gerichtstaugliche Dokumentation von Verletzungen soll informiert werden.

 

«Die einzigen sicheren Daten, die wir haben, sind die Strafanzeigen», sagte der Mediziner Wolfgang Wöller. Der Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie aus Bad Honnef ist einer der 25 Redner bei der Tagung. Dass die reale Gewalt in den eigenen vier Wänden zugenommen hat, glaubt er nicht. «Wir erkennen die Fälle mittlerweile besser und kommen immer mehr an die Dunkelziffer heran.»

 

Es sind vor allem Frauen, die von ihren Partnern physisch und psychisch misshandelt werden, wie die Ärztekammern vor der Fachtagung berichteten. «Bei Männern scheint die Situation weitaus weniger dramatisch, weil es aber auch keine belastbaren Zahlen gibt», sagte Wöller. Für viele Männer sei es immer noch ein Tabu zuzugeben, von einer Frau gequält zu werden.

 

Doch was ist überhaupt häusliche Gewalt? Die Definition ist laut der Ärztekammern weit gefasst: «Es geht um Gewalt, die zwischen Personen geschieht, die durch intime, verwandtschaftliche oder gesetzliche Beziehung miteinander verbunden sind», sagt der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst. Inhaltlich könne schon dazuzählen, seinen Partner an den Haaren davonzuziehen. Verallgemeinerungen wiederum seien gefährlich. «Es kommt immer auf den Kontext an. Nicht jedes Veilchen ist auch eins.»

 

23.09.2014 l dpa

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