Zu wenig Tagesstruktur raubt den Schlaf |
Brigitte M. Gensthaler |
18.06.2024 18:00 Uhr |
Wer nachts nicht schlafen kann, sollte seine Tagesgewohnheiten überprüfen. / Foto: Getty Images/Shannon Fagan
»Im Alter wird der Schlaf oberflächlicher und fragmentierter, vor allem wegen Alterungsprozessen im Gehirn«, informierte Privatdozentin Dr. Anna Heidbreder, Oberärztin an der Universitätsklinik für Neurologie am Kepler Universitätsklinikum Linz, heute bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM).
Generell sei der Schlaf schon ab dem 50. Lebensjahr störanfälliger und häufiger unterbrochen, was mit zunehmendem Alter immer deutlicher werde, sagte die Neurologin. Die tiefen Schlafstadien nehmen ab, die leichten Schlafstadien und die Wachanteile nehmen zu; die subjektive Erholsamkeit des Schlafs sinkt.
Mit dem Wegfall sozialer Zeit- und Taktgeber wie der Berufstätigkeit verändere sich oft die ganze Tagesstruktur. Besonders Menschen mit körperlichen Einschränkungen und Immobilität bekämen oft weniger Tageslicht. Nimmt der Hell-Dunkel-Wechsel ab, fehle jedoch der wichtigste Taktgeber. Der Schlaf-Wach-Rhythmus könne sogar komplett verloren gehen.
Auch körperliche Probleme können den Schlaf rauben, zum Beispiel ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS). Diese schlafbezogene Atemstörung entsteht, wenn die Muskeln im Rachenraum erschlaffen und die Luftwege komplett oder annähernd komplett blockieren. Die Prävalenz wird bei den 50- bis 70-Jährigen mit 17 Prozent (Männer) und 9 Prozent (Frauen) angegeben. Standardtherapie ist eine Beatmung mit positivem Atemwegsdruck (PAP: Positive Airway Pressure). Die nicht invasive nächtliche Beatmungen wirke unabhängig vom Alter und könne die Lebensqualität deutlich verbessern, sagte die Ärztin.
Neurologisch verursachte Schlafstörungen wie periodische nächtliche Beinbewegungen, das Restless-Legs-Syndrom und REM-Schlafverhaltensstörungen sollten von einem neurologisch geschulten Schlafmediziner diagnostiziert und behandelt werden.
Ältere Mensch sollten sich nicht einfach mit Schlafstörungen abfinden, betonte Heidbreder. Als erster Schritt sollten mögliche organische oder psychische Ursachen ärztlich abgeklärt und behandelt werden. »Allerdings wird die Frage nach dem Schlaf in der Anamnese oft sogar umgangen, weil das Thema emotional belastet ist und die Behandlung von Störungen so viele Änderungen im Alltag nach sich ziehen würde«, stellte die Neurologin fest.
Die Ärztin warnte vor therapeutischem Nihilismus und verwies auf nicht medikamentöse Maßnahmen. »Verhaltensänderung, Reorientierung am Tag-Nacht-Rhythmus, klare Tagesstruktur und bessere Schlafhygiene helfen auch alten Menschen«, betonte Heidbreder. Ein Spaziergang im Tageslicht und Lichtexposition könnten die Unterschiede zwischen Tag und Nacht akzentuieren, was einen besseren Schlaf ermöglichen und eventuell sogar ein Schlafmittel ersetzen kann.
»In vielen Alters- oder Pflegeheimen ist die Realität anders. Solange es üblich ist, das Abendessen um 17 Uhr zu servieren und die Patienten um 20 Uhr ins Bett zu schicken, müssen wir mit einer hausgemachten Zunahme an Schlafproblemen rechnen«, monierte die Neurologin. Hier müssten strukturelle Veränderungen einsetzen, damit alte Menschen ihren Schlaf bekommen.
Stattdessen werden oft Hypnotika wie Benzodiazepine und Z-Substanzen verordnet. Diese sind zwar akut und kurzfristig sehr wirksam, bergen aber Risiken wie Intoxikationen wegen eingeschränkter Nieren - und Leberfunktion, Toleranzentwicklung und Absetzeffekte. Das Schlafhormon Melatonin könne den physiologischen Rhythmus auch im hohen Alter unterstützen und im Verbund mit Verhaltensmodifikationen hilfreich sein, sagte Heidbreder.
Als Therapie der ersten Wahl bei chronischer Insomnie (Schlaflosigkeit) gilt die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I). Dazu gehören Entspannungstechniken und bestimmte verhaltenstherapeutische Methoden wie die Stimuluskontrolle oder Bettzeitrestriktion, die sehr effektiv sind.