Wirtschaft & Handel

Es ist Bewegung in die Landschaft des europäischen Pharmazeutischen
Großhandels gekommen. Durch den Kauf der Alliance Santé durch das
britische Unternehmen UniChem sind aber Spekulationen auch durch die
Fachpresse geäußert worden, der genossenschaftliche Großhandel könnte
sich an der Bildung von Apothekenketten europaweit beteiligen. Wir
sprachen mit dem Vorsitzenden des Sanacorp-Vorstandes, Dr. Jürgen
Brink.
PZ: Herr Dr. Brink, der Sanacorp wird nachgesagt, daß sie indirekt an dem
UniChem-Deal beteiligt sei. Nachdem ein Konkurrent der Sanacorp bereits
öffentlich diese Fusion begrüßt hat, meine erste Frage an Sie: Wie beurteilen
Sie diese Konzentration des Großhandels auf europäischer Ebene und welche
Rolle spielt und kann die Sanacorp in Europa spielen?
Brink: Ich möchte etwas ausholen, da dies eine ganz zentrale Frage ist. In der
Europäischen Union vollzieht sich das, was sich auch auf dem deutschen
Binnenmarkt in den letzten 25 Jahren vollzogen hat, nämlich eine starke
Konzentration des Pharmagroßhandels. In den 60er Jahren gab es noch über 160
Großhandelsunternehmen in Deutschland, heute sind es noch 17, wovon die vier
größten 80 Prozent des Marktes repräsentieren. Eine Parallelentwicklung sehen wir
jetzt in Europa. Das kann man bedauern oder nicht. Es ist aber eine Tatsache. Das
sehr ausgeprägte Oligopol überträgt sich auch auf den europäischen Markt und wird
immer enger. Der Marktführer ist Gehe mit großer Marktmacht, gefolgt von
Phoenix, die sich ebenfalls zu einem europäischen Großhandelsunternehmen
entwickelt hat. Meine feste Überzeugung ist, daß auch die apothekereigenen und
apothekernahen Unternehmen in Europa das gestalten müssen, was sie national
gemacht haben. Sie müssen eine Gegenmacht formieren. National hat das sehr lange
gedauert. Nach dem Kriege fingen sieben Apothekergenossenschaften als
Newcomer an. Es hat fast 50 Jahre gedauert, bis die Genossenschaften wie
Sanacorp und Noweda zusammen mit der Anzag ein Drittel des deutschen Marktes
hatten.
Das ist auch zwingend notwendig für die Positionierung in Europa. Denn nur mit
Marktmacht werden es die Apotheker schaffen, Marktbedindungen in ihrem Sinne
zu beeinflussen. Man muß allerdings einräumen, daß für die apothekereigenen und
apothekernahen Unternehmen der Weg beschwerlicher ist. Wir müssen den Weg
der Kooperation gehen und können nicht einfach andere Unternehmen übernehmen,
was wesentlich einfacher wäre. Wir müssen überzeugen. Das ist ein mühsamer Weg,
ein dickes Brett, das mit Ausdauer gebohrt werden muß. Es gab in der
Vergangenheit und es gibt sicherlich heute noch fundamentale
Auffassungsunterschiede der Manager zur Größenentwicklung. Mit guten Gründen
kann man sicherlich einer Größenentwicklung in der Region das Wort reden. Die
Noweda beweist das auch.
Das Konzept der Sanacorp ist ein anderes: Wir glauben, daß der Zwang zur Größe
angesichts der Entwicklung im Umfeld unausweichlich ist. Small is beautiful, das
werden uns die Wettbewerber nicht erlauben. Es gibt ganz gute Potentiale für uns
auch in Europa. Mit gutem Willen könnten die Sanacorp, die Anzag, die
holländische Apothekergenossenschaft OPG, die Apothekerunternehmen Herba in
Österreich und Galenica in der Schweiz einen Nukleus bilden für ein
apothekereigenes beziehungsweise apothekernahes europäisches
Großhandelsunternehmen. Dieser Nukleus könnte eine Anziehungskraft entwickeln.
Ich hoffe auch in Richtung Noweda, in Richtung der französischen
Apothekergenossenschaft und in Richtung der italienischen
Apothekergenossenschaften. Daran arbeiten wir.
Zur Zeit versuchen wir die eben genannte Gruppierung zu formieren. Wir sind schon
sehr weit mit der Herba und mit der OPG, haben allerdings einige schwierige
kartellrechtliche Probleme zu lösen, was die Integration der Anzag anbelangt. Die
große Aufgabe für 1998 muß sein, mit den Kollegen der Noweda Konsens über
eine Verbundstrategie herzustellen.
Vor diesem Hintergrund ist zunächst wichtig festzustellen, daß Alliance Santé und
UniChem nicht zu den apothekereigenen Unternehmen gehören. Wir kooperieren
mit beiden in der IPSO auf der Ebene der Herstellerlogistik. Es gilt dort, unsere
Logistik den Pharmaherstellern europaweit anzubieten. Ansonsten verbindet uns
geschäftspolitisch nichts.
PZ: Das heißt also, an der Entscheidung zu der Fusion Alliance-UniChem war
die Sanacorp nicht beteiligt, ist auch nicht gefragt worden ?
Brink: Wie alle anderen Marktbeteiligten sind wir über die Post und die Medien
über diese Fusion unterrichtet worden.
PZ: Die Gerüchte, die gestreut wurden, spiegeln die Angst der Kollegen wider,
daß über UniChem als Besitzer einer Apothekenkette nach dem Kauf von
Alliance Santé dieser Gedanke auch in die Genossenschaften getragen würde.
Die Sanacorp hat sich sehr klar gegen Fremd- und Mehrbesitz ausgesprochen,
deshalb erübrigt sich die Frage nach Ihrer Einstellung. Die Frage, die sich
allerdings immer wieder stellt und die ich Ihnen weitergeben möchte, ist:
Glauben Sie, daß die deutsche Haltung gegen Fremd- und Mehrbesitz, die ja
auch auf dem Apothekertag 1997 in Düsseldorf durch die Politiker verstärkt
wurde, noch lange aufrecht erhalten werden kann, zumal auch die eben
genannte OPG in eine andere Richtung marschiert?
Fremd-, Mehrbesitz und Versandhandel nicht in Sicht
Brink: Ich bin überzeugt davon, daß es auf absehbare Zeit, das sind für mich zehn
Jahre, in Deutschland keinen Fremd- und Mehrbesitz geben wird. Die
Bundesregierung hat sich eindeutig festgelegt, die politischen Parteien ebenso, so
daß es überhaupt keine Anhaltspunkte für die Aufhebung dieses Verbotes gibt. Es
ist auch kein Verfahren anhängig. Im übrigen gilt in der Europäischen Union das
Subsidiaritätsprinzip. Ich warne allerdings davor zu sagen, am deutschen Wesen soll
die Welt genesen. Unsere Nachbarn haben andere Wertordnungen, und ich scheue
mich immer, unsere Sicht den Nachbarn überzustülpen.
Deshalb zur OPG: Sie ist eine Apothekergenossenschaft. Sie hat in der Frage Mehr-
und Fremdbesitz - basierend auf den gesetzlichen Gegebenheiten in den
Niederlanden- eine andere Auffassung als wir, aber in Übereinstimmung mit der
holländischen Standesvertretung. Deshalb können wir der OPG nicht sagen, macht
das nicht bei euch, weil ihr mit uns auf europäischer Ebene eine gemeinsame Zukunft
anstrebt. Wir würden damit das Subsidiaritätsprinzip verletzen.
PZ: Ein andere Frage, die europäische Dimensionen hat, ist der
Versandhandel. Als Logistikunternehmen müßte es eigentlich jedem
Pharmagroßhändler in den Fingern kitzeln, in dieses Geschäft einzusteigen.
Wie sehen Sie die Gefahren durch den Versandhandel ? Müssen sich
Apotheken und Großhändler mit diesem Thema über kurz oder lang noch
intensiver auseinandersetzen, insbesondere bezogen auf den
grenzüberschreitenden Versandhandel ?
Brink: Die Sanacorp tritt vehement gegen den Versandhandel auf. Dies habe ich auf
dem 2. Handelsblatt-Gesundheitskongress im November 1997 argumentativ
untermauert. Auch hier glaube ich nicht, daß es auf absehbare Zeit in Deutschland
einen Versandhandel geben wird. Ich bin davon überzeugt, daß die
gebetsmühlenartig vorgetragene Forderung nach dem Versandhandel ein taktisches
Verhalten der Betriebskrankenkassen ist, um andere Ziele zu erreichen. Denn auch
die Vertreter der Betriebskrankenkassen, wie zum Beispiel Herr Schulte aus
Bayern, sind so clever zu wissen: Es rechnet sich nicht.
Börsengang hat sich für Sanacorp gelohnt
PZ: Lassen Sie mich mit der nächsten Frage auf Ihr Unternehmen eingehen.
Vor rund einem Jahr haben Sie den Börsengang der Sanacorp AG vorbereitet
und auch vollzogen. Ein Jahr danach stellt sich natürlich die Frage: Hat sich
dieser Weg wirtschaftlich für die Sanacorp gelohnt?
Brink: Ja, ganz eindeutig. Es sind 70 Millionen Mark in die Kasse gekommen. Wir
hätten viele Jahre thesaurieren müssen, um diesen Betrag in die Rücklagen einstellen
zu können. Wir haben damit das Unternehmen sehr krisensicher gemacht. Wir sind
heute mit einer Eigenkapitaldeckung von rund 38 Prozent der Bilanzsumme in der
Spitzengruppe der deutschen Handelsunternehmen. Es war also ein erfolgreicher
Schritt für unsere Genossenschaftsmitglieder, die direkt und indirekt mit mehr als 80
Prozent am Eigenkapital der Sanacorp AG beteiligt sind. Anderseits sind wir aus der
geschützten Welt der Genossenschaft heraus, weil uns jetzt auch Nicht-Apotheker
ihr Geld anvertraut haben. Deshalb müssen wir auch Nicht-Apothekern
Rechenschaft ablegen, die uns aus einem völlig anderen Blickwinkel heraus
beurteilen.
PZ: Viele haben den Weg der Sanacorp an die Börse kritisch begleitet und vor
Fremdeinflüssen gewarnt und den Verlust des Einflusses der Apotheker auf
ihre Sanacorp als Horrorszenario an die Wand gemalt. Deshalb meine Frage:
Haben Die Apotheker nach dem Börsengang in der Sanacorp noch das Sagen?
Brink: Zu 100 Prozent und uneingeschränkt. Die Willensbildung in den Gremien
unterliegt allein aufgrund der Rechtsform dem apothekerlichen Einfluß. Ganz wichtig
ist, daß viele Mitglieder der Apothekergenossenschaft Aktionäre der AG sind. Das
bedeutet, daß die Verzinsung des eingesetzten Kapitals in eG und AG einem
skrupulösen Analyseprozeß unterliegt, ob wir das denn auch richtig machen.
PZ: Wenn wir schon bei der Entwicklung Ihres Hauses sind und wir auch die
europäische Entwicklung diskutiert haben, würde mich natürlich Ihre Meinung
über die weitere nationale Entwicklung auf dem Großhandelssektor
interessieren. Sehen Sie den nationalen Konzentrationsprozeß als
abgeschlossen an?
Brink: Ich glaube, der Konzentrationsprozeß in Deutschland auf dem
Großhandelssektor ist abgeschlossen. Der Markt ist verteilt. Die verbliebenen
Familienunternehmen sind, soweit ich es überblicken kann, alle gut geführt, so daß
sich zur Zeit keine Übernahmen abzeichnen.
KV-Bezirke bestimmten Marktentwicklung
PZ: Eine Frage zu der wirtschaftlichen Entwicklung der Sanacorp. 1997 war
ein recht wechselhaftes Jahr, was die Umsatzentwicklung in den einzelnen
Monaten anbelangt. Spiegelt sich diese Wechselwirkung auch in Ihrer
Jahresbilanz wider?
Brink: Wir haben die Marktentwicklung in der Tendenz mitgemacht. Ausnahme
war der Juni mit den Vorzieheffekten aufgrund der Zuzahlungsregelung zum 1. Juli
1997. Schlecht waren der August und der September. Der Markt hat sich im
Oktober leicht erholt. Wir sind also dem Markt gefolgt, allerdings sind wir etwas
unter dem Markt gewachsen. Die Gründe dafür sind die sehr unterschiedlichen
Marktentwicklungen in den einzelnen KV-Bezirken. Sie war relativ am besten in
Nordrhein-Westfalen, wo wir nicht aktiv sind. In den KV-Bezirken unseres
Absatzgebietes sind große Umsatzrückgänge im Arzneimittelbereich zu verzeichnen.
Das ist ein Grund, warum wir uns unter dem Markt entwickelt haben.
Der zweite Grund war eine geschäftspolitische Entscheidung zur Frage der
Einrichtungsaufträge im Osten. Im Gegensatz zur Konkurrenz haben wir uns im
letzten Jahr bei Einrichtungsaufträgen zurückgehalten, erstens aufgrund unserer
Identität als apothekereigenes Unternehmen und zweitens, weil diese Aufträge zu
Konditionen abgewickelt wurden, die völlig irreal waren. Mit dem daraus
resultierenden Verlust von Marktanteilen haben wir gerechnet. Trotzdem hat die
Sanacorp ein gutes Ergebnis für 1997 erzielt, das beste unserer Firmengeschichte.
PZ: Gehen wir einmal in die Gesundheitspolitik. 1998 ist Wahljahr, sicher wird
sich deshalb nicht viel bewegen. Welche Erwartungen haben Sie bezüglich der
Politik nach den Bundestagswahlen?
Brink: Keine guten! Geht man von den gegenwärtigen Prognosen aus, wird es zu
einem Regierungswechsel und damit also zu Änderungen der Rahmenbedingungen
kommen. Wenn ich das 100 Punkte-Papier der SPD lese mit Positivliste et cetera,
dann wird es zu mehr staatlichen Einflüssen und Interventionen kommen und die
selbstregulierenden Kräfte beziehungsweise das freie Spiel der Kräfte wird
blockiert. Was wir bekommen, ist eine Interventionsspirale mit immer neuen
Windungen. Trotzdem bin ich der Meinung, daß der Gesundheitsmarkt der
Wachstumsmarkt der Zukunft, der nächste Kondratieff-Zyklus, sein wird.
Problematisch wird natürlich die Finanzierung des Wachstums sein, aber dauerhaft
wird man das Wachstum nicht stoppen können.
Sanacorps Rat für die Apotheker?
PZ: Was würden Sie aus Ihrer Sicht den Apotheken raten, wie sie sich auf die
Zukunft einstellen sollen?
Brink: Die Apotheker müssen zwei Dinge tun, obwohl sie Heilberufler sind. Sie
müssen ein ganz rigides Kostenmanagement in ihren Betrieben durchführen. Sie
müssen jeden Prozeß mit jedem Unterprozeß auf seine Kosten hin analysieren. Und
sie müssen angebotsorientiert agieren. Das heißt nicht: schleudern.
Angebotsorientiert heißt, es findet etwas im Kopf statt. Die Apotheker müssen ihre
Beratungskompetenz einbringen ohne das Merchandising, wie
Schaufenstergestaltung et cetera, zu vernachlässigen. Das hat nichts mit Drugstore zu
tun. Die Sanacorp hat seit langem Konzepte entwickelt und umgesetzt, um dem
Apotheker dabei zu helfen. Das fängt an bei unseren Infomonitoren, die nicht nur bei
unseren Kunden für Furore gesorgt haben. Dazu kommen Projekte, die ihren
Schwerpunkt auf zusätzlichen Umsatz für unsere Apothekerkunden legen, wie zum
Beispiel das P-Projekt. Mit dem Leanstore-Konzept als Teil des
Sanacorp-Plus-Konzepts können wir die Apotheke in einzelne Prozesse zerlegen
und dem Apotheker die Potentiale seiner Apotheke mit verblüffenden Ergebnissen
aufzeigen.
Betriebswirtschaftliche Kompetenz der Apotheker bedeutet für uns aber auch,
bereits während der Ausbildung Unterstützung anzubieten. Seit Mitte der 70er
Jahren sind wir intensiv an der Universitätsausbildung der Pharmaziestudenten -
unter anderem an den Hochschulen in Regensburg und München -im dritten
Prüfungsabschnitt beteiligt. Unsere Mitarbeiter vermitteln mit hohem Engagement
den angehenden Apothekerinnen und Apothekern die betriebswirtschaftlichen
Zusammenhänge einer Apotheke.
Euro führt zu Preisverfall
PZ: Eine letzte Frage: Wir stehen ein Jahr vor der Einführung des Euros.
Welche Einflüsse wird die Währungsumstellung nach ihrer Meinung auf den
deutschen Arzneimittelmarkt haben?
Brink: Ich erwarte durch die Währungsumstellung große Probleme, weil damit
europaweit Preistransparenz geschaffen wird. Durch diese Preistransparenz wird ein
enormer Anpassungsdruck auf die Harmonisierung des europäischen
Arzneimittelmarktes geschaffen, der zwangsläufig zu einem Preisverfall in
Deutschland führen wird.
Da Interview führte Hartmut Morck, Planegg


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