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Virusevolution

Wie sich SARS-CoV-2 weiterentwickeln könnte

Spätestens mit dem Auftauchen der SARS-CoV-2-Variante Omikron ist klar geworden, dass das Coronavirus als ein erschreckend bewegliches Ziel einzustufen ist. Was könnte nach Omikron kommen? Dafür gibt es verschiedene Szenarien.
AutorKontaktTheo Dingermann
Datum 28.12.2021  11:00 Uhr

Der Frage, wie sich SARS-CoV-2 weiterentwickeln wird, geht der Wissenschaftsjournalist Ewen Callaway aktuell in einem Beitrag auf der Nachrichtenseite des Fachjournals »Nature« nach. Sie beschäftigt Wissenschaftler seit Beginn der Pandemie: Bereits Anfang 2020 wagte der am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, Washington, forschende Evolutionsbiologe Professor Dr. Jesse Bloom eine erste Prognose. Wie viele Virenspezialisten sagte er damals voraus, dass der neue Erreger nicht ausgerottet werden würde. Vielmehr würde er neben den vier saisonalen Coronaviren, die relativ leichte Erkältungen verursachen und seit Jahrzehnten im Menschen zirkulieren, als das fünfte Coronavirus endemisch werden.

Als mögliche Blaupause für die Entwicklung von SARS-CoV-2 schlug Bloom damals im Fachjournal »PLOS Pathogenes« das saisonale Coronavirus 229E vor, das Menschen während ihres gesamten Lebens wiederholt infiziert. Dies gelingt dem Virus, indem es sich so verändert, dass es eine bestehende Immunität unterläuft, wie Bloom in Laborversuchen mit Blutproben und Erregern aus verschiedenen Jahren zeigen konnte. »Jetzt, da wir fast zwei Jahre Zeit hatten, um zu sehen, wie sich SARS-CoV-2 entwickelt, denke ich, dass es klare Parallelen zu 229E gibt«, sagt Bloom nun gegenüber »Nature News«.

In der frühen Phase der Pandemie hatten Evolutionsbiologen zwei große Kategorien von Veränderungen des Virus im Blick: eine Verbesserung der Fitness, die das Virus infektiöser oder übertragbarer macht, oder ein Immunescape, mit dem das Virus eine bestehende Immunität des Wirts unterläuft. Da von diesen beiden Szenarien nur das erste dem Virus einen Vorteil bringt, wenn es um die Infektion von immunnaiven Menschen geht, rechneten Experten damit, dass es zunächst diesen Weg einschlagen würde.

Tatsächlich ließen sich anfangs derartige Tendenzen auch nachweisen. So führte die D614G-Mutation innerhalb des Gens für das virale Spike-Protein zu einer leicht verbesserten Übertragbarkeit, wie in einer Publikation im Fachjournal »Cell« gezeigt wurde. »Aber dieser Zugewinn war geradezu vernachlässigbar im Vergleich zu den sprunghaften Steigerungen der Übertragbarkeit, die später bei den Varianten Delta und Alpha gezeigt wurden«, sagt Professor Dr. Sarah Otto, Evolutionsbiologin an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada.

Die in einem kurzen Zeitraum Ende 2020 bis Anfang 2021 aufgetauchten besorgniserregenden Varianten (VOC) Alpha, Beta und Gamma weisen Mutationen auf, die das Virus zu einem optimierten Eindringen in die Zellen nutzt. Darüber hinaus tragen sie auch Mutationen, die aus Isolaten von SARS-CoV-2-infizierten Patienten mit einem geschwächten Immunsystem identifiziert wurden. Deshalb wurde die Hypothese formuliert, dass Langzeitinfektionen dem Virus die Möglichkeit geben könnten, verschiedene Mutationskombinationen zu erproben, um diejenigen zu finden, die besonders erfolgreich sind. Typische Infektionen, die nur wenige Tage dauern, bieten für einen solchen evolutionären Test deutlich weniger Möglichkeiten.

Unabhängig von ihrer Herkunft schienen alle drei VOC, Alpha, Beta und Gamma, infektiöser zu sein als die Stämme, die sie verdrängten. Beta und Gamma enthielten jedoch darüber hinaus auch Mutationen, die eine Tendenz zur Immunflucht zeigten. Dies deutete darauf hin, dass das Virus begann, sich so zu verhalten, wie es Bloom in seinen Studien zu 229E vorausgesagt hatte.

»Delta kam aus heiterem Himmel«

Die drei Varianten verbreiteten sich weltweit. Viele Forscher glaubten damals, dass Alpha als anscheinend infektiöseste Variante der drei ein Ausgangspunkt für Varianten mit zusätzlichen Immunescape-Mutationen sein würde. »Das war absolut nicht der Fall«, sagt Professor Dr. Paul Bieniasz, Virologe an der Rockefeller University in New York City. »Auch Delta kam aus heiterem Himmel.«

Die Delta-Variante wurde im Frühjahr 2021 im indischen Bundesstaat Maharashtra identifiziert und Forscher sind immer noch dabei, eine Bilanz der durch diese Varianten verursachten Folgen für die Pandemie zu ziehen. Laborstudien, die auf dem Preprint-Server »BioRxiv« veröffentlicht wurden, legen nahe, dass Delta seine Fitness verbessern konnte, indem es seine Fähigkeiten, menschliche Zellen zu infizieren, optimierte. Im Vergleich zu anderen Varianten, einschließlich Alpha, vermehrt sich Delta schneller und effektiver in den Atemwegen infizierter Personen. Delta ist dadurch etwa 60 Prozent infektiöser als Alpha.

Momentan dominieren Delta und seine Abkömmlinge das weltweite Covid-19-Geschehen. Doch mit dem Auftauchen der Omikron-Variante ist zu erwarten, dass das nicht lange so bleiben wird. Diese Variante scheint sowohl einen Fitnessvorteil gegenüber Delta zu besitzen als auch die Fähigkeit, Menschen zu infizieren, die durch eine Impfung oder eine frühere Infektion gegen frühere Varianten immun sind.

Letzteres passt laut Professor Dr. Sarah Cobey, Evolutionsbiologin an der Universität von Chicago in Illinois, zu theoretischen Vorhersagen zur möglichen Evolution von SARS-CoV-2. »Wenn die Zunahme der Infektiosität von SARS-CoV-2 nachlässt, muss das Virus seine Fitness durch die Überwindung einer Immunabwehr aufrechterhalten«. Das erhöhe die Zahl der verfügbaren Wirte in einer Population erheblich. Es sei schwer vorstellbar, dass potenzielle Steigerungen der Infektiosität auch nur einen annähernd großen Effekt haben könnten.

Beruhigend ist, dass Varianten mit Immunescape-Mutationen, zum Beipsiel Beta, die Wirksamkeit von Impfstoffen bisher zwar abgeschwächt, aber nie vollständig aufgehoben haben, insbesondere nicht gegen schwere Krankheiten. Im Vergleich zu anderen Varianten enthält Omikron allerdings viel mehr dieser Mutationen, insbesondere in der Rezeptorbindedomäne (RBD) des Spike-Proteins, über die das Virus mit dem ACE2-Rezeptor interagiert. Aber: »Die RBD ist relativ klein«, sagt Professor Dr. Jason McLellan, ein Strukturbiologe an der University of Texas in Austin, »und die Region kann nur so viel Veränderung vertragen, dass sie immer noch ihre Hauptaufgabe erfüllen kann, sich an die ACE2-Rezeptoren der Wirtszellen zu binden«.

Ein Virus im Wandel

Wie sich SARS-CoV-2 als Reaktion auf einen steigenden Immunschutz entwickelt, hat Auswirkungen auf seinen Übergang zu einem endemischen Virus. Epidemiologen gehen davon aus, dass sich wohl kein homogenes Infektionsgeschehen einstellen wird, sondern dass es auch in der pandemischen Phase Ausbrüche unterschiedlichen Ausmaßes geben wird, wie es bei der Grippe und den meisten anderen häufigen Atemwegsinfektionen der Fall ist.

Das hoffnungsvollste, aber unwahrscheinlichste Szenario für SARS-CoV-2 wäre, dem Weg der Masern zu folgen: Eine Infektion oder Impfung bietet lebenslangen Schutz und das Virus zirkuliert weitgehend auf der Grundlage von Infektionen bei Neugeborenen.

Eine wahrscheinlicheres, aber trotzdem noch relativ hoffnungsvolles Szenario wäre der Weg, den das respiratorische Synzytialvirus (RSV) geht. Mit diesem Erreger infizieren sich die meisten Menschen in ihren ersten beiden Lebensjahren. Daher ist RSV eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte bei Säuglingen, aber in den meisten Fällen verläuft die Krankheit bei Kindern milde. Die allmählich schwindende Immunität und die virale Evolution führen dazu, dass jedes Jahr neue RSV-Stämme auftauchen, die Erwachsene in großer Zahl infizieren. Aber dank der Exposition in der Kindheit sind die Symptome nur schwach. Wenn SARS-CoV-2 diesem Weg folgt, unterstützt durch Impfstoffe, die einen starken Schutz gegen schwere Erkrankungen bieten, »wird es im Wesentlichen ein Virus, das für Kinder problematisch ist«, sagt Professor Dr. Andrew Rambaut, Evolutionsbiologe an der Universität von Edinburgh.

Die Influenza zeigt ein weiteres Szenario auf, eigentlich sogar zwei. Das Influenza-A-Virus entwickelt rasch neue Varianten, die sich effizient ausbreiten, da sie einer Immunität, die von früheren Stämmen induziert wurde, entkommen können. Das Ergebnis sind saisonale Epidemien, die hauptsächlich durch die Ausbreitung bei Erwachsenen getrieben werden. Zum Teil können die Kranken sehr schwere Symptome entwickeln. Grippeimpfungen verringern den Schweregrad der Krankheit und verlangsamen die Übertragung, aber das schnelle Mutieren der Influenza A-Stämme hat zur Folge, dass die Impfstoffe nicht immer ausreichend gut auf die zirkulierenden Stämme abgestimmt sind.

Wenn sich allerdings SARS-CoV-2 so entwickelt, dass es sich einer bestehenden Immunität nur langsam entzieht, könnte seine Evolution der von Influenza B ähneln. Die im Vergleich zur Influenza A langsamere Mutationsrate dieses Virus bedeutet, dass es weitgehend Kinder infiziert, die weniger immun sind als Erwachsene.

Allerdings könnte das Virus nach Ansicht von Rambaut und anderen auch eine ganz andere Richtung einschlagen. Die explosionsartige Verbreitung der Delta-Variante und der Aufstieg von Omikron, der auch durch die ungleiche Verteilung von Impfstoffen an Länder mit niedrigem Einkommen oder durch unzureichende Kontrollmaßnahmen in einigen wohlhabenden Ländern begünstigt wird, lassen durchaus auch weitere überraschende Evolutionssprünge von SARS-CoV-2 erahnen. Zudem bietet die Zirkulation in Tierreservoiren wie Nerzen oder Weißwedelhirschen noch mehr Potenzial für überraschende Veränderungen mit Konsequenzen für einen Krankheitsverlauf. »Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie sich das Virus entwickeln kann«, sagt Rambaut, »noch hat es sich nicht festgelegt.«

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