Wie Lärm der Gesundheit schaden kann |
Gemäß der Gutenberg-Studie empfinden Menschen Fluglärm als schlimmste Lärmbelästigung, gefolgt von Straßen-, Nachbarschafts-, Industrie- und Bahnlärm. / Foto: Getty Images/Westend61
»Lärm definiert sich durch ein Geräusch, das nicht mal unbedingt laut sein muss, jedoch unerwünscht ist. Man empfindet es als unangenehm, man will sich dem entziehen«, erklärte Lärmforscherin Brigitte Schulte-Fortkamp der Deutschen Presse-Agentur zum »Tag gegen Lärm« am 27. April. Grundsätzlich sei das Empfinden von Lärm subjektiv, so die Akustik-Spezialistin. Im Allgemeinen könne man aber sagen, dass sehr laute Geräusche, die bei über 85 Dezibel lägen und Kommunikation verhinderten, relativ einheitlich als Lärm empfunden würden, wenn es sich um Umgebungsgeräusche handele. Vergleichbar sei dies mit einem dicht vorbeifahrenden Lkw.
Lärm oder Krach sei belästigend, könne die Konzentration stören oder im seltenen Extremfall, wenn er anhalte und jede Erholung ausschließe, auch krankmachen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht sogar davon aus, dass Umgebungslärm, insbesondere Verkehrslärm in Westeuropa, jährlich für den Verlust von mehr als einer Million gesunder Lebensjahre durch Einschränkungen oder vorzeitige Sterblichkeit verantwortlich ist.
Die Evolution habe den menschlichen Organismus so programmiert, dass er Geräusche als Hinweis auf mögliche Gefahrenquellen wahrnimmt – sogar im Schlaf, informiert die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). »Lärm versetzt den Körper in Alarmbereitschaft«, erläutert Professor Dr. Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz. In der Folge aktiviere das autonome Nervensystem Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol, reagiere mit einem Anstieg der Herzrate und des Blutdrucks und anderen physiologischen Prozessen.
Werde Lärm zum Dauerzustand, könnten chronische Erkrankungen entstehen. »Tatsächlich haben Beobachtungs- und experimentelle Studien gezeigt, dass anhaltende Lärmbelästigung das Auftreten von Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie von Diabetes Typ 2 begünstigt«, erklärt Beutel weiter. Doch werde immer deutlicher: Zu den negativen Auswirkungen von Lärmbelästigung gehören nicht nur kardiovaskuläre, sondern auch psychische Erkrankungen.
»Lärmbelästigung stört tägliche Aktivitäten, stört Gefühle und Gedanken, den Schlaf und die Erholung«, erklärt der DGPM-Experte. Die Unterbrechungen lösten negative emotionale Reaktionen wie Ärger, Distress, Erschöpfung, Fluchtimpulse und Stresssymptome aus. »Solche Zustände fördern auf Dauer die Entstehung von Depressionen.«
Dies bestätigt laut der DGPM die groß angelegte Gutenberg-Gesundheitsstudie am Beispiel der Mainzer Bevölkerung, die zu einem großen Teil unter Lärmbelästigung durch den nahen Frankfurter Flughafen leidet. »Mit zunehmender Lärmbelästigung stiegen die Raten von Depressionen und Angststörungen kontinuierlich an, bis sich die Risiken bei extremer Belästigung schließlich verdoppelten«, schildert Beutel.
Andere Untersuchungen wiesen in dieselbe Richtung, heißt es weiter. So fand eine Metaanalyse eine Steigerung des Risikos für Depressionen um 12 Prozent pro Lärmzunahme um 10 Dezibel. Eine weitere Untersuchung stellte einen Zusammenhang zwischen nächtlicher Lärmbelästigung und der Einnahme von Antidepressiva fest.
Gemäß Gutenberg-Studie empfänden Menschen Fluglärm als stärkste Belastung, gefolgt von Straßen-, Nachbarschafts-, Industrie- und Bahnlärm, informiert die DGPM weiter. Dabei trete Lärm am häufigsten in Ballungsgebieten auf, die auch Luftverschmutzung produzieren – etwa Feinstaub. »Feinstaub steht ebenfalls unter Verdacht, Ängste und Depressionen zu fördern«, so Beutel. »Denn die kleinen Feinstaubpartikel können in die Blutbahn gelangen und dort Entzündungsprozesse auslösen, die wiederum mit Depressionen in enger Wechselwirkung stehen.«
Die Zusammenhänge zwischen Lärm, Luftverschmutzung und psychischen Störungen sollten daher weiter erforscht werden, betont der DGPM-Experte. »Bisher verfügen wir ausschließlich über Querschnittsstudien, also Momentaufnahmen, die nur eine begrenzte Aussagekraft besitzen«, so Beutel. »Wir benötigen unbedingt hochwertige Längsschnittstudien, um gegebenenfalls Präventionsmaßnahmen ableiten zu können.«
»Die Beschaffenheit des Wohnumfelds beeinflusst das Auftreten von Depressionen – und dazu gehört auch Lärm, dessen Auswirkungen lange vernachlässigt wurden«, resümiert der Psychosomatik-Experte aus Mainz.