Wie können mehr Antibiotika entwickelt werden? |
Lukas Brockfeld |
22.03.2024 15:24 Uhr |
Professor Hoerauf, der selbst in der Antibiotikaforschung arbeitet, beschrieb die Probleme des Standortes Deutschland: »In der Bundesrepublik wird viel gute Grundlagenforschung gefördert, aber das Geld fehlt in der weiteren Entwicklung. An vielen Universitäten kann einfach niemand arbeiten, weil es die Gelder nicht gibt.« Zwar sei die Situation in den vergangenen Jahren besser geworden, aber bei der Finanzierung fehle zum Beispiel ein Ausgleich der Inflation.
Im Kampf gegen multiresistente Keime brauche es laut Hoerauf viele Maßnahmen, beispielsweise sollten Ärztinnen und Ärzte Antibiotika zurückhaltender verschreiben. Doch es werde immer Resistenzen geben, daher sei es unerlässlich, ständig neue Antibiotika zu entwickeln. »Sonst wird die Hochleistungsmedizin in nicht allzu ferner Zukunft herbe Einbußen erleiden. Ohne Antibiotika können wir beispielsweise Patienten mit einer Knochenmarkstransplantation nicht mehr infektionsfrei halten. Wir würden in der Medizin um Jahre zurückfallen, und das müsste nicht sein«, erklärte Hoerauf.
Außerdem könne es sein, dass plötzlich neue resistente Bakterien auftauchen. Die MRSA-Keime, die inzwischen für große Probleme sorgen, seien aus einigen wenigen Stämmen entstanden und hätten sich dann weltweit verbreitet. In einer stark vernetzten und dicht besiedelten Welt sei das Risiko für die Entstehung neuer multiresistenter Erreger hoch, warnte der Professor.
Marc Gitzinger betonte, dass es neue Marktanreizsysteme für Antibiotika bräuchte: »Alle Studien kommen auf den ungefähr gleichen Wert. Ein neues Antibiotikum muss etwa 3,5 Milliarden Umsatz machen.« Das sei zwar eine erhebliche Summe, doch die internationale Gemeinschaft könne das problemlos stemmen. »Wir haben schon heute hohe Kosten durch multiresistente Erreger, da Menschen beispielsweise länger im Krankenhaus liegen. Vermutlich ist das eine Nullsummenrechnung. Die Neuentwicklung kostet unterm Strich nicht mehr, wir setzen das Geld nur anders ein.«
Es gebe verschiedene Modelle zur Schaffung neuer Marktanreizsysteme. Eines ist das sogenannte »Netflix-Modell«: »Ein Land zahlt für den Zugang zu einem Antibiotikum und nicht mehr für den konkreten Einsatz«, erklärte Gitzinger. »So entkoppelt man den Umsatz vom Volumen. Dieses Modell ergibt international am meisten Sinn.«
In der Europäischen Union sei das allerdings nur schwer umsetzbar, da das System mit seinen 27 Mitgliedsstaaten sehr komplex sei. »Die EU-Kommission hat daher die Idee, sogenannte transferable exclusivity Voucher (TEV) auszugeben. Das bedeutet, dass eine Firma, die erfolgreich ein Antibiotikum auf den Markt bringt, einen Gutschein bekommt, den sie zur Entwicklung eines anderen Medikaments einsetzen kann.« Die Voucher würden die Datenexklusivität oder das Patent für ein ausgewähltes Medizinprodukt um ein Jahr verlängern. Außerdem lassen sich die TEV verkaufen.
Gitzinger schätzt den Wert eines Vouchers auf etwa 400 Millionen Euro. Das »Netflix-Modell« ließe sich nur auf nationaler Ebene wirklich umsetzen, was bei 27 EU-Staaten zu chaotischen Zuständen führen dürfte. Daher würde die Industrie das TEV-Modell bevorzugen. Wichtig ist laut Gitzinger vor allem, dass eine praktikable Lösung gefunden werde: »Es ist zehn nach zwölf!«