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Immer mehr Resistenzen 

Wie können mehr Antibiotika entwickelt werden?

Antibiotikaresistenzen sind inzwischen ein erhebliches Problem für die Gesundheitsversorgung. Wie können wieder mehr wirksame Mittel gegen Infektionen entwickelt werden? Darüber wurde am Mittwoch bei der »Europe 2024«-Konferenz diskutiert. 
AutorKontaktLukas Brockfeld
Datum 22.03.2024  15:24 Uhr

Bakterien, die gegen praktisch alle Antibiotika immun sind, sind schon lange kein Problem der Zukunft mehr.  Pro Jahr sterben weltweit etwa 1,3 Millionen Menschen aufgrund von multiresistenten Erregern. Das Robert-Koch-Institut geht von jährlich knapp 10.000 Todesfällen in Deutschland aus. Ein Großteil dieser Todesfälle wäre vermeidbar, doch es werden kaum neue Antibiotika entwickelt, die gegen multiresistente Keime wirksam sind.

Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) lud daher Professor Achim Hoerauf und Marc Gitzinger zur »Europe 2024«-Konferenz ein, um mit Moderatorin Alexandra-Corinna Heeser über Lösungen für die Antibiotika-Krise zu sprechen. Die Konferenz fand am 19. und 20. März statt und wurde gemeinsam von der Zeit, dem Handelsblatt, dem Tagesspiegel und der WirtschaftsWoche organisiert. 

»Aus wissenschaftlicher Sicht können wir das Problem der Antibiotikaresistenzen lösen, man muss nur dranbleiben«, erklärte Marc Gitzinger, der das Biotechnologieunternehmen »BioVersys« mitgründete. »Bakterien entwickeln sich ständig weiter, auch bei der perfekten Anwendung von Antibiotika wird es immer neue Resistenzen geben. Doch das ist ein Wettlauf, dem wir eigentlich gewachsen sind.« 

Entwicklung lohnt sich nicht

Trotzdem gebe es immer weniger wirksame Mittel, die Industrie habe sich weitgehend aus der Forschung zurückgezogen. »Es kostet zwischen 300 und 500 Millionen Euro, ein neues Antibiotikum zu entwickeln. Rechnet man Fehlschläge bei der Entwicklung mit ein, sind es etwa 1,5 Milliarden Euro«, so Gitzinger. »Das erfolgreichste Antibiotikum, das in den letzten 10 Jahren entwickelt wurde, hat aber nur etwa 100 Millionen Euro Umsatz gemacht. Man sieht sofort, dass das nicht funktionieren kann.«

Weltweit seien aktuell nur 40 neue Antibiotika in Entwicklung. Die meisten würden von Firmen mit weniger als 20 Mitarbeitenden entwickelt. Die Arbeitsbedingungen in der Branche seien schwierig, sodass sich viele Wissenschaftler anderen Forschungszweigen zuwenden würden. »Die Zahlen sind dramatisch. Seit 2019 haben sieben Biotech-Firmen ein neues Antibiotikum in den USA zur Zulassung gebracht. Inzwischen sind drei dieser Firmen pleite, die übrigen vier halten sich gerade so über Wasser. Eine zusätzliche Zulassung in Europa könnten sich diese Unternehmen niemals leisten«, erklärte Gitzinger. 

Die stagnierende Forschung sei besonders ärgerlich, da die Antibiotika die wahrscheinlich erfolgreichste Medikamentenklasse der Menschheitsgeschichte seien. »Es gab nie einen größeren Effekt auf die globale Lebenserwartung als zu dem Zeitpunkt, als Penicillin auf den Markt kam. Wir schmeißen das gerade mit offenen Augen weg«, klagte Gitzinger. 

Ende der Hochleistungsmedizin?

Professor Hoerauf, der selbst in der Antibiotikaforschung arbeitet, beschrieb die Probleme des Standortes Deutschland: »In der Bundesrepublik wird viel gute Grundlagenforschung gefördert, aber das Geld fehlt in der weiteren Entwicklung. An vielen Universitäten kann einfach niemand arbeiten, weil es die Gelder nicht gibt.« Zwar sei die Situation in den vergangenen Jahren besser geworden, aber bei der Finanzierung fehle zum Beispiel ein Ausgleich der Inflation. 

Im Kampf gegen multiresistente Keime brauche es laut Hoerauf viele Maßnahmen, beispielsweise sollten Ärztinnen und Ärzte Antibiotika zurückhaltender verschreiben. Doch es werde immer Resistenzen geben, daher sei es unerlässlich, ständig neue Antibiotika zu entwickeln. »Sonst wird die Hochleistungsmedizin in nicht allzu ferner Zukunft herbe Einbußen erleiden. Ohne Antibiotika können wir beispielsweise Patienten mit einer Knochenmarkstransplantation nicht mehr infektionsfrei halten. Wir würden in der Medizin um Jahre zurückfallen, und das müsste nicht sein«, erklärte Hoerauf. 

Außerdem könne es sein, dass plötzlich neue resistente Bakterien auftauchen. Die MRSA-Keime, die inzwischen für große Probleme sorgen, seien aus einigen wenigen Stämmen entstanden und hätten sich dann weltweit verbreitet. In einer stark vernetzten und dicht besiedelten Welt sei das Risiko für die Entstehung neuer multiresistenter Erreger hoch, warnte der Professor. 

Neue Marktanreizsysteme 

Marc Gitzinger betonte, dass es neue Marktanreizsysteme für Antibiotika bräuchte: »Alle Studien kommen auf den ungefähr gleichen Wert. Ein neues Antibiotikum muss etwa 3,5 Milliarden Umsatz machen.« Das sei zwar eine erhebliche Summe, doch die internationale Gemeinschaft könne das problemlos stemmen. »Wir haben schon heute hohe Kosten durch multiresistente Erreger, da Menschen beispielsweise länger im Krankenhaus liegen. Vermutlich ist das eine Nullsummenrechnung. Die Neuentwicklung kostet unterm Strich nicht mehr, wir setzen das Geld nur anders ein.« 

Es gebe verschiedene Modelle zur Schaffung neuer Marktanreizsysteme. Eines ist das sogenannte »Netflix-Modell«: »Ein Land zahlt für den Zugang zu einem Antibiotikum und nicht mehr für den konkreten Einsatz«, erklärte Gitzinger. »So entkoppelt man den Umsatz vom Volumen. Dieses Modell ergibt international am meisten Sinn.« 

In der Europäischen Union sei das allerdings nur schwer umsetzbar, da das System mit seinen 27 Mitgliedsstaaten sehr komplex sei. »Die EU-Kommission hat daher die Idee, sogenannte transferable exclusivity Voucher (TEV) auszugeben. Das bedeutet, dass eine Firma, die erfolgreich ein Antibiotikum auf den Markt bringt, einen Gutschein bekommt, den sie zur Entwicklung eines anderen Medikaments einsetzen kann.« Die Voucher würden die Datenexklusivität oder das Patent für ein ausgewähltes Medizinprodukt um ein Jahr verlängern. Außerdem lassen sich die TEV verkaufen.

Gitzinger schätzt den Wert eines Vouchers auf etwa 400 Millionen Euro. Das »Netflix-Modell« ließe sich nur auf nationaler Ebene wirklich umsetzen, was bei 27 EU-Staaten zu chaotischen Zuständen führen dürfte. Daher würde die Industrie das TEV-Modell bevorzugen. Wichtig ist laut Gitzinger vor allem, dass eine praktikable Lösung gefunden werde: »Es ist zehn nach zwölf!«

Hoher Handlungsdruck 

Hoerauf erklärte, dass der ganze Forschungszweig bedroht sei, wenn nicht bald ein anderes Marktmodell geschaffen werde: »Wir kommen in der gesamten Wissenschaft und der akademischen Ausbildung in Bredouille, weil die Experten abwandern. Die gehen zum Beispiel in die Tumorforschung oder in andere Bereiche mit besseren Bedingungen. Wenn das passiert, werden wir abhängig von anderen Staaten, zum Beispiel von den USA oder China.« 

Für Hoerauf ist klar, dass das größte Problem der Antibiotika-Forschung die fehlenden finanziellen Ressourcen sind: »Bisher wurde viel zu wenig verstanden, dass die Entwicklung neuer Antibiotika eine prophylaktische Maßnahme ist, die die Folgekosten von Infektionen reduziert und unsere Hochleistungsmedizin überhaupt ermöglicht.« 

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