Wie kann die Arzneimittelqualität proaktiv verbessert werden? |
Brigitte M. Gensthaler |
23.09.2024 11:30 Uhr |
Ganz überwiegend werden Arzneistoffe und Arzneimittel heute in China und Indien produziert. Doch wie gut ist die Qualitätskontrolle dort? / Foto: Getty Images/Wengen Ling
»In Deutschland haben wir ein sehr gutes, verzahntes Sicherheitssystem und daher können Patienten auf die Arzneimittel aus Apotheken vertrauen«, konstatierte Professor Dr. Mona Tawab, wissenschaftliche Leiterin des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker, kürzlich bei einem digitalen Vortrag, den das House of Pharma and Healthcare, Frankfurt, gemeinsam mit der Stiftung für Arzneimittelsicherheit veranstaltete.
Die Arzneimittelproduktion und Qualitätssicherung unterlägen einem Großaufgebot an Regularien und Kontrollen, sagte die Apothekerin. »Wenn man den EU-GMP-Leitfaden 1: 1 umsetzt, dürfte es zu keinen Chargenrückrufen kommen.« Es gebe in Deutschland in der legalen Lieferkette zwar keine Medikamente mit minderwertiger Qualität, aber dennoch solche mit Mängeln. Dies zeigten die Meldungen der Apotheken an die Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker.
Im Jahr 2023 gingen 8320 Meldungen bei der AMK ein; davon betrafen 5689 Berichte Qualitätsmängel (68,4 Prozent) und 2631 unerwünschte Arzneimittelwirkungen (31,6 Prozent). Qualitätsmängel waren ganz überwiegend Verpackungsfehler, mechanische Defekte und galenische Mängel. Nur knapp 3 Prozent der Meldungen betrafen Minderwirkungen. Es gab 152 Chargenrückrufe. Das hält die Leiterin des ZL für »überschaubar«, aber: »Jeder Rückruf ist einer zu viel, denn er verunsichert die Patienten und schadet dem Hersteller.«
Doch wie kann es zu Rückrufen kommen, wenn jede Charge eines Arzneimittels vor dem Inverkehrbringen einer ausgiebigen pharmazeutischen Qualitätskontrolle unterzogen wird? Produziert wird überwiegend in China und Indien und Einzelkomponenten werden von Lieferanten weltweit bereitgestellt. Damit unterliege die Arzneimittelqualität »unendlich vielen Einflussfaktoren«. Das neue Anti-Spionage-Gesetz in China bereite erhebliche Sorgen, denn »wir werden unsere Inspektionen nicht mehr so durchführen können wie bisher«.
Zudem sind Behördeninspektionen nur Momentaufnahmen, die den Alltag der Produktion und Qualitätssicherung nicht abbilden können. Die Pharmafirmen in Europa seien auf den »Good Will« der Hersteller in China und Indien angewiesen, dass diese die Regularien wie gefordert umsetzen. Letztlich müsse man auf die Mitteilungsbereitschaft der Hersteller vertrauen – die sei aber nicht immer gegeben, monierte Tawab. Unerlässlich sei es, dass sich die Inspekteure ein Bild von der Kommunikation und Datentransparenz beim Hersteller machen.
Ein großes Thema sind auch Hilfsstoffe und deren Qualität. Die allermeisten Hilfsstoffe würden in mehreren Industriezweigen verwendet und die Pharmaindustrie sei nur ein kleiner Abnehmer. Umso schwieriger sei es, pharmazeutische Qualitätsstandards durchzusetzen.
Als Riesenproblem beschrieb Tawab die Entdeckung unbekannter und unerwarteter Verunreinigungen. Selbst geringe Variationen im Herstellungsprozess könnten das Verunreinigungsprofil erheblich verändern. Gleiches gelte für nicht-validierte Reinigungsverfahren, Verwendung von recycelten Lösungsmitteln ohne ausreichende Qualitätstests oder von Ausgangsstoffen ohne ausreichende Qualitätsprüfungen.
Mit herkömmlichen analytischen Methoden sind unbekannte Stoffe in Arzneimitteln schwer zu finden. Flüssigchromatografie und Massenspektrometrie helfen weiter. / Foto: Adobe Stock/markus thoenen
Mit den aktuellen zielgerichteten Analysen werden unerwartete Verunreinigungen und Qualitätsmängel nicht entdeckt, zeigte sie am Beispiel von Nitrosaminen in Sartanen. Jedoch müsse man weiterhin mit Verunreinigungen mit Nitrosaminen und N-Nitroso-Wirkstoffen in Fertigarzneimitteln rechnen.
»Derzeit reagieren wir auf Probleme, sind aber nicht in der Lage, Qualitätsmängel proaktiv zu vermeiden.« Daher forderte die Apothekerin mehr Transparenz, einen besseren Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten weltweit, die Standardisierung von Prozessen und Datenmanagement sowie eine Anpassung der Monografien für Hilfsstoffe und deren Qualitätsstandards.
Tawab plädierte nachdrücklich für eine Ergänzung der zielgerichteten Qualitätskontrollen durch nicht-zielgerichtete vergleichende Fingerprint-Analysen. Dazu werden Fingerprint-Profile gängiger Arzneimittel erstellt und mit einzelnen Chargen abgeglichen. Ein geeignetes analytischen Verfahren, um unbekannte Stoffe in komplexen Proben zu entdecken, ist die Ultrahochleistungs-Flüssigchromatografie gekoppelt mit hochauflösender Massenspektrometrie (UHPLC-HRMS: Ultra-high-performance liquid chromatography coupled with high-resolution mass spectrometry). In Verdachtsfällen könne man gezielt nach Verunreinigungen fahnden.
Im ZL wird dieses Thema in einer Promotionsarbeit aufbereitet. Das Projekt Fingerprint-Profiling sei Ende 2023 dank der Förderung durch die Lesmüller-Stiftung und die Stiftung für Arzneimittelsicherheit gestartet, berichtete Tawab. »Unser Ziel ist es, die Qualitätssicherung von Arzneimitteln noch besser zu machen. Wir wollen von einem reaktiven zu einem proaktiven Handeln kommen.«