Wie eine Kaserne in Niedersachsen Deutschland mit Impfstoff versorgt |
In der Bundeswehrapotheke in der Artland-Kaserne kommen fast täglich Tausende Impfstoffe gegen Covid-19 an. Die dortigen Soldaten und Soldatinnen müssen den Impfstoff so schnell wie möglich auseinzeln und damit an die Bundesländer und den Großhandel aufteilen. / Foto: picture alliance/dpa | Sina Schuldt
Im Normalfall nehmen Arzneimittel und Impfstoffe immer einen ähnlichen Weg, um über die Apotheken schlussendlich an die Patienten zu kommen: Pharmazeutische Hersteller beliefern den Großhandel, dieser versorgt die Apotheken und diese geben die Medikamente an Arztpraxen oder direkt an Patienten ab. Doch wie funktioniert dieser Vertriebsweg eigentlich mit den Covid-19-Impfstoffen, die vom Bund organisiert und bezahlt werden? Bezüglich der Impfungen in den Arztpraxen ist zumindest der letzte Teil des Vertriebswegs seit Anfang April geklärt. Zwar sorgte das komplizierte Bestellprozedere und die sich stetig ändernden Lieferbedingungen bei Apotheken und Arztpraxen in den letzten Wochen immer wieder für Ärger, aber dennoch entwickelte sich hierbei bereits eine gewisse Routine.
Fraglich ist aber, wie die Impfstoffe bis zu den Großhändlern und Apotheken gelangen. Zur Beantwortung dieser Frage spielt ein kleiner Ort im malerischen Niedersachsen eine große Rolle. Zwischen Oldenburg und Osnabrück, inmitten von grünen Feldern, Pferdekoppeln und weiter Landschaft liegt die Gemeinde Quakenbrück. Mit nur rund 13.000 Einwohnern ist der Ort überschaubar. Doch genau hier trifft mehrmals wöchentlich die derzeit wohl nachgefragteste Ware weltweit ein: Covid-19-Impfstoff.
Im Westen der Gemeinde, inmitten eines ruhigen Wohngebiets mit verklinkerten Einfamilienhäusern, befindet sich die Artland-Kaserne. Umzäunt und versehen mit einem Warnschild »Militärischer Sicherheitsbereich – Vorsicht Schusswaffengebrauch« ist hier die größte Bundeswehrapotheke Deutschlands angesiedelt. Dieser Stützpunkt der Bundeswehr, mit dem offiziellen Namen »Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial Quakenbrück«, bildet seit Januar den wichtigsten Umschlagplatz für Covid-19-Impfstoffe in Deutschland.
Flottenapotheker Martin Pape gehört zur Marine, einer Teilstreitkraft der Deutschen Bundeswehr. / Foto: PZ/Kurz
In normalen Zeiten übernimmt die Bundeswehrapotheke, verteilt auf mehrere Gebäude innerhalb der Kaserne, die Einsatzversorgung der Bundeswehr im In- und Ausland. Zuständig ist sie hierzulande für die Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Hamburg. Alle 65.000 dort stationierten Soldatinnen und Soldaten würden von der Bundeswehrapotheke mit Arzneimitteln, aber auch mit Medizinprodukten versorgt, erklärte der Leiter des Zentrums, Flottenapotheker Martin Pape. Die anderen Bundesländer werden von zwei weiteren Standorten versorgt. Da Quakenbrück im Vergleich zu den anderen Bundeswehrapotheken im hessischen Pfungstadt und in Blankenburg (Sachsen-Anhalt) größer ist und über mehr Lagerungs- und Platzmöglichkeiten verfügt, haben er und der Generalstabsarzt Stephan Schmidt im Dezember 2020 den Auftrag bekommen, die Bundeswehrapotheke zu einem Umschlagplatz und darüber hinaus fit für die Lagerung von Covid-19-Impfstoffen zu machen. Zudem hatte die Apotheke in Quakenbrück bereits vor der Pandemie über eine Großhandelserlaubnis verfügt. Diese ist laut Pape wichtig, denn die Impfstoff-Hersteller würden nur an pharmazeutische Großhändler liefern.
Hier werden die Impfstoffe von Astra-Zeneca und Janssen bei Kühlschranktemperatur gelagert. / Foto: PZ/Kurz
Für die Lagerung der Impfstoffe bauten die Soldaten Anfang des Jahres 20 dunkelgrüne Kühlcontainer links und rechts neben einem überdachten Platz auf. Bevor die ersten Impfstoffe Ende Januar 2021 in Quakenbrück ankamen, verschärfte die Kaserne zudem ihre Sicherheitsvorkehrungen. »Wir haben bisher drei Impfstoffe umgeschlagen«, so Pape. Zum Stand 10. Mai wurden nach Quakenbrück rund 7 Millionen Astra-Zeneca Impfdosen, 3,3 Millionen Dosen Moderna und 500.000 Impfdosen von Janssen, der Pharmasparte von Johnson & Johnson geliefert. Einzig der Impfstoff von Biontech/Pfizer wird nicht in Quakenbrück umgeschlagen. Die Ultratiefkühlung des mRNA-Impfstoffs auf bis zu minus 80 Grad Celsius sei derzeit in Quakenbrück nicht möglich. Lediglich für die bundeswehrinterne Versorgung könne die Apotheke Comirnaty zu diesen Bedingungen lagern.
Doch was passiert genau hinter den Stacheldrahtzäunen der gesicherten Anlage der Artland-Kaserne? Was sind die Aufgaben des pharmazeutischen Personals, das dort in den grünen Flecktarn-Uniformen arbeitet? »Die Hersteller liefern ihre Impfstoffe direkt an uns«, erklärt Pape. Damit werden die Impfstoffe vor allem aus den Fertigungsstandorten in den Niederlanden (Astra-Zeneca und Janssen) und aus Belgien (Moderna) nach Deutschland gefahren. An der Bundesgrenze erwarte die Bundespolizei diese Transporte, so Pape. Diese begleiten die Impfstoffe bis zur Bundeswehrapotheke in Quakenbrück, wo sie in Empfang genommen werden und direkt in einem der insgesamt 20 Kühlcontainer verstaut werden. Verantwortlich für diese Abläufe ist Oberfeldapotheker Duane-Eddy Harder. Harder ist eigentlich ziviler Apotheker und bei einer Versandapotheke tätig. Als Reservist arbeite er zurzeit aber aufgrund der aktuellen Notlage für die Bundeswehr.
Oberfeldapotheker Duane-Eddy Harder ist Reservist und damit nur ab und zu bei der Bundeswehr tätig. Hinter ihm ist Generalstabsarzt Stephan Schmidt zu sehen. / Foto: PZ/Kurz
Um die Impfstoffe vor Temperaturschwankungen zu schützen, arbeiten die Soldaten und Soldatinnen in Quakenbrück in den Kühlcontainern. / Foto: PZ/Kurz
»Wenn die Lkws einfahren, dann überprüfen wir die Identität des Lkw und der Ware, kontrollieren die Begleitpapiere, den Temperaturschreiber und die Plombennummer«, erklärt Harder die weiteren Schritte. Um die Impfstoffe während der Transporte neben dem Polizeischutz zu sichern, sind die Transportfahrzeuge mit Plomben versiegelt, weiß Harder. Damit sei sichergestellt, dass auf dem Weg vom Werk bis zur Ankunft in Quakenbrück niemand Unbefugtes Zugriff auf die Impfstoffe hat. Wenn die Überprüfung abgeschlossen ist, werden die Impfstoff-Paletten auf dem überdachten Platz schnellstmöglich mit Gabelstaplern in die gekühlten Container gebracht. »Die Impfstoffe sind dabei nur maximal ein bis zwei Minuten draußen«, versichert der Generalstabsarzt Schmidt. Um die Kühlkette zu wahren, konfektionieren die Soldaten die Impfstoffe direkt in den Kühlcontainern. Trotz Schutzkleidung sind das keine einfachen Arbeitsbedingungen: In zehn Containern, die zurzeit für die Aufbewahrung des Moderna-Impfstoffs gedacht sind, herrschen rund minus 22 Grad Celsius.
Je nach Destination werden die Paletten so in kleinere Pakete geteilt, die für die 16 Bundesländer, neun pharmazeutische Großhändler sowie die bundeswehreigenen Impfzentren in Bonn und Berlin bestimmt sind. Zudem beliefert Quakenbrück auch die Bundeswehr selbst mit Impfstoffen. Dabei haben die Soldaten reichlich Platz für die Umverteilung. In den 20 Containern können insgesamt 20 Millionen Impfdosen gleichzeitig gelagert werden. Diese Kapazität wurde bislang aber noch nicht ansatzweise ausgereizt. So sehen die kleineren Impfstoff-Ladungen mit teilweise nur sieben Kartons, die jeweils 24 Astra-Zeneca Packungen mit nochmals je zehn Vials enthalten, nach nicht viel aus. Dennoch werden auch damit 16.800 Impfdosen an einen Großhändler ausgeliefert, der die Impfstoffe wiederum auf viele Apotheken und damit Arztpraxen aufteilt. Wer wie viel bekommt, gibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einem Verteilerschlüssel vor, heißt es. Damit ergibt sich ein interessantes Zusammenspiel, denn: Das Sagen in einer Bundeswehr-Kaserne hat prinzipiell immer das Bundesverteidigungsministerium (BMVg). Bei der Impfstoff-Verteilung stimmen sich die beiden Ressorts aber eng miteinander ab, erklärt Schmidt. »Federführend verantwortlich für die Impfstoff-Verteilung ist das Gesundheitsministerium.«
Kleinere Impfstoff-Pakete wie diese Astra-Zeneca-Lieferungen sind nun bereit für den Weitertransport an den Großhandel. / Foto: PZ/Kurz
Trotz hoher Lagerungskapazitäten sei es aber nicht das Ziel, die Impfstoffe in Quakenbrück einzulagern, sondern die Ware so schnell wie möglich wieder loszuwerden, so der Mediziner aus Tübingen. Beim Verlassen des Kasernen-Areals spielt sich dann das gleiche Spiel wie bei der Ankunft ab. Die Lieferungen werden genau protokolliert, Temperaturkontrollen durchgeführt und die Impfstoffe wieder mit Polizeischutz an ihre jeweiligen Zielorte gefahren. Diese Transporte werden laut Flottenapotheker Pape meist von dem Logistik-Unternehmen Hellmann Worldwide Logistics aus Osnabrück übernommen, mit dem das BMG einen Rahmenvertrag abgeschlossen hat. Niedersachsen und Baden-Württemberg holen ihre Lieferungen aber beispielsweise mit DHL-Fahrzeugen in Quakenbrück ab.
Damit die oft kurzfristig angekündigten Lieferungen und Abholungen auch zügig organisiert, angenommen und umverteilt werden können, arbeiten derzeit neben Pape und Harder weitere fünf Apotheker, 23 PTA sowie 25 PKA in einem Drei-Schicht-Prinzip rund um die Uhr in der Kaserne. Zudem ist auch nicht-pharmazeutisches Personal beteiligt, um die Impfstoffe schnellstmöglich umzuschlagen. Damit stehen die Soldaten oft auch nachts in den Kühlcontainern und packen die Impfstoffe um. Der Aufwand wird aber entsprechend entlohnt: Die Männer und Frauen erhalten neben ihrem regulären Sold eine Tagespauschale von 91 Euro brutto für ihren Einsatz bei der Verteilung der Impfstoffe, erklärte Schmidt. Diese Kosten werden, wie alles was die Arbeit der Bundeswehrapotheke betrifft, vom BMVg, beziehungsweise aus Steuermitteln finanziert.
Trotz der Verteilung der Impfstoffe laufen die anderen Aufgaben der Bundeswehrapotheke parallel weiter. Beispielsweise reparieren die in Quakenbrück stationierten 200 Soldaten auch medizinische Geräte wie etwa Beatmungs- oder Ultraschallgeräte. Viele dieser Beatmungsgeräte werden deutschlandweit derzeit in Kliniken eingesetzt, um die Notfallreserven in Intensivstationen aufzustocken. Und so sind es nicht nur viele Beatmungsgeräte, die aufgrund der Soldatinnen und Soldaten in Quakenbrück in ganz Deutschland zum Einsatz kommen. Jeder Astra-Zeneca, Janssen- und Moderna-Impfstoff, der hierzulande verimpft wird, geht zunächst durch die Hände der Apothekerinnen und Apotheker in Quakenbrück. Wenn dieser Tage ein Kühltransporter umgeben von Bundespolizei-Fahrzeugen auf der Autobahn entdeckt wird, ist es damit nicht unwahrscheinlich, dass hier gerade wertvolle Fracht von oder nach Quakenbrück geliefert wird.
Damit der Covid-19-Impfstoff von Astra-Zeneca auch in die Impfzentren und Arztpraxen gelangt, wird er von Soldatinnen und Soldaten in Quakenbrück konfektioniert. / Foto: PZ/Kurz