Wie bedrohlich ist die Vogelgrippe? |
Theo Dingermann |
03.07.2024 16:20 Uhr |
Bei Milchkühen erfolgt die Infektion über die Euter der Tiere, wie Professor Dr. Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) erläutert. Nach derzeitigem Analysestand gehe man davon aus, dass dies einmal passiert sei und die Epidemie in den USA auf diesen einzelnen Eintrag zurückzuführen sei.
Wie es zu der Übertragung vom Wildvogel auf eine Kuh kam – etwa über verunreinigtes Futter, kontaminierte Einstreu oder direkten Kontakt –, sei unklar, so Beer. Übertragen auf andere Kühe wird das Virus dann durch kontaminiertes Melkgeschirr. Dann habe das Virus ein leichtes Spiel. »Gelangt das Virus ins Euter, vermehrt es sich dort sehr stark«, sagt Beer. Das liege daran, dass im Euter von Rindern Rezeptoren exprimiert werden, die vom Typ her denen entsprechen, an die sich das Virus bei den Vögeln angepasst hat. »Das Euter ist für das Virus quasi ein Huhn«, sagt Beer gegenüber der dpa.
Die Passgenauigkeit des viralen Hämagglutinin-Proteins mit dem Rezeptor auf der Zelloberfläche des Organismus, den das Virus zu infizieren versucht, ist einer der Schlüssel für eine gefährliche Verbreitung des Virus. Eine solche Passgenauigkeit ist beim Menschen noch nicht gegeben, zumindest nicht generell. Allerdings ist Vorsicht geboten – man muss genau hinschauen, um die Situation korrekt zu bewerten, da die Charakteristika der zellulären Oberflächenrezeptoren nicht für alle Zellen eines Organismus identisch sind.
So exprimieren die Zellen der Rinder-Euter einen Rezeptor, der sehr gut von dem Virus angesteuert werden kann. Das gilt nicht für die Zellen des bovinen Respirationstrakts, weshalb man nur wenige infizierte Zellen in den Atemwegen der Tiere findet. Aus diesem Grund wird das Virus auch nicht über Aerosole von Rind zu Rind übertragen, zumindest derzeit noch nicht. Wie lange dieser Schutz noch hält, bleibt abzuwarten.
Auch beim Menschen findet man eine Rezeptorheterogenität. Bisher wurden von der CDC drei Fälle gemeldet, in denen sich Menschen mit dem H5N1-Virus infiziert hatten. Jedes Mal sei eine Bindehautentzündung eines der Symptome gewesen, erklärt Beer. Der Mensch habe die Vogelgrippe-Rezeptoren im Auge, so der Experte. Fasst sich daher ein Arbeiter zum Beispiel beim Melken ans Auge, kann der Erreger andocken und eine lokale Infektion verursachen.
Ob die drei gemeldeten die einzigen Fälle einer Infektion beim Menschen sind, bezweifeln Fachleute. Denn das Testprogramm in den USA ist alles andere als vorbildlich. Bisher sind nur wenige Dutzend Farmmitarbeiter mit grippeartigen Symptomen auf H5N1 getestet worden. Tests bei Familienmitgliedern der Infizierten wurden wahrscheinlich gar nicht durchgeführt. Mit serologischen Bluttests zum Nachweis älterer, möglicherweise asymptomatischer Infektionen soll erst begonnen werden, allerdings nur im Bundesstaat Michigan, dem Bundesstaat, der noch am vorbildlichsten mit der Epidemie bei den Rindern umgeht.