Wie bedrohlich ist die Vogelgrippe? |
Theo Dingermann |
03.07.2024 16:20 Uhr |
Bisher haben sich in den USA nachweislich drei Menschen mit dem H5N1-Virus infiziert. Experten gehen von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus und mahnen zur Vorsicht. / Foto: Adobe Stock/forma82
Am 25. März dieses Jahres hatte das US-amerikanische Agrarministerium die Öffentlichkeit darüber informiert, dass erstmalig das hochpathogene Influenza A-Virus H5N1 Milchkühe infiziert hatte. Diese Meldung kam spät, denn zum damaligen Zeitpunkt waren bereits 34 Herden in neun US-Bundesstaaten betroffen. Experten schätzen, dass das Virus damals bereits seit sieben Monaten unter Rindern kursierte.
Seitdem wurden in Summe 141 Herden in zwölf Bundesstaaten registriert, in denen infizierte Tiere entdeckt wurden. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) berichten offiziell von 136 betroffenen Herden.
Noch bewertet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ansteckungsrisiko mit dem Vogelgrippevirus H5N1 für Menschen als gering, doch Virologen mahnen zu erhöhter Wachsamkeit. Professor Dr. Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, und weitere Experten warnen bereits vor dem Ausbruch einer neuen Pandemie. In Finnland geht man bereits soweit, dass Personen, die auf Pelztier- und Geflügelfarmen arbeiten, eine Impfung mit einem auf EU-Ebene beschafften zoonotischen Influenza-A(H5N8)-Impfstoff des Unternehmens Seqirus angeboten wird.
Dass mit den Influenzaviren nicht zu spaßen ist, sollte mittlerweile hinlänglich bekannt sein. Mindestens zwei Gründe stützen diese Einschätzung. Zum einen handelt es sich um Viren mit einem RNA-Genom. Diese Genome werden notorisch ungenau kopiert, sodass mit jeder neuen Viren-Generation neue Fehler in diese eingebaut werden. Dies ist die Basis für den sogenannten »Antigendrift«. Zum anderen besitzen Influenzaviren segmentierte Genome, die aus acht RNA-Molekülen bestehen. Das birgt die Gefahr eines sogenannten »Reassortments« oder »Antigenshift«: Wird eine Zelle von zwei unterschiedlichen Viren infiziert, werden Genomsegmente ausgetauscht.
Die derzeit unter Wildvögeln dominante Variante des H5N1-Influenzavirus wird als Klade 2.3.4.4b bezeichnet. Sie ist für Vögel sehr aggressiv und hat zu einer beispiellosen Seuche geführt, in deren Verlauf Millionen von Tieren auf allen Kontinenten außer Australien verendet sind.
Aber längst nicht mehr sind Vögel der einzige Wirt. H5N1 infiziert vor allem auch Meeressäuger, Nerze, Füchse und Bären. Und seit es dem Virus gelungen ist, auch Milchkühe effizient zu infizieren, musste man lernen, dass auch Katzen erkranken können, vor allem dann, wenn sie rohe Milch infizierter Rinder trinken. Im Gegensatz zu Rindern ist die Infektion für Katzen lebensgefährlich, weil es dem Virus gelingt, in die Zellen des Zentralnervensystems der Tiere einzudringen.
Bei Milchkühen erfolgt die Infektion über die Euter der Tiere, wie Professor Dr. Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) erläutert. Nach derzeitigem Analysestand gehe man davon aus, dass dies einmal passiert sei und die Epidemie in den USA auf diesen einzelnen Eintrag zurückzuführen sei.
Wie es zu der Übertragung vom Wildvogel auf eine Kuh kam – etwa über verunreinigtes Futter, kontaminierte Einstreu oder direkten Kontakt –, sei unklar, so Beer. Übertragen auf andere Kühe wird das Virus dann durch kontaminiertes Melkgeschirr. Dann habe das Virus ein leichtes Spiel. »Gelangt das Virus ins Euter, vermehrt es sich dort sehr stark«, sagt Beer. Das liege daran, dass im Euter von Rindern Rezeptoren exprimiert werden, die vom Typ her denen entsprechen, an die sich das Virus bei den Vögeln angepasst hat. »Das Euter ist für das Virus quasi ein Huhn«, sagt Beer gegenüber der dpa.
Die Passgenauigkeit des viralen Hämagglutinin-Proteins mit dem Rezeptor auf der Zelloberfläche des Organismus, den das Virus zu infizieren versucht, ist einer der Schlüssel für eine gefährliche Verbreitung des Virus. Eine solche Passgenauigkeit ist beim Menschen noch nicht gegeben, zumindest nicht generell. Allerdings ist Vorsicht geboten – man muss genau hinschauen, um die Situation korrekt zu bewerten, da die Charakteristika der zellulären Oberflächenrezeptoren nicht für alle Zellen eines Organismus identisch sind.
So exprimieren die Zellen der Rinder-Euter einen Rezeptor, der sehr gut von dem Virus angesteuert werden kann. Das gilt nicht für die Zellen des bovinen Respirationstrakts, weshalb man nur wenige infizierte Zellen in den Atemwegen der Tiere findet. Aus diesem Grund wird das Virus auch nicht über Aerosole von Rind zu Rind übertragen, zumindest derzeit noch nicht. Wie lange dieser Schutz noch hält, bleibt abzuwarten.
Auch beim Menschen findet man eine Rezeptorheterogenität. Bisher wurden von der CDC drei Fälle gemeldet, in denen sich Menschen mit dem H5N1-Virus infiziert hatten. Jedes Mal sei eine Bindehautentzündung eines der Symptome gewesen, erklärt Beer. Der Mensch habe die Vogelgrippe-Rezeptoren im Auge, so der Experte. Fasst sich daher ein Arbeiter zum Beispiel beim Melken ans Auge, kann der Erreger andocken und eine lokale Infektion verursachen.
Ob die drei gemeldeten die einzigen Fälle einer Infektion beim Menschen sind, bezweifeln Fachleute. Denn das Testprogramm in den USA ist alles andere als vorbildlich. Bisher sind nur wenige Dutzend Farmmitarbeiter mit grippeartigen Symptomen auf H5N1 getestet worden. Tests bei Familienmitgliedern der Infizierten wurden wahrscheinlich gar nicht durchgeführt. Mit serologischen Bluttests zum Nachweis älterer, möglicherweise asymptomatischer Infektionen soll erst begonnen werden, allerdings nur im Bundesstaat Michigan, dem Bundesstaat, der noch am vorbildlichsten mit der Epidemie bei den Rindern umgeht.
Durch die Infektion der Euter gelangt das Virus auch in die Milch. In den USA sind H5N1-Bestandteile in einem signifikanten Anteil der in den Supermärkten angebotenen Milchprodukten nachweisbar. Dabei gilt pasteurisierte Milch zwischenzeitlich als unbedenklich, wie die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA aktuell bestätigt.
Gemeinsam mit ihren Partnern im US-Landwirtschaftsministerium berichtet die FDA über die Ergebnisse einer Studie, mit der die Wirksamkeit der Pasteurisierung zur Inaktivierung des hochpathogenen H5N1-Vogelgrippevirus in Flüssigmilch und anderen aus pasteurisierter Milch hergestellten Milchprodukten überprüft wurde. Die Studie ist zur Publikation im »Journal of Food Protection« eingereicht, befindet sich aber noch im Begutachtungsprozess.
In diesem Zusammenhang betont die FDA zum wiederholten Male, keine Milch zu verzehren, die nicht pasteurisiert wurde, da diese mit krankmachenden Erregern kontaminiert sein kann und in der Vergangenheit mit zahlreichen lebensmittelbedingten Krankheitsausbrüchen in Verbindung gebracht wurde. Ob das H5N1-Virus durch den Verzehr von Rohmilch und daraus hergestellten Produkten auf den Menschen übertragen werden kann, wisse man allerdings derzeit noch nicht. Dass allerdings nicht pasteurisierte Rohmilch eine Ansteckungsquelle für H5N1 sein kann, belegen die bereits erwähnten Fälle von Infektionen bei Farm-Katzen.
Auf den Risikolisten für eine Vogelgrippe-Zoonose liege das H5N1-Virus allerdings derzeit »nur« im Mittelfeld, betont Beer. Eine größere Gefahr gehe von H7N9 aus, das in seltenen Fällen bereits von Mensch zu Mensch übertragen wurde, so der Experte. Auch von dem H5N6-Virus, das ebenfalls bereits Menschen infiziert hat, sowie von einigen Schweineinfluenza-H1N1-Viren, gehe nach aktueller Einschätzung ein größeres zoonotisches Risiko aus.
Wirklich hören wollen das derzeit nur wenige. Noch wirken die Erfahrungen aus der Coronaviruspandemie nach, wobei man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass Vorwürfe und Schuldzuweisungen deutlich stärker im Vordergrund stehen als die Erarbeitung von Learnings, die im Falle einer erneuten Pandemie ausschlaggebend sein könnten.