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WHO erklärt Affenpocken zum globalen Gesundheitsnotfall

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Verbreitung von Affenpocken zu einem Gesundheitsnotfall von internationaler Tragweite erklärt. Das ist nicht unumstritten. Kritiker fordern mehr Transparenz, wie solche Entscheidungen getroffen werden. Andere fordern ein forscheres Vorgehen.
Theo Dingermann
25.07.2022  13:58 Uhr

Es ist bereits das zweite Mal in zwei Jahren, dass sich die WHO zu einem solchen außergewöhnlichen Schritt veranlasst sieht. Nach SARS-CoV-2 sind es jetzt die Affenpocken. Als Grund führt die WHO an, dass sich die Krankheit in nur wenigen Wochen in Dutzenden Ländern ausgebreitet hat und dass sich Zehntausende Menschen infizierten, auch in Ländern, in denen die Krankheit bisher gar nicht vorkam. (Alles Wichtige zu dem Affenpockenvirus und der von ihm ausgelösten Erkrankung hier in unserem FAQ)

Allerdings ist diese Entscheidung nicht unumstritten. Denn der WHO-Generaldirektor, traf die Entscheidung am Samstag ohne ein klares Votum des sogenannten Notfallausschusses der WHO (International Health Regulations Emergency Commitee - IHR Emergency Commitee). Dieser setzt sich aus internationalen Experten zusammen, die die WHO im Zusammenhang mit einem PHEIC fachlich berät.

Unter anderem hat der WHO-Notfallausschuss Ende Juni auch deshalb keinen Konsens zu einer Empfehlung für die Deklaration der Affenpocken als öffentlichen Gesundheitsnotfall gefunden, weil die Krankheit bisher nicht die primäre Risikogruppe verlassen hat. Denn bisher haben sich fast ausschließlich Männer infiziert, die Sex mit Männern haben. Schwangere Frauen, Kinder oder ältere Erwachsene, bei denen das Risiko für schwere Erkrankungen deutlich höher sei, habe sich bisher nur in Einzelfällen infiziert.

Dass der WHO-Generaldirektor dieses Gremium nun umging, ist bemerkenswert. Denn bisher bildete eine Empfehlung der Berater immer die Basis für solche bedeutenden Entscheidungen.

Bisher sieben globale Gesundheitsnotfälle

Es ist der siebte Gesundheitsnotfall im Bereich der öffentlichen Gesundheit seit 2007. Aktuell gelten Notlagen internationaler Tragweite für SARS-CoV-2 (seit 2020) und für Polio wegen eines Anstiegs der Fälle von Polio-Wildviren und zirkulierenden Polio-Impfviren (seit 2014). Zudem wurden Notlagen internationaler Tragweite ausgerufen für den Ausbruch der Schweinegrippe H1N1 (2010), für das Zika-Virus (2016) und Ebola-Epidemien (2014 bis 2016 und 2019). Die Entscheidung der WHO, die Ebola-Epidemie in Kivu in den Jahren 2018 bis 2020 als PHEIC einzustufen, war höchst umstritten, ganz anders als die PHEIC, die am 30. Januar 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie ausgerufen wurde.

Die Einstufung einer Epidemie als PHEIC soll die Regierungen der Mitgliedsländer dazu bewegen, Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausbruch einzudämmen. Hierfür sollten Ärzte und Kliniken für das Krankheitsbild sensibilisiert, für Verdachtsfälle Schutzmaßnahmen getroffen und die Bevölkerung aufgeklärt werden, wie sie sich vor einer Ansteckung schützen kann. Mit der Feststellung einer gesundheitlichen Notlage können auch zeitlich befristete Empfehlungen verbunden sein, um die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern oder zu verringern und eine unnötige Beeinträchtigung des internationalen Verkehrs zu vermeiden. Betroffene Staaten, beispielsweise in Afrika, waren in der Vergangenheit nicht immer von einer solchen WHO-Initiative begeistert.

Verfahren steht in der Kritik

Im aktuellen Fall hat der Alleingang des WHO-Generaldirektors Kritik wieder aufflammen lassen, nach der das Verfahren generell als intransparent gesehen wird. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kam bereits eine Studie aus dem Jahr 2020, die im Fachjournal »BMJ Global Health« publiziert wurde.

Gemäß Artikel I der »Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV)« wird ein PHEIC unter anderem dadurch definiert, dass eine internationale Ausbreitung von Krankheiten ein Risiko für die öffentliche Gesundheit anderer Staaten darstellt und möglicherweise eine koordinierte internationale Reaktion erfordert.

Voraussetzung ist, dass die Situation ernst, plötzlich, ungewöhnlich oder unerwartet ist, dass die Situation Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit über die Landesgrenzen des betroffenen Staates hinaus hat und dass möglicherweise sofortige internationale Maßnahmen erforderlich sind.

Die Autoren der Publikation aus dem Jahr 2020 kommen zu dem Schluss, dass die Interpretation der Kriterien in der Vergangenheit oft vage waren und uneinheitlich angewendet wurden. So hätte es der Notfallausschuss oft versäumt, zu beschreiben und zu begründen, welche Kriterien erfüllt wurden.

WHO-Direktor sieht Handlungsbedarf

»Wir haben einen Ausbruch, der sich durch neue Übertragungswege schnell auf der ganzen Welt ausgebreitet hat, über den wir zu wenig wissen und der die Kriterien für einen Notfall im Bereich der öffentlichen Gesundheit erfüllt«, begründete Ghebreyesus seine Entscheidung gegenüber der Zeitschrift »The New York Times«.

Affenpocken sind in einzelnen afrikanischen Ländern seit Jahren ein Problem, aber in den letzten Wochen hat sich das Virus weltweit verbreitet. Rund 75 Länder haben bisher mindestens 16.000 Fälle gemeldet, etwa fünfmal so viele wie beim Treffen des WHO- Notfallausschusses im Juni, das ohne klare Empfehlung endete.

In Deutschland meldete das Robert-Koch-Institut am Freitag knapp 2300 Fälle. Europa gilt laut WHO als die Weltregion mit einem besonders hohen Ansteckungsrisiko. Aktuell konzentriere sich der Ausbruch auf Männer, die Sex mit Männern hätten - vor allem wenn sie viele Partner hätten, so WHO-Expertin Dr. Rosamund Lewis gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa).

Während einige Experten den Aufruf des WHO-Generaldirektors für voreilig halten, beklagen andere ein zu langes Zögern. So schätzt Dr. James Lawler, Co-Direktor des Global Center for Health Security der University of Nebraska, dass es ein Jahr oder länger dauern könnte, den Ausbruch zu kontrollieren. Bis dahin dürfte das Virus Hunderttausende Menschen infiziert und sich in einigen Ländern dauerhaft eingenistet haben. »Wir haben jetzt leider wirklich den Anschluss verpasst, um den Ausbruch früh unter Kontrolle bringen zu können«, sagt Lawler der New York Times. »Jetzt wird es ein echter Kampf, die Ausbreitung einzudämmen und zu kontrollieren.«

Professor Dr. Isabella Eckerle, prominente klinische Virologin an der Universität Genf ergänzt: »Möchtest du den Notstand ausrufen, sobald es wirklich schlimm ist, oder willst du proaktiv agieren? Noch sehen wir das Virus nicht bei Kindern oder bei schwangeren Frauen«. Aber man wisse, dass genau das irgendwann passieren werde, wenn man die Epidemie tatenlos laufen lasse, ergänzt sie.

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