Werden E-Gesundheitskarten beim E-Rezept zum Problem? |
Jennifer Evans |
03.02.2022 09:00 Uhr |
Kettenreaktion: Stecken Versicherte beim Arzt ihre neue elektronische Gesundheitskarte in das Kartenterminal, kann die Praxissoftware abstürzen. / Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Seit einiger Zeit tauschen die Kassen nach und nach die elektronischen Gesundheitskarten (EGK) ihrer Patienten aus. Die neue Generation – erkennbar an der sechsstelligen Nummer oben rechts – hat den Vorteil, kontaktlos Daten mittels Near Field Communication (NFC) übertragen zu können. Das soll unter anderem den digitalen Alltag erleichtern. Auch EC-Karten besitzen eine solche Funktion, mit der es möglich ist, zum Beispiel die Einkaufssumme im Supermarkt direkt über ein Lesegerät zu autorisieren.
Die neuen NFC-Karten der Krankenkassen überraschten zuletzt aber noch mit einer weiteren Fähigkeit – nämlich die Praxisverwaltungssoftware (PVS) der Ärzte lahmzulegen. Viele Praxen berichteten in den vergangenen Wochen öffentlich über das Ärgernis, dass sich das Kartenlesegerät zunächst aufhängt, dann abstürzt und als Folge die PVS außer Gefecht setzt. Als Grund nannte die Gematik die elektrostatische Aufladung der Karten. Um wieder mit der Telematik-Infrastruktur (TI) arbeiten zu können, ist ein Neustart nötig und erfordert jedes Mal wieder die PIN-Eingabe des im Terminal gesteckten Praxisausweises, also der SMC-B-Karte. Der Fehler koste Zeit und gefährde den Praxisbetrieb, beschwerte sich kürzlich Thomas Kriedel, Mitglied des KBV-Vorstands, und forderte eine Lösung von der Gematik.
Die Angelegenheit könnte sich auch für Apotheken immer mehr zu einem echten Problem entwickeln. Denn obwohl der bundesweite Start des E-Rezepts sich nun doch noch etwas hinzieht, ist eine solche NFC-fähige Gesundheitskarte auch Voraussetzung für die elektronische Verordnung – übrigens auch für die elektronische Patientenakte (EPA). Die Karte dient nämlich zur Identifizierung des Versicherten. Sie kommuniziert mit dessen Smartphone, das dafür ebenfalls NFC-fähig sein muss. Derzeit besitzen aber nur wenige Menschen hierzulande ein solches Smartphone. Die PZ hatte darüber berichtet.
Die gute Nachricht: Zumindest dem Kartenterminal-Hersteller Cherry sind nach eigenen Angaben bisher keine Vorfälle zum eigenen Gerät bekannt, die in Apotheken vorgekommen sind, wie es auf Anfrage der PZ hieß. Grundsätzlich könne die Problematik aber auch in den Offizinen auftreten. Darauf wies das von der Gematik zertifizierte Unternehmen ausdrücklich hin.
Die Gematik selbst bestätigt gegenüber der PZ zwar, dass ihrer derzeitigen Kenntnis nach ebenfalls keine Apotheken betroffen sind. Allerdings sieht sie das E-Rezept von dem Problem mit den neuen EGKs unberührt, da der Fehler derzeit nur beim Stecken ins Terminal auftrete und »dieser Vorgang ist in Apotheken in der Regel nicht notwendig«.
Eine Lösung für die Arztpraxen hatte die Gematik, die mehrheitlich in der Hand des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) liegt, allerdings nicht sofort parat. Aber nach eigenen Angaben arbeitet sie »mit Hochdruck« daran. So zumindest der letzte Stand von Mitte Januar.
Das für die Störung verantwortliche Phänomen elektrostatischer Aufladung mag der ein oder andere kennen, wenn er einmal mit Gummisohlen über einen Teppich gelaufen ist oder beim Händeschütteln mit einer anderen Person plötzlich Funken hüpfen. Aber auch trockene Luft oder die Aufbewahrung der Karte etwa in einer Plastikhülle begünstigen die diese Aufladung.
Auf die Schnelle kam die Gematik Ende Januar aber dann doch mit einigen Hinweisen um die Ecke. Zum Beispiel riet die Gesellschaft, die EGK doch vor dem Steckvorgang bereits außerhalb des Kartenterminals zu entladen, beispielweise mithilfe einer sogenannten ESD-Matte, kurz für Electrostatic Discharge. Auf diese Matte wird die Karte mit der Chip-Seite aufgelegt und damit entladen.
Alternativ könnte ein mobiles oder nicht mehr genutztes Kartenterminal dazu dienen, die Karte zu entladen, bevor sie in das eigentliche Terminal gesteckt wird. »Dieses zweite Kartenterminal muss unter Strom sein und nicht mit dem Primärsystem verbunden sein«, hieß es von der Gematik. Auch ein Wechsel der Steckslots könne »zu einer deutlichen Verbesserung« beitragen. Zudem empfahl sie den Ärzten, die Umgebungsbedingungen ihrer Praxis anzupassen. Was genau damit gemeint ist, bleibt allerdings unklar.
Außerdem könnten »verschmutzte oder korrodierte Kontaktflächen« auf der Karte das Auslesen behindern. »Solche Kartenkontakte sollten vor dem zweiten Versuch mit einem leicht angefeuchteten Tuch gereinigt werden«, betonte die Gesellschaft. Um den Zeitaufwand im Praxisbetrieb zu reduzieren, sollten die Arztpraxen zudem darauf achten, die Institutionskarte SMC-B in einem separaten Kartenterminal zu nutzen, in dem keine EGK-Steckvorgänge der Patienten stattfinden. Damit erübrige sich im Falle eines Fehlers die erneute Freischaltung der SMC-B.
Ob die Gematik inzwischen eine dauerhafte Lösung gefunden hat, bleibt abzuwarten. In ihrer Antwort auf die PZ-Anfrage, verwies sie lediglich auf die bereits erwähnten Tipps. Wie es aktuell aussieht, sind die Apotheken gut beraten, selbst eine Lösung in der Hinterhand zu haben. Unschön, aber wirksam scheint etwa eine Antistatik-Manschette zu sein, wie sie Elektroniker oder Techniker nutzen, um sich selber zu erden und damit elektronische Geräte zu schützen. Wie die PZ erfuhr, spielen einige Betriebe bereits mit dem Gedanken, diese Möglichkeit zu nutzen.
Die KBV hatte Ende Januar in ihren »Praxisnachrichten« mitgeteilt, dass die Kartenterminals ORGA 6141 online der Firma Wordline Healthcare GmbH (ehemals Ingenico) betroffen sind. Demnach zeigen sie Fehlermeldungen wie »C2C-Authentisierung« oder »keine freigeschaltete SMC-B«. Wie sich das Unternehmen selbst die Störung erklärt und welche Lösung es anstrebt, bleibt offen. Auf PZ-Anfrage äußerte sich Wordline Healthcare nicht dazu.
Stattdessen beteuerte die Gematik gegenüber der PZ, dass Wordline Healthcare GmbH bereits »mit Hochdruck an einer Lösung» arbeite. Wie viele Praxen von dem Problem betroffen sind, weiß die Gesellschaft nach eigenen Angaben nicht. Das liegt demnach daran, dass die Fehlerursache nach aktuellem Kenntnisstand von unterschiedlichen Faktoren wie die Version der Gesundheitskarte, des Kartenterminals sowie Umwelt- und Wettereinflüsse abhängt.
Die Konkurrenz, die das Kartenterminal Cherry eHealth Terminal ST-1506 herstellt, kennt das Problem nicht, wie es auf Anfrage der PZ hieß. »In den Cherry Kartenterminals werden grundsätzlich hochwertige Komponenten mit ESD-Ableitung verbaut, um elektrostatisch aufgeladene Karten beim Stecken zu entladen.« Darüber hinaus hätten zur Qualitätssicherung verschiedene ESD-Tests im Labor stattgefunden, um die Wirksamkeit zu überprüfen.
Grundsätzlich weist die Firma Cherry auf der Gematik-Website im Zusammenhang mit anderen Updates noch einmal daraufhin, dass »sämtliche TI-Komponenten« immer auf dem aktuellsten Software-/ Firmware-Stand sein müssen, um eine fehlerfreie Kommunikation der Systeme untereinander zu garantieren.
Auf den selben Punkt hebt zeitgleich auch das Unternehmen Wordline Healthcare über die Gematik-Website hervor. Handlungsempfehlungen, um die elektrostatisch aufgeladenen Karten zu erden, gab es in diesem Zusammenhang allerdings nicht. Doch zumindest eine vorangegangene Aktualisierung Ende Januar hatte unter anderem vor dem Hintergrund stattgefunden, den Restart des Kartenterminals in den Arztpraxen zu beschleunigen.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.