Wenn man essen will, aber nicht essen kann |
Über die Ursachen von ARFID weiß man bislang wenig. Eine genetische Veranlagung könnte gerade bei Betroffenen, die empfindlich gegenüber Gerüchen, Textur oder Geschmacksrichtungen seien oder einen Ekel vor vielen Speisen hätten, eine Rolle spielen, sagt Schmidt.
Angst vor dem Essen oder andere ARFID-Symptome könnten auch durch frühe traumatische Erfahrungen ausgelöst werden: Wenn ein Kind sich stark verschluckt hat, eine allergische Reaktion erlebt hat, wenn es früh intubiert werden musste oder Erkrankungen mit Schluckbeschwerden hatte.
Bei erkrankten Jugendlichen werde in Deutschland oft Magersucht angenommen, sagt Andrea Hartmann Firnkorn, Leiterin der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität Konstanz. »Doch Personen mit ARFID schränken ihr Essen nicht ein, weil sie abnehmen möchten. Sie essen teilweise auch beispielsweise Pommes, Nudeln oder Schokobrötchen.« Umgekehrt gibt es auch Kinder, die nicht einmal Pommes oder Schokoladenkuchen runter bekommen. Die Betroffenen können unter-, normal- oder übergewichtig sein, aber aufgrund der einseitigen Ernährung oft mangelernährt.
»ARFID ist für die gesamte Familie sehr anstrengend«, sagt Schmidt. »Oft zeigen sich schon früh Auffälligkeiten beim Essen, zum Beispiel beim Stillen oder wenn man Beikost einführt.« Eltern sollten zum Kinderarzt gehen, um die körperlichen Folgen abschätzen zu lassen. Er kann auch abklären, ob Magen-Darm-Probleme oder eine Nahrungsmittelallergie vorliegen. »Man muss davon ausgehen, dass der Arzt ARFID nicht kennt und es als Mäkeligkeit abtut. Mäkeligkeit geht jedoch vorbei, ARFID nicht.«
Eine Analyse von 77 Studien gibt erste Hinweise auf mögliche Therapieansätze: Obwohl es recht kleine Studien ohne Langzeitbeobachtung seien, zeigten sie Ansätze, die erforscht werden sollten, schreibt ein Team um Laura Bourne vom University College London im Journal »Psychiatry Research«. Darunter seien die familienbasierte Therapie, die kognitive Verhaltenstherapie und zum Teil eine ergänzende Gabe von Psychopharmaka. Je nach Hauptproblem und Schweregrad müsse die Therapie individuell angepasst werden. Neben einer Psychotherapie kann Logopädie eine Möglichkeit sein, insbesondere bei einer Aversion gegen bestimmte feste Lebensmittel.
Wichtig sei ein entspanntes Klima am Esstisch, auch wenn es schwer sein könne, betont Schmidt. »Die Eltern sollten Freude am Essen vermitteln und abgelehntes Essen immer wieder in Schalen auf dem Tisch anbieten, so dass sich jeder davon nehmen kann.« Mindestens zehn Mal sollte ein neues Nahrungsmittel probiert werden, damit man sich damit anfreundet, sagt Schmidt.
Andererseits helfe es nichts, wenn Druck ausgeübt werde, Gemüse, Obst, Milchprodukte oder Fleisch und Fisch zu essen. Viele Menschen mit ARFID möchten ja etwas essen. »Manche Kinder möchten gerne Kartoffelbrei essen, schaffen es aber nicht, diesen Ekel zu überwinden.«