Wenn Grippe und Covid-19 aufeinander treffen |
Theo Dingermann |
24.08.2020 15:04 Uhr |
Forscher wissen schon viel über das neue Coronavirus, aber noch viel zu wenig. Unklar ist etwa, was genau passiert, wenn ein Mensch gleichzeitig an Grippe und Covid-19 erkrankt. / Foto: Getty Images/Malte Mueller
Die Frage, ob es möglich ist, sich mit SARS-CoV-2 und Influenza gleichzeitig zu infizieren, beantwortete Solomon im »JAMA«-Networks Podcast eindeutig mit Ja. Das hätten bereits etliche Fälle vor allem aus China und Australien gezeigt. Das bedeutet auch, dass ein positiver Test für eine Infektion mit einem der beiden Viren eine Infektion mit dem anderen zunächst einmal nicht ausschließt.
Noch relativ wenig lässt sich allerdings dazu sagen, wie sich eine solche Koinfektion klinisch manifestiert. Dafür sind die Zahlen noch zu gering. Allerdings erscheint es plausibel anzunehmen, dass eine Koinfektion mit höheren Zahlen an schweren Verläufen und Todesfällen assoziiert sein wird.
Eine Konsequenz des parallelen Auftretens dieser beiden Infektionskrankheiten dürfte allerdings darin bestehen, dass mehr diagnostiziert wird. Wurde in der Vergangenheit die Influenza eher empirisch diagnostiziert und behandelt, gilt es von nun an sicherzustellen, mit welcher Krankheit man es zu tun hat. Denn beide Erkrankungen unterscheiden sich klar und für beide existieren bereits jetzt schon unterschiedliche Therapiestrategien.
In jedem Fall scheint es wichtiger denn je, sich in diesem Jahr gegen die Influenza impfen zu lassen. Ein Grund ist natürlich der persönliche Schutz. Ein anderer ist das Bemühen, das Reservoir des Influenzavirus in der Gesellschaft so niedrig wie möglich zu halten. »Man wird nie mit den Impfraten zufrieden sein, aber in diesem Jahr ist die Impfung gegen Influenza besonders kritisch«, betonte Solomon.
Nach den Zahlen der US-Gesundheitsbehörde CDC sterben in den USA jährlich zwischen 12.000 und 60.000 Menschen an der saisonalen Influenza. Dies hänge zum einen von der Virulenz und von den genetischen Unterschieden zum jeweils dominanten Virusstamm des Vorjahres ab, so Solomon. Zum anderen spiele es eine entscheidende Rolle, wie die Influenza-Impfung in dem jeweiligen Jahr akzeptiert wurde und wie effektiv die in dem Jahr zur Verfügung stehende Vakzine war.
Die Effektivität der Influenza-Impfstoffe variiert zwischen 20 und 60 Prozent. Das klingt ernüchternd. Aber man sollte bedenken, dass selbst dann, wenn die Effektivität der saisonalen Vakzine gering erscheint, diese einen durchaus großen Einfluss auf die Todeszahlen haben kann. In der Saison 2018/2019 beispielsweise hatte die Vakzine eine Effektivität von nur 28 Prozent, verhinderte aber nach den Berechnungen der CDC 3800 Todesfälle in den USA. Natürlich ist es gerade in solchen Jahren, in denen nur eine mäßig effiziente Vakzine zur Verfügung steht, wichtig, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen.
Man kann nur hoffen, dass die SARS-CoV-2-Epidemie die Menschen daran erinnert, wie wichtig es ist, von der Möglichkeit der Prävention durch Impfen Gebrauch zu machen. Ob dies allerdings tatsächlich der Fall ist, will auch Solomon nicht unterschreiben. Denn selbst hinsichtlich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 herrscht noch erstaunlich viel Skepsis, obwohl dieses Virus fast alles in der Gesellschaft auf den Kopf gestellt hat. Etliche Umfragen lassen befürchten, dass gerade einmal um die 50 Prozent der Menschen bereit sind, sich gegen das neue Virus impfen zu lassen.
Die Frage, ob die SARS-CoV-2-Epidemie auch die jährliche Influenza-Epidemie beeinflussen wird, beantwortete Solomon positiv. Beide Viren werden im Wesentlichen über Tröpfchen übertragen. Und es hat sich klar gezeigt, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie auch die Übertragung von Influenzaviren deutlich positiv beeinflusst hat. Gerade die nicht pharmakologischen Maßnahmen wirken sich auf beide Krankheiten positiv aus.
Tatsächlich unterscheiden sich die Risikogruppen für schwere Verläufe von Influenza und Covid-19 kaum, wie Solomon betonte. Jedoch gibt es eine Ausnahme: Für Kinder unter zwei Jahren ist die Influenza wesentlich gefährlicher als SARS-CoV-2. Ansonsten sind die Überlappungen der Risiken für schwere Krankheitsverläufe sehr groß. Dazu zählen vor allem ein fortgeschrittenes Alter und die diversen bekannten Grunderkrankungen.
Prinzipiell kann man sich impfen lassen, sobald Impfstoff verfügbar ist. Das ist aber nicht die beste Strategie bei der Grippe, denn der Influenza-Impfstoff ist, da er in jedem Jahr appliziert werden muss, in Richtung höchstmöglicher Verträglichkeit und nicht höchstmöglicher Effizienz entwickelt. Kurz nach dem Impfen beginnt das Immunsystem mit der Synthese schützender Antikörper. Es wird dann relativ bald – etwa nach zwei bis vier Wochen – ein Peak erreicht. Danach nimmt die Verfügbarkeit der Antikörper graduell wieder ab. Dies legt nahe, sich nicht zu früh impfen zu lassen.
Ein guter Zeitpunkt für eine Influenza-Impfung ist beispielsweise Ende Oktober oder Anfang November. Denn in der Regel beginnt die Influenzasaison in Europa Mitte bis Ende Januar.
Man sollte sich immer daran erinnern, dass momentan verschiedene Influenza-Vakzinen zur Verfügung stehen, aber noch keine gegen SARS-CoV-2. Um so wichtiger ist es, die Influenza-Impfung in diesem Jahr besonders ernst zu nehmen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.