Wenn Geld für Essen fehlt |
Christina Hohmann-Jeddi |
17.12.2024 18:00 Uhr |
Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen (fast 90 Prozent) hatten einen guten oder sehr guten Gesundheitszustand. Bei den Erwachsenen sah es schlechter aus: So schätzten 43,4 Prozent der haushaltsführenden Elternteile ihren Gesundheitszustand als mittelmäßig bis sehr schlecht ein. Zudem litt mehr als die Hälfte (51,9 Prozent) nach eigenen Angaben unter mindestens einer chronischen Erkrankung. Die Studie zeigt auch, dass die psychische Gesundheit hier bidirektional eine Rolle spielt: Wenn ein haushaltsführendes Elternteil eine psychische Erkrankung hatte, war die Wahrscheinlichkeit für Ernährungsunsicherheit deutlich erhöht. Andererseits verschlechterte Ernährungsarmut das psychische Wohlbefinden.
Auch der Body-Mass-Index wurde abgefragt. Dabei zeigte sich, dass 20,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen Übergewicht hatten und 10,0 Prozent Adipositas. Damit waren Kinder aus armutsgefährdeten Familien deutlich häufiger als der bundesweite Durchschnitt betroffen: Laut KiGGS-Studie aus dem Jahr 2018 lebten zum Zeitpunkt der Erhebung 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht und 5,9 Prozent mit Adipositas. Dabei sind die Zahlen aus der MEGA_kids- Studie noch zu relativieren. Denn fast die Hälfte der befragten Familien lebte kürzer als ein Jahr in Deutschland. Bei diesen kürzlich migrierten Kindern und Jugendlichen lag die Adipositasrate bei nur 3,4 Prozent, während sie bei den schon länger in Deutschland lebenden Kindern und Jugendlichen oder dort Geborenen bei 15,7 Prozent lag. Von den Erwachsenen waren 51,1 Prozent der Frauen und 58,2 Prozent der Männer präadipös oder adipös – wobei auch hier die Rate bei den vor Kurzem Migrierten deutlich niedriger lag.
Der Befragung zufolge greifen betroffene Haushalte auf verschiedene Maßnahmen zurück, um ihre Ernährungssituation zu verbessern. Dazu zählen der Kauf von günstigen Lebensmitteln, das Sparen in anderen Lebensbereichen sowie die bewusste Einschränkung bei Qualität, Menge und Vielfalt der Nahrung. Dabei würden zahlreiche Strategien angewendet, um die Kinder vor den Konsequenzen der finanziellen Situation zu schützen, schreiben die Autoren um Simmet.
Lebensmittelspenden können die Nahrungsmittelauswahl in armutsgefährdeten Haushalten erhöhen. / © Adobe Stock/Karl-Hendrik Tittel
Unterstützung aus dem sozialen Umfeld, kostenlose Essensangebote oder Lebensmittelspenden können die Lage etwas entspannen. So nutzten mehr als 80 Prozent der teilnehmenden Haushalte in den 30 Tagen vor der Befragung das Angebot einer Tafel. Häufig geäußert wird der Wunsch nach günstigeren Preisen für gesunde Lebensmittel. Gleichzeitig fordern viele, dass die Sichtbarkeit von Süßigkeiten und Fast Food in Medien, Supermärkten und Schulen reduziert wird.
Den Studienautorinnen und -autoren zufolge ist zur Stärkung der Ernährungssicherheit eine umfassende Strategie nötig. Sie fordern neben einem systematischen Monitoring auch verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen. So könnten etwa stark zuckerhaltige Lebensmittel besteuert, Obst und Gemüse dagegen subventioniert werden. Zudem ist eine verstärkte Wissensvermittlung zu gesundem Essverhalten in der Zielgruppe wichtig. Die verschiedenen Politikfelder müssten die Ernährungssicherheit stärker im Blick haben, fordert das Autorenteam. Nur ein Zusammenspiel dieser Ansätze könne langfristige Verbesserungen bewirken.
Ernährungsarmut äußert sich weniger in kalorischer Unterversorgung, sondern darin, dass sich Familien gesundheitsfördernde Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Vollkornprodukte nicht leisten können. Stattdessen dominieren nährstoffarme und fettreiche Lebensmittel, was sowohl Mangelernährung als auch Übergewicht und langfristig ernährungsbedingte Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigt. Besonders bei Kindern (in den ersten 7000 Lebenstagen) hat Ernährung einen großen Einfluss auf Entwicklung, Immunfunktionen, Aufmerksamkeit und Lernerfolg. Darauf wies das Bundeszentrum für Ernährung im Januar 2024 in einer Mitteilung hin. Demnach kann Kita- und Schulverpflegung einen entscheidenden Beitrag zur gesunden Ernährung leisten, da sie alle sozialen Schichten erreicht und bis zu 70 Prozent des Nährstoffbedarfs decken kann. Etwa 78 Prozent der 3,4 Millionen Kinder in Deutschland, die eine Kita besuchen, essen auch dort zu Mittag. 19.000 Ganztagsschulen in Deutschland bieten ein Mittagessen an. Studien zufolge war während der Coronapandemie das Risiko für Ernährungsarmut durch Kita- und Schulschließungen gestiegen. Experten empfehlen, eine beitragsfreie Verpflegung in Kitas und Schulen nach Qualitätsstandards der DGE als Maßnahme gegen Ernährungsarmut einzuführen. So hat auch der Bürgerrat »Ernährung im Wandel« kostenloses und gesundes Mittagessen für alle Kinder ganz oben auf seine Prioritätenliste gesetzt. Der Bürgerrat, bestehend aus 160 zufällig ausgewählten Personen aus der Bevölkerung, hatte im Februar 2024 ein Gutachten mit Vorschlägen zu nachhaltiger Ernährung an den Bundestag übergeben.