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Ernährungsarmut in Deutschland

Wenn Geld für Essen fehlt

Kein Geld für gesunde Lebensmittel, Mahlzeiten auslassen, ohne Frühstück in die Schule – auch im wohlhabenden Deutschland können sich viele Menschen benötigte Lebensmittel nicht leisten. Wie groß das Problem Ernährungsarmut ist und was die Folgen sind, zeigt ein aktueller Bericht.
Christina Hohmann-Jeddi
17.12.2024  18:00 Uhr

In Deutschland sind knapp 15 Prozent der Bevölkerung – mehr als 12 Millionen Menschen – armutsgefährdet. Das geht aus dem Sozialbericht 2024 des Statistischen Bundesamts hervor, der Anfang November vorgestellt wurde. Besonders häufig trifft dies auf Alleinerziehende und kinderreiche Familien zu, aber auch Alleinlebende und Senioren sind überdurchschnittlich häufig betroffen. Das hat Folgen für die Ernährung, denn wenn das Geld knapp ist, wird auch an Lebensmitteln gespart. Statt Gemüse und Obst kommen dann Sattmacher auf den Tisch.

»Auch in einem vergleichsweise wohlhabenden Land wie Deutschland gibt es armutsbedingte Fehl- und Mangelernährung und sogar Hunger.« Das konstatierte im Jahr 2020 der WBAE – Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in einem Gutachten zur Politik für nachhaltigere Ernährung. Bundesweite offiziellen Daten gibt es nicht, Schätzungen zufolge sind aber drei Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Eine Fehl- oder Mangelernährung kann sich deutlich auf den Gesundheitszustand auswirken – vor allem bei Kindern, die sich ja noch in der Entwicklung befinden.

Wie eine Armutsgefährdung den Ernährungs- und Gesundheitszustand von Familien beeinflusst, hat ein Team der Universität Hohenheim und der Berliner Charité in einer Querschnittsstudie mit vier Modulen genauer untersucht. Im Rahmen der Studie wurden unter anderem fast 500 armutsgefährdete Familien mit minderjährigen Kindern quantitativ zu ihrer Ernährungs- und Gesundheitssituation befragt. Die Ergebnisse der sogenannten MEGA_kids- Studie wurden vor Kurzem im 15. DGE-Gesundheitsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) veröffentlicht.

Ernährungsarmut ist weit verbreitet

Demnach ist Ernährungsarmut in Deutschland weit verbreitet. Fast ein Viertel (22,4 Prozent) der befragten armutsgefährdeten Haushalte waren im Monat vor der Befragung von Ernährungsarmut in Form von moderater oder starker Ernährungsunsicherheit betroffen. Von Ernährungsunsicherheit spricht man, wenn der Zugang zu ausreichenden, sicheren und nahrhaften Lebensmitteln eingeschränkt ist. Dabei sind verschiedene Domänen zu beachten: die psychische (Sorgen über Lebensmittelkäufe bei Geldknappheit), qualitative (Auswahl günstiger Lebensmittel) und quantitative Domäne (Einschränkung der Lebensmittelmenge).

So hätten sich die Betroffenen zum Beispiel gesorgt, dass ihnen das Essen ausgeht, und sie konnten nur zwischen wenigen verschiedenen Lebensmitteln wählen, berichtet Dr. Anja Simmet von der Universität Hohenheim in einer Mitteilung der DGE. Teilweise verzichteten sie wegen Geldmangels auch auf einzelne Mahlzeiten.

Zudem gibt es eine soziale Domäne, wenn aufgrund von Geldmangel etwa nicht an gesellschaftlichen Treffen mit Essen teilgenommen oder Freunde nicht mehr zum Essen eingeladen werden können. Knapp 70 Prozent der befragten Elternteile litten unter dieser sozialen Ernährungsunsicherheit. »Soziale Ernährungsunsicherheit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sie sich zum Beispiel für ihre Ernährungssituation schämen und diese versuchen, vor anderen zu verstecken«, erklärt Seniorautorin Professor Dr. Nanette Ströbele-Benschop von der Universität Hohenheim.

Ein Ergebnis der Studie ist auch, dass ungünstiges Essverhalten weit verbreitet ist. So verzehrten sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Erwachsenen der befragten Haushalte durchschnittlich mehr Fleisch und Wurstwaren sowie mehr nährstoffarme, energiedichte Lebensmittel wie Süßigkeiten und Snacks als empfohlen. Dagegen lag der Konsum von Obst, Gemüse, Fisch und Getreideprodukten deutlich unter den Empfehlungen. Erwachsene aßen etwa durchschnittlich nur zwei Portionen Obst und Gemüse pro Tag – laut DGE sollten es fünf sein.

Auswirkungen auf die Gesundheit

Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen (fast 90 Prozent) hatten einen guten oder sehr guten Gesundheitszustand. Bei den Erwachsenen sah es schlechter aus: So schätzten 43,4 Prozent der haushaltsführenden Elternteile ihren Gesundheitszustand als mittelmäßig bis sehr schlecht ein. Zudem litt mehr als die Hälfte (51,9 Prozent) nach eigenen Angaben unter mindestens einer chronischen Erkrankung. Die Studie zeigt auch, dass die psychische Gesundheit hier bidirektional eine Rolle spielt: Wenn ein haushaltsführendes Elternteil eine psychische Erkrankung hatte, war die Wahrscheinlichkeit für Ernährungsunsicherheit deutlich erhöht. Andererseits verschlechterte Ernährungsarmut das psychische Wohlbefinden.

Auch der Body-Mass-Index wurde abgefragt. Dabei zeigte sich, dass 20,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen Übergewicht hatten und 10,0 Prozent Adipositas. Damit waren Kinder aus armutsgefährdeten Familien deutlich häufiger als der bundesweite Durchschnitt betroffen: Laut KiGGS-Studie aus dem Jahr 2018 lebten zum Zeitpunkt der Erhebung 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht und 5,9 Prozent mit Adipositas. Dabei sind die Zahlen aus der MEGA_kids- Studie noch zu relativieren. Denn fast die Hälfte der befragten Familien lebte kürzer als ein Jahr in Deutschland. Bei diesen kürzlich migrierten Kindern und Jugendlichen lag die Adipositasrate bei nur 3,4 Prozent, während sie bei den schon länger in Deutschland lebenden Kindern und Jugendlichen oder dort Geborenen bei 15,7 Prozent lag. Von den Erwachsenen waren 51,1 Prozent der Frauen und 58,2 Prozent der Männer präadipös oder adipös – wobei auch hier die Rate bei den vor Kurzem Migrierten deutlich niedriger lag.

Umfassende Strategie nötig

Der Befragung zufolge greifen betroffene Haushalte auf verschiedene Maßnahmen zurück, um ihre Ernährungssituation zu verbessern. Dazu zählen der Kauf von günstigen Lebensmitteln, das Sparen in anderen Lebensbereichen sowie die bewusste Einschränkung bei Qualität, Menge und Vielfalt der Nahrung. Dabei würden zahlreiche Strategien angewendet, um die Kinder vor den Konsequenzen der finanziellen Situation zu schützen, schreiben die Autoren um Simmet.

Unterstützung aus dem sozialen Umfeld, kostenlose Essensangebote oder Lebensmittelspenden können die Lage etwas entspannen. So nutzten mehr als 80 Prozent der teilnehmenden Haushalte in den 30 Tagen vor der Befragung das Angebot einer Tafel. Häufig geäußert wird der Wunsch nach günstigeren Preisen für gesunde Lebensmittel. Gleichzeitig fordern viele, dass die Sichtbarkeit von Süßigkeiten und Fast Food in Medien, Supermärkten und Schulen reduziert wird.

Den Studienautorinnen und -autoren zufolge ist zur Stärkung der Ernährungssicherheit eine umfassende Strategie nötig. Sie fordern neben einem systematischen Monitoring auch verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen. So könnten etwa stark zuckerhaltige Lebensmittel besteuert, Obst und Gemüse dagegen subventioniert werden. Zudem ist eine verstärkte Wissensvermittlung zu gesundem Essverhalten in der Zielgruppe wichtig. Die verschiedenen Politikfelder müssten die Ernährungssicherheit stärker im Blick haben, fordert das Autorenteam. Nur ein Zusammenspiel dieser Ansätze könne langfristige Verbesserungen bewirken.

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