Weizenproteine verschlechtern MS-Symptome |
Brigitte M. Gensthaler |
23.01.2024 09:00 Uhr |
Viele Getreidesorten wie Weizen, Gerste und Roggen enthalten Amylase-Trypsin-Inhibitoren; diese können entzündliche Prozesse antreiben – sogar im Zentralnervensystem. / Foto: Getty Images/Kathrin Ziegler
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die mehr als 250.000 Menschen in Deutschland betrifft. Die Prävalenz nahm in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zu, vor allem bei jungen Erwachsenen und Frauen. Neben genetischen Faktoren können Umweltfaktoren und die Ernährung den Verlauf der chronisch-entzündlichen Erkrankung beeinflussen.
Bekannt ist, dass bestimmte Weizenproteine entzündliche Reaktionen in peripheren Organen auslösen können. Prominentes Beispiel ist die Zöliakie als entzündliche Reaktion des Dünndarms auf das Klebereiweiß Gluten. »Neu ist, dass andere Weizenproteine generell Entzündungen fördern können«, erklärt Professor Dr. Detlef Schuppan, Direktor des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz, in einer Pressemeldung.
Eine weizenhaltige Ernährung könne auch entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) beeinflussen. »Wir konnten im Tiermodell und in einer klinischen Pilotstudie zeigen, dass bestimmte Weizenproteine die Schwere der MS fördern. Dabei spielen die sogenannten ATI-Proteine eine wesentlich größere Rolle als Glutenproteine«, berichtet Schuppan. Die Forschungsergebnisse wurden in den Fachzeitschriften »Gut« und »Therapeutic Advances in Neurological Disorders« veröffentlicht.
ATI steht für Amylase-Trypsin-Inhibitoren; das sind natürliche Proteine, die in Getreiden wie Weizen, Gerste und Roggen vorkommen. Die ATI-Proteine werden kaum verdaut und verursachen leichte Entzündungsreaktionen im Darm. Durch ATI aktivierte Entzündungszellen und Botenstoffe können über den Blutstrom auch in andere Teile des Körpers transportiert werden. Wie das Wissenschaftlerteam herausfand, fördern ATI-Proteine bestehende Entzündungsprozesse in Organen wie Leber oder Lunge und auch im ZNS. Dadurch können sie die Symptome einer MS verstärken.
Bei Mäusen mit experimenteller autoimmuner Enzephalomyelitis (EAE) verschlechterten sich die Symptome stark, wenn die Mäuse ein Futter mit 25 Prozent Weizen bekamen, im Vergleich zu Tieren mit der gleichen, aber weizenfreien Ernährung. Die Symptomverschlechterung ließ sich mit einer minimalen Menge ATI-Proteinen (0,15 Prozent des Futtergewichts) reproduzieren, nicht jedoch mit einer großen Menge Glutenproteinen (5 Prozent des Futtergewichts). Die Forschenden werten dies als Beleg, wie wichtig die Darm-Hirn-Achse bei entzündlichen ZNS-Erkrankungen ist.
Die Ergebnisse konnte das Team in einer Pilotstudie mit 16 Patienten mit mittelgradig schwerer, gering aktiver MS (RRMS) nachvollziehen. Eine Gruppe ernährte sich drei Monate lang stark weizenreduziert, während die andere Gruppe ihre weizenhaltige Kost weiterführte. Nach den drei Monaten wechselten die Gruppen für weitere drei Monate zur jeweils anderen Diät. Die Betroffenen hatten während der ATI-reduzierten Kost signifikant weniger Schmerzen. Zudem wurden weniger entzündliche Immunzellen in ihrem Blut gemessen, die zirkulierenden proinflammatorischen T-Zellen (primärer Endpunkt) nahmen aber nicht ab.
»Eine weizenfreie Ernährung kann die Schwere einer MS und anderer entzündlicher Erkrankungen mildern«, resümiert Schuppan. Studien, die unter anderem eine weizenfreie Ernährung mit anderen medikamentösen Therapien verbinden, seien geplant.