Weitere Hinweise zur Bedeutung der Booster-Impfung |
Theo Dingermann |
31.01.2022 11:06 Uhr |
Erst der mehrmalige Kontakt mit dem Virus beziehungsweise seinem Spike-Protein scheint die Immunabwehr nachhaltig auf Touren zu bringen. / Foto: Imago Images/Kirchner-Media
In zwei hochranging publizierten Arbeiten in »Science « und »Nature« zeigen die beteiligten Wissenschaftler, dass es sich lohnt, sich mit einem mRNA-Impfstoff boostern zu lassen. Denn erst nach einer dritten Exposition des Immunsystems mit dem Spike-Protein wird das Antikörper-Repertoire so hochgefahren, dass ein Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf, verursacht durch eine Infektion mit Omikron, deutlich gesteigert wird. Nicht ganz unerwartet ist eine Infektion einer Impfdosis mindestens äquivalent.
In der ersten Arbeit, die aus den Münchener Arbeitsgruppen von Professor Dr. Ulrike Protzer und Professor Dr. Oliver T. Keppler stammt, untersuchten die Wissenschaftler die Dynamik neutralisierender Antikörper in einer Kohorte von infektionsfreien Personen, die mit Comirnaty® von Biontech und Pfizer geimpft worden waren, sowie von Covid-19-Rekonvaleszenten. Dazu quantifizierten sie die Anti-SARS-CoV-2-Spike-Antikörper-Titer und bestimmten die Neutralisierungskapazität im Serum der Studienteilnehmer gegenüber allen bisher definierten besorgniserregenden Viren (VOC).
Die Wissenschaftler setzten dazu einen neuartigen Hochdurchsatz-Test zur Neutralisierung von lebenden Viren ein, darunter alle bekannten VoC, die aus Covid-19-Patienten isoliert worden waren. Mit diesen Viren infizierten sie immortalisierte menschliche MDA-MB-231-Zellen, die den Angiotensin-Converting-Enzym-2 (hACE2)-Rezeptor exprimieren. Diese Zellen werden sehr leicht von SARS-CoV-2 infiziert und zeigen dann eine starke zytopathische Reaktion, sodass über diesen Effekt eine schnelle Quantifizierung der Neutralisierungsaktivitäten der Patienten-Seren möglich ist.
Mittels dieses Lebendvirus-Neutralisationstests konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich sowohl bei zweimal geimpften Rekonvaleszenten als auch bei zunächst immunnaiven Probanden, die entweder geboostert waren oder die nach zwei Impfdosen an einer Durchbruchinfektion erkrankt waren, eine sehr gute Infektions-Neutralisierungskapazität gegen alle VOC, einschließlich Omikron, ausgebildet hatte.
Diese drei aufeinanderfolgenden Spike-Antigen-Expositionen, entweder durch Impfung oder Infektion, führten zu einer zunehmenden Neutralisierungskapazität pro Antispike-Antikörpereinheit und gingen mit einer schrittweisen Zunahme der Antikörper-Bindekapazität (Avidität) einher.
Insgesamt zeigten Covid-19-Rekonvaleszenten eine höhere Neutralisierungskapazität gegen alle SARS-CoV-2-VOC als infektionsnaive Personen, selbst wenn diese drei Impfdosen erhalten hatten. Daraus ziehen die Wissenschaftler den Schluss, dass eine durch Infektion plus Impfung induzierte hybride Immunität oder eine Dreifach-Immunisierung qualitativ hochwertige Antikörper induzieren können, was zu einer überlegenen Neutralisierungskapazität gegen VOC, einschließlich Omikron, führt.
In der zweiten Studie, die in »Science« publiziert wurde, zeigen Wissenschaftler der Firmen Biontech und Pfizer Ergebnisse zum Schutzpotential des Impfstoffs Comirnaty gegenüber der Ursprungsvariante (Wuhan-Variante) und gegenüber den VOC Beta, Delta und Omikron.
Für diese Versuche verwendeten die Wissenschaftler zwei orthogonale Testsysteme: Zum einen analysierten sie die Seren von 51 Probanden mit Hilfe eines Pseudovirus-Neutralisationstests (pVNT), der nachweislich sehr gut mit SARS-CoV-2-Lebendneutralisationstests übereinstimmende Ergebnisse liefert. Zum anderen setzten sie einen SARS-CoV-2-Lebendneutralisationstest (VNT) ein.
Nach zwei Dosen Comirnaty wiesen die Seren im Schnitt >22-fach reduzierte neutralisierende Titer gegen Omikron im Vergleich zu Wuhan-Pseudoviren auf. Einen Monat nach der dritten Impfstoffdosis waren die Omikron-neutralisierenden Titer im Vergleich zu zwei Dosen um das 23-fache erhöht. Zudem entsprachen diese Titer denen, die ein Wuhan-Virus nach zwei Dosen neutralisieren.
Die Notwendigkeit einer dritten Impfdosis für eine effektive Neutralisation der Omikron-Variante konnten die Wissenschaftler mit dem SARS-CoV-2-Lebendneutralisationstest bestätigen. Diese Daten legen nahe, dass drei Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs zum Schutz vor Covid-19, die durch Omikron verursacht wird, dringend erforderlich ist.
Die Impfung mit Comirnaty induziert starke polyepitopische T-Zell-Reaktionen, die sich gegen mehrere Epitope über die gesamte Länge des Spike-Proteins richten. Um das Risiko einer Immunumgehung von CD8+ T-Zell-Antworten durch Omikron zu bewerten, wurde zusätzlich eine Reihe von HLA Klasse I spezifischen T-Zell-Epitopen aus der Wuhan-Spike-Protein-Sequenz untersucht.
Trotz der Vielzahl von Mutationen im Omikron-Spike-Protein waren 85,3 Prozent (n = 208) der in Datenbanken beschriebenen Klasse-I-Epitope auf der Aminosäuresequenzebene nicht von einer Mutation betroffen, was darauf hindeutet, dass die Ziele der überwiegenden Mehrheit der durch die Impfung ausgelösten T-Zell-Reaktionen auch in der Omikron-Variante konserviert zu sein scheinen.
Beide Studien unterstreichen die große Bedeutung von mindestens drei Expositionen des Immunsystems mit dem Spike-Antigen. Dies kann durch eine dreimalige Impfung von bislang nicht Erkrankten, durch eine zweimalige Impfung nach einer Erkrankung oder nach einer Durchbruchinfektion nach zwei Impfdosen erreicht werden.
Bei all diesen Expositionen expandieren nicht nur die spezifischen B-Zellen, die die Antikörper exprimieren. Es kommt auch zur weiteren Affinitätsreifung der neutralisierendern Antikörper, sodass immer bessere Antikörpermoleküle entstehen.
Während der Affinitätsreifung kommt es zu weiteren somatischen Hypermutationen in variablen Regionen der Antikörper – mit dem Effekt, dass die Bindungsaffinität je nach Art und Dauer der Antigenexposition optimiert wird.
So kann die Affinitätsreifung die Breite und die Effizienz der neutralisierenden Antikörper gegen SARS-CoV-2 deutlich erhöhen. Das kann soweit gehen, dass sogar die Neutralisierung neuer Virusvarianten ermöglich wird, und genau dieser Effekt ist für einen Schutz vor Omikron so eminent relevant.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.