Wechselwirkungen zeigen Individualität |
Vor dem individuellen Interaktions-Check sollte noch einmal überprüft werden, ob alle Merkmale des Patienten in der Kundendatenbank erfasst sind. / Foto: Fotolia/contrastwerkstatt
Arzneimittelrisiken lassen sich bereits seit 20 Jahren mit der CAVE-Funktion patientenindividuell prüfen. Der Interaktions-Check hingegen konnte bislang keine Patientenmerkmale einbeziehen. Die Warnmeldung in der Kasse spiegelte somit das generelle Interaktionspotenzial zweier Arzneistoffe wider. Falls das Ausmaß einer Interaktion von spezifischen Faktoren wie einer Erkrankung beeinflusst wird, mussten diese Zusammenhänge aus dem Monografietext erschlossen werden.
Die ABDADatenbank² ermöglicht es nun, das individuelle Ausmaß einer Wechselwirkung während des Verkaufsvorgangs automatisch zu ermitteln. Hierfür gelten die gleichen Voraussetzungen wie für alle patientenindividuellen Risikoprüfungen (Kasten).
Die neue Funktion kann anhand eines Beispiels veranschaulicht werden: Zwei Patienten nehmen aufgrund ihrer Dranginkontinenz dauerhaft Tovedeso 3,5 mg Retard-Tabletten (Desfesoterodin) ein. Da beide an einer hartnäckigen Fußpilzerkrankung leiden, verschreibt ihnen der Hautarzt Sempera Kapseln (Itraconazol). Der erste Patient leidet an einer chronischen Niereninsuffizienz, der zweite ist Hypertoniker. Abbildung 1a zeigt die patientenindividuelle Interaktionsmeldung für den ersten, Abbildung 1b für den zweiten Patienten. Es wird deutlich, dass die Kombination bei chronischer Niereninsuffizienz kontraindiziert ist, die beiden Arzneistoffe beim Vorliegen einer Hypertonie jedoch ein nur geringes Interaktionspotenzial aufweisen.
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Die patientenindividuellen Interaktionsmeldungen haben häufig Parallelen zu den Ergebnissen der AMTS CAVE-Prüfung im Bereich Erkrankung. Das ist nicht verwunderlich, denn Anwendungsbeschränkungen einzelner Arzneistoffe hängen oftmals eng mit dem individuellen Ausmaß möglicher Wechselwirkungen zusammen. So wird bei Desfesoterodin und bei Itraconazol bereits darauf hingewiesen, dass der jeweilige Wirkstoff bei eingeschränkter Nierenfunktion nur mit Vorsicht eingesetzt werden sollte.
Wenn ein unbekannter Kunde eine Verschreibung über diese beiden Arzneistoffe einlöst, erscheint die allgemeine Interaktionsmeldung »kontraindiziert« (Abbildung 1c). Diese Einstufung berücksichtigt die Möglichkeit, dass der Patient ein relevantes Risiko besitzt. Es gilt nun, dieses gegebenenfalls zu hoch eingestufte Risikopotenzial im weiteren Verlauf zu entkräften oder zu bestätigen.
Im Meldungstext findet sich unter »Maßnahmen« die Information, dass die Arzneistoffkombination bei mäßiger bis schwerer Nieren- oder Leberinsuffizienz kontraindiziert ist. Im Gespräch mit dem Patienten, im Zweifelsfall auch mit dem behandelnden Arzt, muss demnach abgeklärt werden, ob er an einer dieser Erkrankungen leidet. Erst dann lässt sich eine Entscheidung treffen, wie mit der Interaktion umzugehen ist.
Bei einer allgemeinen Interaktionsmeldung muss also zuerst geprüft werden, ob das Risiko im konkreten Fall tatsächlich besteht. Dieser zusätzliche Arbeitsschritt entfällt bei der patientenindividuellen Meldung. Sie berücksichtigt bereits die Merkmale des Patienten und liefert somit eine spezifische Einschätzung des Interaktionspotenzials. Im Gegenzug wird allerdings eine große Sorgfalt bei der Codierung des Patienten vorausgesetzt. Eine individuelle Interaktionsprüfung kann nur dann zu einem verlässlichen Ergebnis führen, wenn alle Merkmale vorher erfasst wurden (Kasten). Deshalb sollten seine Daten unbedingt noch einmal auf Vollständigkeit überprüft werden. Ein nicht hinterlegtes Merkmal kann zu einer grundlegend anderen Einschätzung der Interaktion führen – so wie im Fallbeispiel. Nicht-patientenindividuelle Prüfungen bieten in solchen Situationen eine zusätzliche Sicherheit, indem sie das Risiko vorsichtshalber hochstufen (Abbildung 1c) und im Meldungstext alle potenziellen Risikofaktoren aufzählen sowie deren Auswirkungen beschreiben.
Dabei ist es wichtig zu wissen, dass nicht alle genannten Risiken die Einstufung der Interaktion mitbestimmen. Zum Beispiel führen bei der Interaktion zwischen Desfesoterodin und Clarithromycin eine mäßige bis schwere Niereninsuffizienz, eine Leberfunktionsstörung oder eine Leberzirrhose dazu, dass die Interaktion als »kontraindiziert« bewertet wird. Liegt keines dieser Patientenmerkmale vor, ist sie als »mittelschwer« klassifiziert. Darüber hinaus sind zusätzliche Risikofaktoren wie eine Herzinsuffizienz oder eine Unterfunktion der Schilddrüse genannt. Auch wenn diese weiteren Merkmale die klinische Relevanz der Interaktion nicht direkt beeinflussen, sollten sie in deren Gesamtbeurteilung einfließen.
Um noch mehr Informationen über eine Interaktion zu erhalten, steht bei den patientenindividuellen sowie den allgemeinen Interaktionsmeldungen zusätzliches »Expertenwissen« bereit. In dieser Rubrik finden sich weiterführende Erläuterungen zu den Maßnahmen sowie detaillierte Angaben zum Beispiel über den pharmakologischen Effekt oder den Mechanismus der Interaktion.
Und noch eine weitere Neuerung macht sich bei den Interaktionen bemerkbar: Bisher wiesen Meldungen allgemein auf das Interaktionspotenzial zwischen den zwei beteiligten Stoffgruppen hin. So wurde beispielsweise bei verschiedenen Kombinationen eines Neuroleptikums und eines Serotonin-Reuptake-Hemmers immer dieselbe Warnmeldung angezeigt. Sie machte darauf aufmerksam, dass bei der gleichzeitigen Gabe eine Überwachung beziehungsweise Anpassung nötig ist. Besonderheiten für bestimmte Stoffe, zum Beispiel hinsichtlich des Ausmaßes der Wechselwirkung oder der zu treffenden Maßnahmen, mussten dem allgemeinen Meldungstext entnommen werden. So findet sich innerhalb der Maßnahmen der spezifische Hinweis, dass für Olanzapin bei gleichzeitiger Behandlung mit Fluvoxamin eine niedrigere Anfangsdosis in Betracht gezogen werden soll (Abbildung 2a).
In der ABDADatenbank² werden die Interaktionsmeldungen stoffspezifisch angezeigt. Eine Meldung enthält somit alle Informationen, die für das betrachtete Stoffpaar relevant sind. Am Beispiel Olanzapin und Fluvoxamin zeigt sich, dass die niedrigere Anfangsdosis für Olanzapin als Maßnahme direkt empfohlen wird (Abbildung 2b).
Die neue Betrachtung führt dazu, dass die Meldungstexte konkreter formuliert sind. Die Inhalte hingegen, die sich auf das jeweilige Stoffpaar beziehen, bleiben weitestgehend unverändert. Gleiches gilt für die empfohlenen Maßnahmen.
Sowohl die Berücksichtigung der Patientenmerkmale als auch die neue stoffpaarspezifische Betrachtung bewirken, dass die Interaktionsmeldungen insgesamt kompakter und präziser werden. Die entscheidenden Informationen lassen sich so schneller erfassen und die notwendigen Maßnahmen einfacher ableiten.
Dieser Beitrag ist der dritte Teil einer Serie zur ABDADatenbank2. Der erste Teil erschien in der PZ 11/2020, der zweite Teil in der PZ 37/2020. Weitere Beiträge folgen.
Dr. Marina Bayer, Dr. Sittah Czeche-Wimmer, Astrid Feller-Becker, Dr. Christian Hellmuth, Dr. Magdalena König, Dr. Bettina Krieg, Dr. Gabriele Pflugmann und Julia Wissel