Was tun bei Nervenschmerzen? |
Laura Rudolph |
04.06.2024 09:00 Uhr |
Wie lassen sich Schmerzen im Rahmen einer diabetischen Polyneuropathie lindern? Dieser Frage widmete sich der Pharmakologe Professor Dr. Achim Schmidtko beim Pharmacon in Meran. / Foto: PZ/Alois Müller
Eine diabetische Polyneuropathie kann infolge einer beeinträchtigten Mikrozirkulation des Blutes, eines gestörten Mitochondrien- und Fettstoffwechsels sowie einer Bildung neurotoxischer glykierter Proteine entstehen. Typischerweise äußerten sich Symptome wie Brennen, »Ameisenkribbeln« oder Schmerzen symmetrisch im Bereich der Füße, Unterschenkel und Hände. »Die Nerven, die diese Bereiche versorgen, haben die längsten Axone, sogar die längsten Zellen des menschlichen Körpers«, erklärte Schmidtko. Je länger das Axon eines Neurons sei, desto eher werde es bei toxischen oder metabolischen Störungen geschädigt.
Ein besonderes Merkmal neuropathischer Schmerzen sei außerdem eine massive Veränderung der Genexpression im schmerzverarbeitenden System. Eines der am stärksten hochregulierten Gene sei jenes der α2δ-Untereinheit von N-Typ-Calciumkanälen, welche die Übertragung von Schmerzsignalen im Nervensystem modulieren, erklärte der Pharmakologe.
An diesem Target greifen die Gabapentinoide Gabapentin und Pregabalin an, die zu den Mitteln der ersten Wahl bei diabetischer Polyneuropathie zählen. »Rein pharmakologisch betrachtet ist Pregabalin besser als Gabapentin«, so Schmidtko. Während Gabapentin aufgrund einer sättigbaren Resorption eine dosisabhängige Bioverfügbarkeit von 30 bis 80 Prozent aufweise, betrage die Bioverfügbarkeit von Pregabalin konstant etwa 90 Prozent, außerdem sei die Affinität zur α2δ-Untereinheit höher.
Zu viel erwarten dürfe man von dieser Therapie aber nicht. Eine zufriedenstellende Schmerzreduktion von mindestens 50 Prozent auf der sogenannten Visuellen Analogskala werde nur bei circa 30 bis 40 Prozent der Patienten mit diabetischer Polyneuropathie erreicht. Allerdings klagten 40 bis 60 Prozent über unerwünschte Wirkungen. »Etwas überspitzt formuliert bedeutet das: Wenn Pregabalin oder Gabapentin gegeben wird, ist die Wahrscheinlichkeit, eine Nebenwirkung zu erleiden höher als eine vernünftige Schmerzreduktion zu erreichen.«
Weiterhin zu den Mitteln der ersten Wahl zählen trizyklische Antidepressiva wie Amitryptilin und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wie Duloxetin. »Andere Gruppen von Antidepressiva sind dagegen nicht wirksam. Das gilt insbesondere für die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer«, gab der Referent zu bedenken. Dieser Umstand führe zu der Hypothese, dass die Analgesie mit der Hemmung der Noradrenalin-Wiederaufnahme zusammenhängen müsse. »Wenn man sich die verfügbaren Daten gründlich anschaut, kann man aber nur zu dem Schluss kommen, dass man nicht weiß, warum Antidepressiva bei neuropathischen Schmerzen analgetisch wirken.«