Was tun bei einer Statin-Intoleranz? |
Brigitte M. Gensthaler |
11.03.2021 11:00 Uhr |
Unter einer Statin-Therapie klagen nicht wenige Patienten über Muskelschmerzen. Dies kann aber viele Gründe haben und nicht immer ist das Statin schuld. / Foto: Getty Images/SDI Productions
Die wichtigste Stoffgruppe zur Senkung erhöhter LDL-Cholesterolwerte und zur kardiovaskulären Prävention sind die Statine. »Alle Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass Statine enorm sicher und potent sind. In Studien sind Nebenwirkungen sehr selten«, berichtete Dr. Anja Vogt, Oberärztin an der Stoffwechselambulanz am Klinikum der Universität München, beim Online-Kongress »Diabetologie grenzenlos« Ende Februar. Sie empfahl hoch potente Stoffe wie Atorvastatin oder Rosuvastatin, da diese schon in niedriger Dosis gut wirksam und dann meist besser verträglich seien.
Allerdings klagen in der Praxis immer wieder Patienten über Muskelschmerzen unter Statin-Therapie. Eine Myalgie ist unspezifisch und kann banale Gründe wie Sport oder ungewohnte Arbeit, zum Beispiel beim Umzug oder im Garten, haben. Die Lipidexpertin empfahl, die Kreatinkinase (CK) vor Therapiebeginn (als Referenzwert) und eventuell nach einer Woche Sportpause erneut zu messen.
Eine Myopathie ist gekennzeichnet durch erhöhte CK-Werte mit oder ohne Schmerzen und muss laut Vogt näher diagnostiziert werden. Bei sehr hohen CK-Werten (über dem Zehnfachen der Norm) sollte der Arzt nach HMG-CoA-Reduktase-(HMGCR-)Antikörpern fahnden. Denn die sehr seltene, immunvermittelte nekrotisierende Myopathie ist charakterisiert durch Muskelschwäche, extrem hohe CK-Werte und häufig Antikörper gegen HMGCR. Sehr selten ist die gefürchtete Rhabdomyolyse mit extrem hohen CK-Werten. Gemäß der S1-Leitlinie »Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien« (Stand 2020) treten Statin-assoziierte Myopathien bei 0,1 und Rhabdomyolysen bei 0,01 Prozent der Patienten auf.
Nach Vogts Erfahrung ist eine Statin-Intoleranz oft psychosomatisch bedingt und beruht auf einem Nocebo-Effekt. Negative Daten über Statine würden »hochgespielt und oft wiederholt, und das prägt«. Auch Heilberufler wirkten als Nocebo oder Placebo: »Wie man spricht, hat einen Rieseneinfluss.« Zudem verunsichere »panisches An- und Absetzen« den Patienten.
Besser ein hochpotentes Statin geben als ein schwaches. Manchmal vertragen Patienten eine niedrige Dosis, die dann genügend wirksam ist. / Foto: Adobe Stock/rogerashford
Die Ärztin warb dafür, den Patienten zuzuhören und nach anderen Medikamenten und der Selbstmedikation, zum Beispiel nach Johanniskraut und Roter-Reis-Produkten, zu fragen. Man müsse ihnen erklären, dass Statine in Studien kaum Nebenwirkungen auslösen und dauerhaft hohe LDL-Cholesterolwerte ebenfalls »Nebenwirkungen« haben.
»Alle können dazu beitragen, dass eine Statin-Therapie möglich wird«, sagte Vogt und nannte explizit auch die Apotheker. Die Mühe lohne sich. »Bei etwa 80 bis 90 Prozent der Patienten, die als Statin-intolerant in unsere Ambulanz überwiesen werden, können wir letztlich mit Statinen und Ezetimib die LDL-Werte in den Zielbereich bringen«, schätzt die Ärztin.
Verträgt ein Patient Statine dennoch nicht oder nicht in ausreichender Dosis, gebe es weitere Optionen. Eine Substitution von Coenzym Q10 bringt laut Vogt nicht viel. Cholestyramin löse keine Muskelschmerzen aus; wenn der Patient dennoch darüber berichtet, »ist etwas nicht richtig«.
Eine Alternative bietet Ezetimib. Man könne damit beginnen und dann ein Statin ergänzen, eventuell in niedrigster Dosierung oder alternierend alle zwei bis drei Tage. Solche komplizierten Therapieschemata hätten oft guten Erfolg. Ältere, Patienten mit Niereninsuffizienz und nach Bypass-Operation profitierten besonders von Ezetimib.
Eine gute LDL-Absenkung – ohne Muskelschmerzen – erreichen PCSK-9-Inhibitoren wie Alirocumab und Evolocumab, die subkutan alle zwei Wochen gespritzt werden. Der PCSK-9-Synthesehemmer Inclisiran, der subkutan nach drei und dann alle sechs Monate injiziert wird, halbiert die LDL-Cholesterol-Werte. Es liegt aber noch keine Endpunktstudie vor. Dies gilt auch für die peroral bioverfügbare Bempedoinsäure. Da diese ein Prodrug ist, könne man dem Patienten erklären, dass die wirksame Substanz nicht im Muskel, sondern nur in der Leber entsteht.
Trotz aller neuen Medikamente: »Basis der Lipidtherapie bleiben Statine und Ezetimib«, betonte Vogt. Heilberufler sollten wissen und vermitteln, dass Statine in der Primär- und Sekundärprävention von kardiovaskulären Ereignissen hocheffektiv und sicher sind. »Unser Verhalten ist Primärprävention von Unverträglichkeiten.«