Was hilft gegen das Übel auf See? |
Brigitte M. Gensthaler |
16.03.2023 09:00 Uhr |
Rollen, Stampfen, Schlingern – schon die Vorstellung davon, was Schiffe auf Wellen alles tun können, lässt bei vielen Reisenden Übelkeit aufsteigen. / Foto: Adobe Stock/Verlimir
»Seekrankheit ist die häufigste Bewegungskrankheit und betrifft etwa 90 Prozent aller Menschen«, erklärte Dr. Jens Kohfahl, Facharzt für Allgemeinmedizin, Tauch- und Reisemedizin in eigener Praxis in Cuxhaven, kürzlich bei einer Online-Pressekonferenz des Centrums für Reisemedizin (CRM). Regelmäßige Seefahrten schützten nicht vor einer Kinetose. In Extremsituationen könnten sogar bis zu 60 Prozent der Berufsseeleute erkranken. Dies könne die Schiffssicherheit beeinträchtigen.
Die Symptome wie Müdigkeit, Blässe, Antriebslosigkeit, Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen sind sehr variabel und auch abhängig von Alter, Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit. In einer Überlebenssituation, zum Beispiel auf einer Rettungsinsel oder in einem Freifallrettungsboot (geschlossenes Rettungsboot), verstärkt die Angst die Beschwerden der Seekrankheit.
»Kinder unter zwei Jahren sind immun. Bis zur Pubertät sind mehr Jungen als Mädchen betroffen, im Erwachsenenalter jedoch deutlich mehr Frauen, vor allem während der Menstruation und Schwangerschaft«, erklärte der Reisemediziner. Nach dem Klimakterium seien Frauen und Männer gleichermaßen betroffen. In den meisten Fällen gewöhne man sich nach 24 Stunden an die Schiffsbewegungen und die Symptome klingen ab.
Vor allem beim Erbrechen spiele Histamin eine entscheidende Rolle, aber auch andere Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin und Acetylcholin seien beteiligt.
Kohfahl gab Tipps zur Prophylaxe und Therapie. Der günstigste Ort auf einem Kreuzfahrtschiff ist der Schiffsmittelpunkt, das heißt in geringer Höhe über der Wasseroberfläche und möglichst nahe der Schiffsmitte. Am besten an Deck in frischer Luft stehen, den freien Horizont fixieren und im Augenwinkel Teile des sich bewegenden Schiffs miterfassen, empfahl der Arzt. »Der Ausgleich der Bewegung im Stehen hilft bei der Adaptation.« Wer sich hinlegen will, sollte vorzugsweise auf dem Rücken liegen und die Augen schließen oder eine Schlafmaske tragen. Hilfreich seien auch Akupressurbänder und Brillen mit künstlichem Horizont.
Vitamin C – wegen der besseren Resorption als Kau- und nicht als Brausetablette – senke den Histaminspiegel, so der Arzt. Auch Ingwer zum Kauen oder als Kapsel könne Übelkeit vorbeugen. In puncto Ernährung sind kohlenhydrathaltige, aber nicht zu üppige Mahlzeiten günstig sowie der Verzicht auf Histamin-haltige Nahrungsmittel wie Salami, Hartkäse, Thunfisch aus der Dose, Sauerkraut, Tomaten und Spinat. Ebenfalls zu meiden sind Schokolade, Knabbergebäck, Walnüsse, Bananen, Kaffee, schwarzer oder grüner Tee und Rotwein.
Antiemetisch wirksame Arzneistoffe wie Dimenhydrinat, Scopolamin und Promethazin können Nebenwirkungen wie Antriebslosigkeit, Müdigkeit und verlangsamte Reaktionszeiten auslösen. Damit seien sie für Mitarbeiter der Schiffsführung tabu, berichtete der Arzt. Bei älteren Passagieren (ab 65 Jahre) seien die Wirkzeiten oft deutlich länger und mehr Nebenwirkungen möglich. »Ältere brauchen immer eine gute ärztliche oder apothekerliche Beratung, auch wenn sie die Medikamente schon länger verwenden. Alle Mittel gegen Seekrankheit stehen auf der Priscus-Liste.«
Setrone sind mögliche Alternativen laut Priscus-2.0-Liste, aber sie wirkten nicht gut präventiv auf die Seekrankheit. Jedoch werde zum Beispiel Ondansetron als Schmelztablette (off Label) für Einsatzkräfte und Rettungsleute auf See sowie als Notfallmedikament gegen Erbrechen eingesetzt. Bei Erbrechen habe sich auch das Riechen an einem mit Alkohol getränkten Tupfer bewährt. Praktisch: Isopropylalkohol steht als Desinfektionsmittel universell zur Verfügung.