Was hat der Patient von der Datennutzung? |
Brigitte M. Gensthaler |
27.11.2023 09:30 Uhr |
Viele Beteiligte im Gesundheitswesen fordern eine effizientere und breitere Sammlung von Gesundheitsdaten der Bürger und Patienten. Doch was haben die Patienten davon, zum Beispiel in ihrer Arzneimitteltherapie? / Foto: Adobe Stock/ra2
»Von der EPA – wenn sie denn funktioniert und Daten tagesaktuell strukturiert zur Verfügung stellt – könnten viele Menschen mit ernsthaften Erkrankungen profitieren, am meisten die multimorbiden Patienten«, sagte Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, bei den zweiten Münchner Arzneimittelgesprächen, veranstaltet von der Stiftung für Arzneimittelsicherheit. Die Schwerkranken könnten von der digitalen Akte profitieren, wenn Doppeluntersuchungen, Fehlmedikationen und Wechselwirkungen vermieden und die Treffsicherheit von Diagnosen erhöht würden. Natürlich habe auch die Industrie großes Interesse an Gesundheitsdaten.
Für Franz Stadler, Beiratsvorsitzender der Stiftung, muss die Digitalisierung vor allem dem Patienten dienen und ihm einen Mehrwert bieten. Der »Primärnutzen« für den Bürger müsse im Vordergrund stehen, sagte der Apotheker. Allerdings habe der »Sekundärnutzen« von Gesundheitsdatensammlungen für Industrie, Politik und Selbstverwaltung zu lange im Fokus gestanden. Diesen bietet die Datenfülle eine Entscheidungsgrundlage für Forschung und Entwicklung, bei regulatorischen Prozessen, Versorgungs- oder Kostenplanung.
Das E-Rezept werde dem Patienten keinen spürbar großen Zusatznutzen bringen, wohl aber die EPA, sagte Stadler. Als Beispiel: Ein aktueller Impf- oder Medikationsplan liege im Interesse des Patienten. Immerhin kann das E-Rezept dem Patienten unnötige Wege in die Offizin ersparen, wenn das verordnete Arzneimittel dort nicht vorrätig ist, und kann im Gegensatz zur Papierversion nicht verloren gehen. Auch Folgerezepte lassen sich über die E-Rezept-App ohne zusätzlichen Arztbesuch digital übermitteln. Die Daten sollen später auch für den Medikationsplan in der EPA zu Verfügung stehen.
»Wir müssen mehr über konkrete Mehrwerte digitaler Anwendungen für alle Beteiligten sprechen«, forderte auch Professor Christoph Spinner, Leiter der Stabsstelle Medizin und Strategie in der Ärztlichen Direktion des Klinikums rechts der Isar (TUM), München. Schon heute könne die Arzneimitteltherapie sicherer und Prävention erfolgreicher sein. Beispiel: Bei einer ausreichenden Datenmenge könnten Algorithmen ermitteln, ob ein Individuum ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs hat, und eine Früherkennungsuntersuchung empfehlen.
Ärzte könnten sehr von der Digitalisierung der Prozesse profitieren, weil sie Zeit für die Patienten gewinnen, ist der Münchner Allgemein- und Impfarzt Markus Frühwein überzeugt. Ärzte seien aufgeschlossen für die Digitalisierung, aber genervt, weil sie dafür viel Zeit investieren sollten, die ihnen nicht bezahlt wird. Die aktuell nötigen Konnektoren seien eine »total veraltete Technik« und bereiteten viel Mehraufwand, monierte der Mediziner.
Auch Schaar kritisierte die jetzige Technik der Telematik-Infrastruktur (TI) und die zentrale Speicherung von Patientendaten. »Letztlich kommt es auf die Verfügbarkeit der Daten an, nicht auf die zentrale Speicherung.« Die TI 2.0 sei ein virtuelles Netz ohne spezifische Hardware und »das bedeutet ein Ende der Hardware-Orientierung, vor allem der Konnektoren«.
Professor Dr. Björn Eskofier, Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg, hält es für nötig, viel mehr Gesundheitsdaten eines Patienten zu sammeln – aber nicht zentral. »Über einen persönlichen, also Ich-bezogenen Gesundheitsdatenraum oder Personal health data space kann jeder selbst verfügen.« In einem Konsortium mit vielen Partnern sei in Erlangen-Nürnberg ein persönliches Gesundheitsdatenraum-System entwickelt worden, das mit etablierten Gesundheitsinformationssystemen in Europa kompatibel sei, berichtete der Experte für künstliche Intelligenz (KI).
Die europaweite Vernetzung entspricht den Absichten der EU-Kommission: Mit dem europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) will sie die bessere Nutzung von Gesundheitsdaten für Patientenversorgung, Forschung und gesundheitspolitische Entscheidungen ermöglichen. Im Mai 2022 legte sie dazu einen Verordnungsentwurf vor. Jeder EU-Bürger soll demnach eine europäische EPA erhalten, die europaweit genutzt werden kann. Die deutsche Bundesregierung hat im Herbst eine Nationale Datenstrategie vorgelegt, die eine effektivere und intensivere Datennutzung ermöglichen soll.
Die aktuellen Datenspeicherungen bezeichnete Eskofier als »ersten Schritt«. Er hoffe, dass es die aktuelle Gesetzgebung ermöglichen werde, in einem rechtssicheren Raum Daten zu bearbeiten. »Wir brauchen eine regulatorisch sichere Basis, auf der wir weiterarbeiten können.« Noch seien große Konzerne wie Apple hierzulande nicht aktiv. Aber es werde sein Apple Health-Kit bald in Europa einführen, ist der Forscher überzeugt. Dem will das Konsortium etwas entgegensetzen: »Wir arbeiten bis Ende 2024 an der Implementierung einer ähnlichen Lösung, die noch weiter geht.« Anfang 2025 sollte es erste Umsetzungen geben.
Doch bei allen technischen und KI-basierten Optionen waren sich die Diskutanten einig: »Wir dürfen nicht vergessen, die Patienten und Ärzte mitzunehmen, sonst wird jedes System scheitern«, warnte Frühwein. Die EPA müsse eingeführt werden, aber »wir brauchen eine viel intelligentere EPA, die dann wirklich Nutzen bringt«. Und Stadler resümierte: »Wir dürfen nicht zu sehr auf die kommerzielle Anwendung schauen, sondern auf den Patienten.« Er müsse den Mehrwert der Digitalisierung erkennen können.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.