Was bei Tinnitus wirklich hilft – und was nicht |
Durchblutungsstörungen gelten heute jedenfalls nicht mehr als Hauptursache der Ohrgeräusche. »Die Haarzellen werden nicht durchblutet, sondern mit Endolymphe versorgt. Sie knicken vor allem aufgrund mechanisch-traumatischer Belastung wie Lärm oder entzündlicher, degenerativer Prozesse durch Alterung oder stressbedingt ein«, erklärt Hesse, einer der beiden federführenden Autoren der aktuellen S3-Leitlinie »Chronischer Tinnitus« der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Die Ohrgeräusche gelten als chronisch, wenn sie mindestens drei Monate bestehen.
Für den Akutfall empfiehlt sich eine systemische hoch dosierte Therapie mit Glucocorticoiden, etwa als Kurzinfusion, in Tablettenform oder intratympanal, also Injektionen direkt durch das Trommelfell ins Mittelohr. Dabei orientieren sich die HNO-Ärzte an der Therapie des akuten Hörsturzes. Die S1-Leitlinie Hörsturz schlägt eine orale Hochdosis-Cortison-Gabe (etwa je 250 mg Prednisolon über fünf Tage) vor. Jedoch: Der Einsatz hoher Glucocorticoid-Dosen zur Akuttherapie eines Hörsturzes ist vor Kurzem aufgrund einer groß angelegten deutschlandweiten Studie einmal mehr in die Kritik geraten und lässt Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Behandlungsstandards aufkommen.
Eine deutschlandweite randomisiert kontrollierte Studie, die Anfang des Jahres im Wissenschaftsmagazin »NEJM Evidence« publiziert wurde, lässt an der Sinnhaftigkeit hoher Glucocorticoid-Dosen zur Akuttherapie eines Hörsturzes zweifeln.
An der Studie unter der Leitung von Professor Dr. Stefan Plontke von der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie in Halle nahmen 325 Patienten aus 39 Standorten in Deutschland teil, die einen plötzlichen Hörverlust von mindestens 50 Dezibel erlitten hatten. Sie wurden innerhalb von sieben Tagen einer von drei Behandlungsgruppen zugeteilt. Die Patienten der ersten Gruppe erhielten fünf Tage 250 mg/Tag Prednisolon intravenös und für zehn Tage Placebo oral; die in der zweiten Gruppe fünf Tage lang 40 mg/Tag Dexamethason oral und weitere fünf Tage Placebo sowie für fünf Tage Placebo intravenös. Als Kontrolle diente eine dritte Gruppe, die die internationale Standardtherapie erhielt: fünf Tage lang 60 mg/Tag Prednisolon oral und für weitere fünf Tage eine ausschleichende Dosis sowie fünf Tage Placebo intravenös.
»Eine höhere Dosis von Glucocorticoiden führte im Vergleich zur Standardtherapie nicht zu besseren Ergebnissen. Allerdings traten unerwünschte Ereignisse häufiger auf. Dazu gehörten erhöhte Blutzuckerwerte oder ein Anstieg des Blutdrucks bei Bluthochdruck-Patienten«, so Plontke in einer Pressemitteilung der Universitätsmedizin Halle. Ob eine Therapie mit Corticoiden wirksam, unwirksam oder schlechter als Placebo sei, müsse nun in einer Folgestudie untersucht werden.
In jedem Fall empfiehlt Hesse nach einem Hörsturz oder Hörgeräuschen viel Ruhe. »Wir schreiben die Patienten krank, um sie beruflich und familiär zu entlasten. Es ist zweifelsohne wichtig, den Patienten aufgrund der Belastungssituation aus seinem Umfeld zu holen.« Beginnt die Behandlung der Misstöne frühzeitig wenige Tage nach Auftreten, kann in den meisten Fällen das Gehör wieder völlig hergestellt werden. Hesse sieht hierbei auch das Apothekenteam in der Pflicht, betroffene Kunden zeitig an einen HNO-Arzt zu verweisen.