Warum wirkt das Arzneimittel bei mir anders als bei anderen? |
Daniela Hüttemann |
17.10.2022 17:00 Uhr |
Seit April 2020 verlangt die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), dass bei Patienten, die mit 5-FU, Capecitabin oder Tegafur behandelt werden, vorher auf den Status ihrer Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) getestet werden. Die Krankenkassen müssen die Kosten für die Testung übernehmen.
Bei etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung kann die Normaldosierung toxisch bis letal wirken, da ihnen das Enzym komplett fehlt; bis zu 9 Prozent haben niedrige Spiegel. »Das hat man früher in Kauf genommen. Nun bestimmt man die Aktivität des Enzyms. Daraus leitet sich dann die Empfehlung ab — von einer reduzierten Dosis bis zur Kontraindikation«, so Cascorbi.
Gut untersucht sei dies bislang aber nur für die kaukasisch-stämmige Bevölkerung. »Die Diversität der Weltbevölkerung wird hier noch zu wenig berücksichtigt«, kritisierte der Pharmakogenetiker. Obligat ist bislang ansonsten nur die Testung auf den Marker HLA-B* 5701 bei Abacavir-Anwendung, da hier letale Verläufe durch starke Hypersensitivität möglich sind.
Standarduntersuchungen sollte es laut EMA auch vor Behandlung mit Azathioprin und 6-Mercaptopurin (Thiopurin-Methyltransferase, TPMT, und Nudix Hydrolase 15, NUDT15), Irinotecan (UDP-Glucuronosyltransferase, UGT1A1), Clopidogrel (CYP2C19) und Simvastatin (SLCO1B1) geben. Sie seien allerdings nicht obligat und es mangele daher meist an der Kostenübernahme. Relativ neu (seit August 2022) sei die Kostenübernahme für die UGT1A1-Bestimmung, wenn mit Irinotecan behandelt werden soll.
Die Pharmakogenetik könnte auch erklären, warum viele Patienten mit Depressionen nicht auf das eigentlich gut wirksame Amitryptilin oder selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) ansprechen. »Etwa 2 Prozent der Bevölkerung verstoffwechseln Amitryptilin über CYP2D6 zu schnell und spüren deshalb keine Wirkung, dafür sind 7 bis 10 Prozent der europäischen Bevölkerung Poor Metabolizer und haben ein Risiko für schwere Nebenwirkungen.« Hier gebe es aber noch keine EMA-Empfehlung zur Testung.
CYP2D6 verstoffwechselt zahlreiche Arzneistoffe, neben vielen Psychopharmaka auch Opioide und Tamoxifen. Hier gibt es mittlerweile laut Expertengremium CPIC eine starke Evidenz, die Dosis von trizyklischen Antidepressiva an den Enzymstatus anzupassen; ebenso moderate Evidenz für die Dosisanpassung von SSRI passend zum CYP2C19-Genotyp. Allerdings gibt es bislang noch keine entsprechende Behörden-Empfehlung.
Manchmal scheitere die Anwendung auch noch daran, wie schnell typisiert werden kann, zum Beispiel, wenn bestimmte Antibiotika eingesetzt werden sollen. »Das muss schnell gehen, innerhalb von zwei bis vier Tagen oder noch besser direkt am Point of Care oder vorbeugend«, so Cascorbi.
Mittlerweile könne man sein gesamtes Genom für etwa rund 1000 Euro entschlüsseln lassen, sodass die Genotypisierung wichtiger Parameter für die Arzneimitteltherapie in Zukunft Standard werden könnte, hofft der Wissenschaftler. Immerhin handelt es sich nach aktuellem Kenntnisstand nur um rund 20 relevante Gene, deren Status sich ein Leben lang nicht ändere. Trotzdem brauche es noch einen Nachweis der Kosteneffektivität.