Warum die Forschung weiter auf Naturstoffe setzen sollte |
Daniela Hüttemann |
22.04.2025 18:00 Uhr |
Hat man interessante Kandidaten identifiziert, müssen diese in der Regel noch zum brauchbaren Medikament weiterentwickelt werden. »Die Natur entwickelt nichts für uns Menschen«, so Bode. Man dürfe nicht mit Ready-to-use-Therapeutika aus der Natur rechnen.
Bislang habe man mit der klassischen medizinischen Chemie eher »dekorativ« modifiziert – so als ob man an einem Weihnachtsbaum nur die Kugeln und Kerzen austauscht, der Baum selbst dabei gleichbleibt. Mit neueren Methoden wie der synthetischen Biologie könnte es gelingen, bildlich gesprochen ganze Äste oder gar den Stamm zu verändern.
In Zukunft könnten Molekülklassen gentechnisch kombiniert werden. Bodes Arbeitsgruppe verwendet dafür NRPS Engineering. NRPS steht für nicht ribosomale Peptid-Synthetasen (NRPS) – gigantische Enzymkomplexe. Genabschnitte, die für unterschiedliche NRPS codieren, werden gentechnisch geschnitten und neu verknüpft, um neuartige NRPS zu generieren, die in der Natur nicht vorkommen.
Statt überschaubare Wirkstoffdatenbanken zu screenen, könnten Genome von neu entdeckten Bakterien auch sequenziert und mittels KI auf »brauchbare« Proteine gescannt werden (»Genome Mining«). Das menschliche Mikrobiom könnte hier noch viele Überraschungen bereithalten.
Viele Naturstoffklassen sind nicht erforscht, weil die produzierenden Mikroorganismen sich bislang nicht kultivieren lassen. Ein Beispiel sind Myxobakterien, die vor allem im Boden und in Komposthaufen leben, aber nur ungern im Reagenzglas. »Kaum jemand hat sie bislang ernsthaft bearbeitet, dabei finden wir ständig neue Arten, Gattungen und Familien«, so Professor Dr. Rolf Müller, geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken, dort zugleich Leiter der Abteilung Mikrobielle Naturstoffe und Sprecher des Forschungsbereichs »Neue Antibiotika« im Rahmen des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF).
»Indem wir neue Naturstoffe identifizieren und ihre biologische Wirksamkeit aufklären, nutzen wir die Vorarbeit von vielen Millionen Jahren Evolution«, erklärte auch Müller. »Denn die Evolution hat Molekülstrukturen hervorgebracht, die an den unterschiedlichsten Stellen oft sehr gezielt in Lebensvorgänge eingreifen.«
Myxobakterien hätten einen räuberischen Lebensstil mit Rudelverhalten. Sie jagen im Schwarm und brauchen dafür zahlreiche chemische Substanzen. Als ein Beispiel eines potenziellen neuen Antiinfektivums aus Myxobakterien stellte Müller Corallopyronin A vor. Produziert wird es von Corallococcus coralloides. Der Naturstoff hemmt die bakterielle DNA-abhängige RNA-Polymerase und ist hoch wirksam gegen grampositive Bakterien sowie gramnegative, denen bestimmte Effluxpumpen fehlen. Ein Großteil der bekannten Antibiotikaresistenzen geht darauf zurück, dass die adressierten Bakterien Antibiotika zu schnell wieder ausschleusen können.