Vom Pfropfen in der Lunge zur systemischen Thrombose |
Sven Siebenand |
10.08.2020 16:00 Uhr |
Bei schwer erkrankten Covid-19 Patienten fanden Wissenschaftler zahlreiche Thrombosen in kleinen Lungengefäßen. Daraus kann sich eine systemische Thromboseneigung entwickeln. / Foto: Adobe Stock/Chinnapong
Im Fachjournal »Circulation« haben Forscher um Dr. Leo Nicolai von der Ludwig-Maximilians-Universität München gerade ihre neuen Erkenntnisse bekannt gemacht. In einer Pressemeldung nimmt die Hochschule darauf Bezug.
Die Forscher zeigten anhand von Fluoreszenz-Durchflussanalysen, dass im Blut beatmungspflichtiger Covid-19-Patienten mit Lungenversagen stark aktivierte neutrophile Granulozyten und Blutplättchen zu finden sind. Beide Zelltypen aktivieren sich wechselseitig, was letztlich zu Gefäßverschlüssen in der Lunge führt. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Verschlussbildung sind sogenannte NET (Neutrophil Extracellular Traps). Diese netzartigen Strukturen aus DNA und Granulaproteinen der neutrophilen Granulozyten stabilisieren die Blutgerinnsel.
Diese Immunothrombose ist zunächst eine Schutzfunktion. Durch sie soll verhindert werden, dass sich zum Beispiel Viren und Bakterien im Körper ausbreiten. Allerdings wird durch Gefäßverschlüsse auch die Blutversorgung des Gewebes beeinträchtigt, was zum Lungenversagen beiträgt. Bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten fanden die Wissenschaftler zahlreiche Thromben in Lungengefäßen, aber auch in Herz und Nieren konnten sie Gefäßverschlüsse feststellen.
Aus dem lokalen Prozess in der Lunge entwickelt sich eine systemische Thromboseneigung, so das Fazit der Forscher. Gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung erklärte Nicolai, dass es bei Covid-19 – im Gegensatz zu anderen Formen der Lungenentzündung, die sich in den Luftbläschen beziehungsweise dem Bindegewebe der Lunge abspielen – wahrscheinlich zu einer Entzündung der Blutgefäße in der Lunge kommt. »Hier bilden sich dann auch durch das Zusammenspiel von Blutplättchen und Immunzellen Thrombosen aus. Gleichzeitig können aktivierte Immunzellen, Blutplättchen und lösliche Faktoren sehr leicht mit dem Blutfluss in andere Organe gelangen, und auch dort eine Entzündung und/oder Gefäßverschlüsse verursachen.«
»Diese Erkenntnisse tragen zu einem besseren Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen bei Covid-19 bei«, sagt Mitautor Dr. Konstantin Stark, ebenfalls von der LMU. Die Immunothrombose sei ein vielversprechender Ansatzpunkt in der Prävention und Therapie des Lungenversagens sowie anderer thrombotischer Komplikationen bei Covid-19.
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