Viele Arzneimittel greifen die Haut an |
Schwere kutane Nebenwirkungen sind glücklicherweise selten. Das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxische epidermale Nekrolyse (TEN, früher als Lyell-Syndrom bekannt) sind Varianten derselben Erkrankung, wobei die TEN die Maximalform des SJS darstellt. Beide Formen unterscheiden sich anhand des Ausmaßes der Hautschädigung:
SJS/TEN tritt jährlich bei zwei bis sieben Personen pro eine Million auf. Menschen mit einer entsprechenden genetischen Veranlagung erkranken häufiger. So besteht zum Beispiel eine Assoziation zwischen einem durch Allopurinol ausgelösten SJS/TEN und dem Allel HLA-B*5801. Weiterhin stellt eine HIV-Infektion einen Risikofaktor dar. Bei der akuten und potenziell tödlich verlaufenden Hautreaktion löst sich die Epidermis der Haut und meist auch der Schleimhäute ab; die meisten Patienten entwickeln begleitende systemische Symptome.
Die Erkrankung entwickelt sich innerhalb weniger Tage bis acht Wochen nach Einnahme eines neuen Arzneimittels (Tabellen 1 und 2). Sie beginnt mit unspezifischen Beschwerden wie Fieber und Unwohlsein, Symptomen der oberen Atemwege wie Husten, Schnupfen, schmerzenden Augen und Myalgie. Im Lauf der nächsten drei bis vier Tage entwickelt sich ein blasenbildender Ausschlag. Schleimhautulzerationen und -erosionen können Lippen, Mund, Rachen, Speiseröhre und Magen-Darm-Trakt, Augen, Genitalien und die oberen Atemwege betreffen. Leber, Nieren, Lunge, Knochenmark und Gelenke können ebenfalls Schaden nehmen. Komplikationen sind sekundäre Infektionen und Sepsis.
In mehr als 80 Prozent der Fälle sind Medikamente ursächlich. Zu den potenziell auslösenden Mitteln zählen Antiepileptika (wie Lamotrigin, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital), Allopurinol, insbesondere in Dosen über 100 mg pro Tag, Sulfasalazin, Antibiotika (Cotrimoxazol, Penicilline, Cephalosporine, Chinolone, Minocyclin), Paracetamol, Nevirapin, NSAR (hauptsächlich vom Oxicam-Typ) sowie Kontrastmittel.
Die genaue Entstehung von SJS/TEN ist noch nicht entschlüsselt. Vermutlich löst das Arzneimittel eine T-Zell-vermittelte zytotoxische Reaktion in Keratinozyten aus. Zytotoxische T-Zellen und natürliche Killerzellen schütten Granulysin aus, das die Hautzellen stark schädigt.
Die Behandlung erfolgt multidisziplinär im Krankenhaus. Die oberste Priorität ist, so schnell wie möglich das auslösende Medikament zu finden und abzusetzen. Es ist unklar, ob systemische Glucocorticoide von Nutzen sind, sie werden jedoch häufig in hohen Dosen für die ersten drei bis fünf Tage nach der Aufnahme verschrieben. Zu den anderen eingesetzten Medikamenten gehören Ciclosporin, Tumornekrosefaktor-α-Inhibitoren, N-Acetylcystein und intravenöse Immunglobuline. Die Wirksamkeit ist auch hier umstritten.
Die häufigsten Langzeitkomplikationen sind Augenschäden (einschließlich Blindheit), Hautkomplikationen (Pigmentveränderungen und Narbenbildung) und Nierenfunktionsstörungen. Personen, die SJS/TEN überlebt haben, müssen das verursachende Arzneimittel oder strukturell verwandte Arzneimittel lebenslang meiden, da die schwere Hautschädigung erneut auftreten kann (22–25).

Foto: Getty Images/Boy_Anupong
Bei der Alopecia medicamentosa verlieren Patienten drei bis sechs Monate nach der Einnahme eines Arzneimittels vermehrt Haare. Nach dem Absetzen ist der Haarausfall meistens reversibel. Als Auslöser kommen unter anderem Azathioprin, Methotrexat, einige Analgetika, ACE-Hemmer, Colchicin, Retinoide, Lipidsenker und Heparine infrage.
Am meisten gefürchtet ist Haarausfall vermutlich als Nebenwirkung von Zytostatika. Die Chemotherapie-induzierte Alopezie setzt wenige Wochen nach Behandlungsbeginn ein. Neben den Haaren auf dem Kopf kann auch die Behaarung an anderen Körperstellen wie Gesicht oder Schambereich betroffen sein. Eine Möglichkeit, dem Haarverlust vorzubeugen, ist die Kopfhautkühlung. Eine systematische Bewertung der Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Kopfhautkühlung bei Brustkrebspatientinnen aus China zeigte 2018, dass die Kühlung den Haarverlust erheblich verringern konnte. Bei dem Verfahren können Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Schwindel, Hautausschlag oder Übelkeit auftreten.
Als Ursache eines medikamenteninduzierten Haarausfalls könnten monoklonale Antikörper bislang unterschätzt werden. In einer Untersuchung aus den USA machten monoklonale Antikörper sechs der zehn häufigsten Medikamente aus, die mit Alopecia areata in Zusammenhang standen. An der Spitze stand Pertuzumab; es folgten Trastuzumab, Infliximab, Dupilumab, Adalimumab und Etanercept. Drei der zehn weiteren häufigsten Auslöser waren Zytostatika (Docetaxel, Carboplatin und Cyclophosphamid).
Literatur: 31–35