Verräterische Locken |
Theo Dingermann |
06.04.2023 18:00 Uhr |
Eine dieser Strähnen, die berühmte »Hiller-Locke«, stammte aus dem Besitz von Ferdinand Hiller, einem musikalischen Talent, dem es gestattet wurde, den aufgebahrten Leichnam Beethovens zu sehen. Bei der Gelegenheit schnitt der 15-Jährige, wie es damals Brauch war, aus Beethovens Haar eine Locke ab. Das Medaillon, in dem Hiller diese Reliquie aufbewahrt hatte, ging während des Zweiten Weltkriegs verloren, tauchte 1995 aber auf einer großen Versteigerung wieder auf. Allerdings erwies sich diese Wiederentdeckung jetzt als Fälschung.
Die »Stumpff-Locke« von Ludwig van Beethoven zur Untersuchung in einem Labor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. / Foto: Anthi Tiliakou
Wie die Arbeiten von Begg und Kollegen zeigen, stammt diese Locke nämlich von einer Frau. Zudem zeigte diese Strähne als einzige der acht Untersuchungsexemplare deutliche Anzeichen einer möglichen Bleivergiftung. Somit endet hier die Geschichte der immer wieder geäußerten Vermutung, dass der Grund für Beethovens Taubheit eine chronische Bleivergiftung gewesen sein könnte, die durch den regelmäßigen Konsum von mit Blei(II)-Acetat (Bleizucker) gesüßtem Wein verursachten wurde.
Folglich müssen heute auch alle anderen Ergebnisse toxikologischer Analysen, die an der Hiller-Locke durchgeführt wurden, als Artefakte angesehen werden.
Letztlich erklärten die Forschenden nur fünf der ursprünglich acht Haarsträhnen für wahrscheinlich echt. Zu diesem Schluss kamen sie, da die DNA von einem Mann mit europäischer Herkunft, wahrscheinlich aus Nordrhein-Westfalen, stammte. Zudem ließ der Degradierungsgrad der DNA darauf schließen, dass das Haar aus dem 19. Jahrhundert datieren sollte. Und schließlich enthielten die fünf Haarproben alle die gleiche DNA, obwohl sie aus unterschiedlichen Sammlungen stammten.
Auf ihrer Suche nach der Todesursache Beethovens stießen die Forschenden unter anderem auf zwei Kopien einer Genvariante, die als eines der stärksten Risikoallele für die Entwicklung einer Leberzirrhose gelten. So zeigte sich, dass Beethoven homozygoter Träger eines Allels des PNPLA3-Gens war. Dieses Gen, das für eine Triacylglycerinlipase kodiert, war in genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) immer wieder als Risikoallel für eine Leberzirrhose identifiziert worden.
Zudem war Beethoven heterozygoter Träger von zwei Varianten im Gen für das Hereditäre-Hämochromatose-Protein (HFE), die ursächlich für die Ausprägung einer Hämochromatose verantwortlich sind. Schließlich fanden die Forschenden Hinweise auf eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus. Mit diesem Virus muss sich Beethoven spätestens in den Monaten vor der ersten Gelbsuchterkrankung angesteckt haben.
»In Anbetracht der bekannten Krankengeschichte ist es sehr wahrscheinlich, dass genetische Veranlagung, eine Hepatitis-B-Infektion und sein Alkoholkonsum im Zusammenspiel zu Beethovens Tod geführt haben«, sagt Begg gegenüber dem Onlinemagazin »Scinexx«. Historische Überlieferungen legten nahe, dass Beethoven regelmäßig genug Alkohol trank, um seiner Leber vor allem auch vor dem Hintergrund seiner genetischen Veranlagungen und der Hepatitis-B-Infektion fatal zu schaden, so Begg.