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Beethoven

Verräterische Locken

Wer ein Haarbüschel verschenkt, offenbart potenziell intimste Geheimnisse. Denn das Haar speichert nicht nur Informationen zur Exposition mit toxischen Substanzen. In jedem Haar ist auch das komplette genetische Programm des Trägers abgelegt. Dies nutzten nun Forschende, um Ludwig van Beethoven anhand seiner berühmten Locken ins Erbgut zu schauen.
Theo Dingermann
06.04.2023  18:00 Uhr

Der Komponist Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827) war bereits früh gekennzeichnet von Krankheiten. Verbittert und schlecht gelaunt reagierte er vor allem auf den noch vor Erreichen seines 30. Lebensjahres einsetzenden beidseitigen Hörverlust, der schließlich zur völligen Taubheit führte. Zudem plagten ihn chronische Magen-Darm-Probleme mit Durchfällen und schmerzhaften Koliken. Und zu allem Überfluss versagte später auch noch seine Leber. Beethoven erkrankte mehrfach an Gelbsucht und schließlich an einer Leberzirrhose, an der er wahrscheinlich im Alter von erst 56 Jahren starb.

Vieles, was über den Gesundheitszustand Beethovens bekannt war, ist anekdotisch. Das Wissen stützte sich hauptsächlich auf dokumentarische Quellen wie Briefe, Tagebücher und Konversationsbücher, sowie auf Berichte von Zeitgenossen. Auch existieren ärztliche Notizen, ein Autopsiebericht und Beschreibungen von Skelettmaterial nach Exhumierungen in den Jahren 1863 und 1888. Zudem wurden Analysen von Gewebeproben durchgeführt, darunter auch toxikologische Untersuchungen von Haaren. Ob dieses biologische Material allerdings tatsächlich von Beethoven stammte, ist unklar.

Genomanalyse schafft Klarheit

Die Unsicherheiten hinsichtlich der Krankheitsgeschichte Beethovens haben jetzt allerdings ein vorläufiges Ende gefunden. Forschende um Tristan James Alexander Begg von Institut für Archäologie der University of Cambridge und vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Tübingen haben mithilfe moderner Methoden einige Geheimnisse zu Beethovens Krankheitsgeschichte gelüftet – und das mit Zustimmung des Betroffenen. Denn 1802 hatte Beethoven seine Brüder in einem Brief gebeten, seine Krankheit nach seinem Tod durch seinen Arzt untersuchen zu lassen und das Ergebnis zu veröffentlichen.

Ausgangspunkt der Untersuchungen, deren Ergebnisse die Forschenden im Fachjournal »Current Biology« publizierten, waren acht Haarsträhnen, die wie Reliquien in verschiedenen privaten und öffentlichen Sammlungen verwahrt werden.

Die falsche Fährte

Eine dieser Strähnen, die berühmte »Hiller-Locke«, stammte aus dem Besitz von Ferdinand Hiller, einem musikalischen Talent, dem es gestattet wurde, den aufgebahrten Leichnam Beethovens zu sehen. Bei der Gelegenheit schnitt der 15-Jährige, wie es damals Brauch war, aus Beethovens Haar eine Locke ab. Das Medaillon, in dem Hiller diese Reliquie aufbewahrt hatte, ging während des Zweiten Weltkriegs verloren, tauchte 1995 aber auf einer großen Versteigerung wieder auf. Allerdings erwies sich diese Wiederentdeckung jetzt als Fälschung.

Wie die Arbeiten von Begg und Kollegen zeigen, stammt diese Locke nämlich von einer Frau. Zudem zeigte diese Strähne als einzige der acht Untersuchungsexemplare deutliche Anzeichen einer möglichen Bleivergiftung. Somit endet hier die Geschichte der immer wieder geäußerten Vermutung, dass der Grund für Beethovens Taubheit eine chronische Bleivergiftung gewesen sein könnte, die durch den regelmäßigen Konsum von mit Blei(II)-Acetat (Bleizucker) gesüßtem Wein verursachten wurde.

Folglich müssen heute auch alle anderen Ergebnisse toxikologischer Analysen, die an der Hiller-Locke durchgeführt wurden, als Artefakte angesehen werden.

Letztlich erklärten die Forschenden nur fünf der ursprünglich acht Haarsträhnen für wahrscheinlich echt. Zu diesem Schluss kamen sie, da die DNA von einem Mann mit europäischer Herkunft, wahrscheinlich aus Nordrhein-Westfalen, stammte. Zudem ließ der Degradierungsgrad der DNA darauf schließen, dass das Haar aus dem 19. Jahrhundert datieren sollte. Und schließlich enthielten die fünf Haarproben alle die gleiche DNA, obwohl sie aus unterschiedlichen Sammlungen stammten.

Hinweise auf die Todesursache

Auf ihrer Suche nach der Todesursache Beethovens stießen die Forschenden unter anderem auf zwei Kopien einer Genvariante, die als eines der stärksten Risikoallele für die Entwicklung einer Leberzirrhose gelten. So zeigte sich, dass Beethoven homozygoter Träger eines Allels des PNPLA3-Gens war. Dieses Gen, das für eine Triacylglycerinlipase kodiert, war in genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) immer wieder als Risikoallel für eine Leberzirrhose identifiziert worden.

Zudem war Beethoven heterozygoter Träger von zwei Varianten im Gen für das Hereditäre-Hämochromatose-Protein (HFE), die ursächlich für die Ausprägung einer Hämochromatose verantwortlich sind. Schließlich fanden die Forschenden Hinweise auf eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus. Mit diesem Virus muss sich Beethoven spätestens in den Monaten vor der ersten Gelbsuchterkrankung angesteckt haben.

»In Anbetracht der bekannten Krankengeschichte ist es sehr wahrscheinlich, dass genetische Veranlagung, eine Hepatitis-B-Infektion und sein Alkoholkonsum im Zusammenspiel zu Beethovens Tod geführt haben«, sagt Begg gegenüber dem Onlinemagazin »Scinexx«. Historische Überlieferungen legten nahe, dass Beethoven regelmäßig genug Alkohol trank, um seiner Leber vor allem auch vor dem Hintergrund seiner genetischen Veranlagungen und der Hepatitis-B-Infektion fatal zu schaden, so Begg.

Genealogische Untersuchung hält Überraschung bereit

Ein Ergebnis am Rande hält eine weitere Überraschung bereit: Heute in Belgien lebende männliche Verwandte Beethovens sind nicht Träger des erwarteten Y-Chromosoms. Das lässt nur den Schluss zu, dass es einen unerwarteten Bruch im Familienstammbaum Beethovens gegeben hat. Es muss also in Beethovens väterlicher Linie ein Kind aus einer außerehelichen Beziehung gegeben haben. Hinweise, dass Beethoven selbst ein sogenanntes Kuckuckskind gewesen sei, habe man aber nicht gefunden, so die Forscher.

Professor Dr. Maarten Larmuseau, Genetiker an der KU Leuven und Mitautor der Publikation, sagt dazu in einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig: »Durch die Kombination von DNA-Daten und Archivdokumenten konnten wir eine Diskrepanz zwischen Ludwig van Beethovens rechtlicher und biologischer Genealogie feststellen.«

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